Zehntausende Teilnehmer
Corona-Demos in Europa: Festnahmen in Wien - „Orgie der Gewalt“ in Rotterdam

20.11.2021 | Stand 20.11.2021, 19:26 Uhr

Gegner der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gehen durch Heldenplatz in Wien. Zehntausende hatten an den Protesten in der österreichischen Hauptstadt teilgenommen. −Foto: Florian Wieser/APA/dpa

In Österreich haben Zehntausende gegen die bevorstehenden Corona-Verschärfungen protestiert. Es waren am Wochenende nicht die einzigen Proteste in Europa.



In Wien nahmen laut Polizei rund 35.000 Menschen an Demonstrationen gegen den Lockdown und die Impfpflicht teil. Der Protestzug legte am Samstagnachmittag weite Teile des Verkehrs in der Wiener Innenstadt lahm. „Die Stimmung ist aufgeheizt“, sagte ein Polizeisprecher. Es sei zu mehreren Festnahmen gekommen. Einige Teilnehmer warfen nach Beobachtungen von Medien Flaschen auf die Polizisten.

Die Teilnehmer kritisierten die am Montag in Kraft tretenden Ausgangsbeschränkungen sowie die ab 2022 geltende Corona-Impflicht als Zwangsmaßnahmen. Immer wieder wurde „Freiheit“ skandiert. Viele Demonstranten trugen keine FFP2-Masken und verstießen damit gegen die Auflagen. Die Polizei war mit 1300 Beamten im Einsatz.

Auch Neonazis unter den Demonstranten

Zu den Protesten hatte unter anderem die rechte FPÖ aufgerufen. Deren selbst an Corona erkrankte Chef Herbert Kickl meldete sich mit einer Videobotschaft zu Wort. Darin rief er zu einem möglichst breiten Widerstand auf. Schon zuvor hatte er die Strategie der Regierung scharf kritisiert und von einer „Diktatur“ in Österreich gesprochen.

Unter die Demonstranten mischten sich nach Informationen der österreichischen Nachrichtenagentur APA auch bekannte Neonazis und weitere Personen aus dem rechtsextremen Umfeld.

Die österreichische Regierung hatte wegen der massiven vierten Corona-Welle einen Lockdown für alle ab Montag angekündigt. Während die Ausgangsbeschränkungen für Geimpfte und Genesene am 13. Dezember enden sollen, ist der Lockdown für Ungeimpfte unbefristet. Außerdem wird Österreich als erstes Land in der EU im Februar 2022 eine Corona-Impfpflicht einführen.

Niedrige Impfquote in Österreich - 15.000 Neuinfektionen

Die Impfquote liegt inzwischen bei rund 66 Prozent. Die Bereitschaft zur Injektion hat in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen. Die Impfzahlen haben sich gegenüber dem Sommer vervierfacht. Gründe dafür sind die 3G-Regel am Arbeitsplatz und die 2G-Regel, die Ungeimpfte von weiten Teilen des öffentlichen Lebens ausschließt.

Am Samstag wurde in Österreich erneut mehr als 15.000 neue Corona-Infektionen binnen 24 Stunden gezählt. Unter Berücksichtigung der Zahl der Einwohner ist der Wert fast dreimal so hoch wie in Deutschland. Die Lage in den Kliniken blieb allerdings zumindest binnen Tagesfrist weitgehend stabil.

Angesichts der baldigen Ausgangsbeschränkungen nutzten viele Menschen am Samstag noch einmal die Chance zum Einkaufen. Die Innenstädte und die Shopping-Center waren gut besucht. Ab 22. November dürfen die Menschen in Österreich nur mehr aus triftigen Gründen ihr Zuhause verlassen. Alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie die Lokale schließen. Es ist bereits der vierte Lockdown in Österreich.

Heftige Proteste in Rotterdam sorgen für Entsetzen

Bereits in der Nacht auf Samstag gab es heftige Corona-Proteste in der niederländischen Stadt Rotterdam. Ausgebrannte Autos, verkohlte Fahrräder, Straßen übersäht mit Steinen und Glas: Die Innenstand von Rotterdam bietet nach den heftigen Corona-Ausschreitungen der Nacht ein Bild der Verwüstung. „Es war eine Orgie der Gewalt“, sagte Rotterdams Bürgermeister Ahmed Aboutaleb.

Eine nicht angekündigte Demonstration gegen Corona-Maßnahmen war in der Nacht total aus dem Ruder gelaufen. Die Polizei fühlte sich nach Darstellung des Bürgermeisters so bedroht, dass Beamte sogar zur Schusswaffe griffen. Vorläufige Bilanz: sieben Verletzte, mehr als 50 Festnahmen, Schäden in bisher unbekannter Höhe. Am Tag danach herrschen Entsetzen und Empörung.

Viele offene Fragen

Zur Gewaltexplosion gibt es noch viele offene Fragen. Die Justiz kündigte weitere Festnahmen an, aber auch umfassende Untersuchungen zum Waffeneinsatz der Polizei. Justizminister Ferd Grapperhaus sprach von „extremer Gewalt gegen Polizei, Einsatzkräfte und Feuerwehrleute“. Auch Journalisten seien angegriffen worden. „Das hat nichts mehr mit Demonstrieren zu tun“, sagte Grapperhaus. „Das ist schlicht kriminelles Verhalten.“

Am späten Freitagabend hatten im Zentrum der Hafenstadt einige Hundert Menschen gegen mögliche Verschärfungen der Corona-Maßnahmen demonstriert. Die Demonstration war nicht angemeldet worden. Reporter berichteten, dass auch Fußball-Hooligans zur Coolsingel im Zentrum gekommen waren.

Polizisten wurden mit Steinen und Feuerwerk beworfen, Autos wurden in Brand gesteckt, Verkehrsschilder aus dem Boden gerissen. Der Justizminister sprach von gezielten Attacken auf Polizisten.

Polizei schoss auf Menschen

Die Polizei gab nach eigener Darstellung erst Warnschüsse ab und schoss dann auch gezielt auf Menschen. Nach Angaben eines Sprechers der Polizeigewerkschaft geschah das in mindestens zwei Fällen. „Polizisten wurden in die Enge getrieben und von einer größeren Gruppe von Randalierern eingeschlossen“, sagte Jan Struijs von der Gewerkschaft dem TV-Sender NOS zum ersten Fall. Im zweiten Fall seien Beamte der Feuerwehr zur Hilfe gekommen, die angegriffen worden sei. Die Beamten hätten auf die Beine der Angreifer gezielt. In den Niederlanden greift die Polizei bei Ausschreitungen selten zur Schusswaffe.

Nach Angaben der Polizei wurden zwei Personen im Krankenhaus behandelt, die durch Polizeikugeln getroffen worden waren. Unklar war zunächst, wie schwer sie verletzt wurden. Auch meldete die Polizei Verletzte in eigenen Reihen. Mindestens ein Journalist wurde zudem von Randalierern angegriffen und verletzt.

Noch am Abend hatte die Rotterdamer Polizei Verstärkung angefordert. Aus dem ganzen Land kamen schließlich mehrere Hundert Beamte in die Hafenstadt. Der Bürgermeister erließ eine Notverordnung. Der Zugverkehr von und nach Rotterdam wurde zeitweilig eingestellt. Um 1.30 Uhr sei die Lage beherrschbar geworden, berichtete die Polizei.

„Das hat nichts mit Demonstrieren zu tun“

Politiker äußerten sich entsetzt über das Ausmaß der Gewalt. Bürger reagierten empört. „Das hat nichts mit Demonstrieren zu tun“, schimpfte eine Frau im niederländischen Fernsehen. Ein Mann nannte die Randalierer „Abschaum“. Eine Frau sagte: „Darauf können Rotterdamer nicht stolz sein. Ich schäme mich.“

Die Demonstration richtete sich gegen Pläne der Regierung, die 2G-Regel für Veranstaltungen und Gaststätten einzuführen. Eine für Samstag in Amsterdam geplante Demonstration gegen eine Verschärfung der Maßnahmen wurde von den Veranstaltern nach den Ereignissen von Rotterdam zwar abgesagt. Dennoch waren am Nachmittag nach Polizeiangaben mehrere Tausend Menschen auf die Straße gegangen.

Corona-Krawalle sind in den Niederlanden nicht neu. Schon im Januar hatte es in mehreren Städten eine Welle der Gewalt gegeben, nach dem eine Ausgangssperre verhängt worden war. Auch damals war Rotterdam ein Zentrum der Gewalt gewesen.

Tausende Demonstranten auch in Zagreb

Tausende Menschen sind am Samstag auch durch die kroatische Hauptstadt Zagreb gezogen, um gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung zu protestieren. Nach Angaben des kroatischen Rundfunks hatten Dutzende Autobusse Demonstranten aus dem ganzen Land nach Zagreb gebracht. Die Teilnehmer der Kundgebung forderten immer wieder den Rücktritt des konservativen Regierungschefs Andrej Plenkovic. Außerdem skandierten sie: „Keine Kapitulation!“

Der Protest richtete sich vor allem gegen die jüngsten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, die am letzten Dienstag in Kraft getreten waren. Demnach dürfen Amtsgebäude nur mehr noch von Menschen betreten werden, die entweder geimpft, genesen oder getestet sind. Zu der Kundgebung hatte eine Initiative von Impf- und Maßnahmengegnern aufgerufen. Auch mehrere prominente Vertreter rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien und Organisationen nahmen teil.

In Kroatien stiegen die Corona-Infektionszahlen zuletzt stark an. Nur 46,5 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner lag am Samstag bei 789, mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. In den letzten sieben Tagen starben im Schnitt täglich 58 Menschen an Covid-19.

− dpa