Seiten geben sich gegenseitig Schuld
Feuerpause und humanitärer Korridor: Russland und Ukraine verhandeln

05.03.2022 | Stand 05.03.2022, 19:04 Uhr

Rauch steigt auf nach dem Beschuss durch russische Streitkräfte in Mariupol, Ukraine. −Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Die Evakuierung von Menschen aus der Hafenstadt Mariupol ist nach ukrainischen Angaben verschoben worden. Die "russische Seite" halte sich nicht an die Waffenruhe, teilt die Stadt am Mittag im Nachrichtenkanal Telegram mit.



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"Aus Sicherheitsgründen wird deshalb die Evakuierung verschoben." Derzeit liefen Verhandlungen mit Russland über eine Feuerpause und die Frage, wie ein "sicherer humanitärer Korridor gewährleistet" werden könne. Die Stadt appellierte: "Wir bitten alle Einwohner von Mariupol, in ihre Zufluchtsorte zurückzukehren." Weitere Informationen zu neuen Evakuierungen sollten folgen.

Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld. Die Separatisten im Gebiet Donzek warfen der Ukraine vor, "ukrainische Nationalisten" würden "Provokationen" vorbereiten.

Selenskyj ruft zur Verteidigung auf

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zur weiteren Verteidigung der Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine aufgerufen. Die humanitären Korridore für Mariupol und Wolnowacha in der Region Donezk sollten am Samstag funktionieren, um Frauen, Kinder und ältere Leute zu retten sowie Lebensmittel und Medikamente in die umkämpften Städte zu liefern, sagte Selenskyj in einer Videoansprache am Samstag. "Alle, die Hilfe brauchen, sollten die Möglichkeit bekommen, rauszukommen", sagte der Präsident. "Alle, die ihre Stadt verteidigen möchten, sollten den Kampf fortsetzen."

Die ukrainische Seite tue alles, damit die Vereinbarungen für die humanitären Korridore hielten, sagte Selenskyj. Dann müsse man sehen, ob man im Verhandlungsprozess weiter kommen könne.

Die ukrainischen Behörden rechnen damit, dass mehr als 200.000 Menschen Mariupol während der Waffenruhe verlassen werden. Für Wolnowacha gingen sie von 15.000 Menschen aus. Am Samstagvormittag trat eine mehrstündige Waffenruhe in Kraft.

Die russische Armee habe ihre Ziele nicht erreicht, aber fast 10.000 seien getötet worden, sagte Selenskyj. Die Streitkräfte der Ukraine hielten in allen Schlüsselrichtungen die Verteidigung. Gegenangriffe seien bei Charkiw gestartet worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Selenskyj dankte den Hunderttausenden Menschen in den europäischen Städten, die für die Unterstützung der Ukraine auf die Straße gingen.

Lawrow ruft Ukraine zur Waffenruhe auf

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat die Ukraine zum Einhalten der Waffenruhe aufgerufen. "Wir zählen darauf, dass dieses Abkommen klar umgesetzt wird, unser Militär hat seine Arbeit dazu getan", sagte Lawrow in Moskau der Agentur Interfax zufolge. "Das Wichtigste ist, dass die Menschen durch humanitäre Korridore aus den Städten und Dörfern herauskommen."

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, der verabredete humanitäre Korridor sei beschossen worden. Schüsse seien zudem von Mariupol aus im Gebiet Donenzk in der Südostukraine auf Stellungen russischer Truppen abgefeuert worden. Zudem sei am Vormittag ein Wohnhaus gesprengt worden, in dem sich bis zu 200 Menschen aufgehalten haben könnten. Die Angaben ließen sich nicht überprüfen.

Feuerpausen bergen auch Risiken

Der frühere Nato-General Egon Ramms hofft darauf, dass die vereinbarte Feuerpause hält. Voraussetzung für einen humanitären Korridor wäre das Einstellen der Kampfhandlungen von beiden Seiten, so Ramms im ARD-"Morgenmagazin". Die Erfahrung bei Waffenstillständen zeige aber, "dass oft beide Seiten nicht gleichmäßig informiert sind" und daher Kampfhandlungen von einer Seite weitergeführt werden. "Dann schießt die andere Seite zurück. Und dann ist ein solcher humanitärer Korridor sowohl für die Hilfsleistungen, als auch für die Menschen, die fliehen wollen, entsprechend gescheitert."

Die Frage, ob eine Waffenruhe auch die Gefahr in sich berge, dass eine Seite ihre Truppen neu sortiere, bejahte Ramms, wenn eine solche vorübergehende Feuerpause länger dauere. Dann gebe es die Möglichkeit, ohne eine relative Bedrohung der anderen Seite "Kräfte umzugruppieren oder Kräfte nachzuführen" sowie Nachschub bei der Versorgung zu organisieren. Dann wäre dies eine Pause zum Atemholen, die auch erlaubt, bestimmte militärische Operationen vorzubereiten.

− dpa