Gefeierte Wiederaufnahme
Unheimliche Reise ins Ungewisse: „Die Wand“ am Salzburger Landestheater

30.10.2023 | Stand 30.10.2023, 15:02 Uhr
Kirsten Benekam

Verstörend und zugleich voller liebevoller Betrachtungen des Lebens: Britta Bayer in „Die Wand“ im Salzburger Landestheater.  − Foto: SLT/Christian Krautzberger)

Die Corona-Zeit mit einer dystopischen Erfahrung zu vergleichen, liegt nahe: Während des Lockdowns mit Kontakt- und Ausgangssperren war so mancher schmerzlich auf sich selbst gestellt. Zwar musste hierzulande keiner verhungern, doch dass die Einsamen noch einsamer und die Isolierten in ihrer Isolation noch verzweifelter wurden, ließ gesellschaftliche Missstände offenbar werden.

So ist es auch eine Ausnahmesituation, in der sich „die Frau“ aus Marlen Haushofers 1963 veröffentlichtem Roman „Die Wand“ wiederfindet, und die sie zu neuen Erkenntnissen über sich selbst und über das Leben per se gelangen lässt. Im Salzburger Landestheater feierte nun das Werk in einer Bühnenfassung von Dorothee Hartinger unter der Regie von Claus Tröger Wiederaufnahme. Dabei sollen Erfahrungen aus der Pandemiezeit in die Neuerarbeitung einfließen.

Britta Bayer hatte bereits 2015 „die Frau“ verkörpert: ein Mensch, der sich plötzlich von einer unsichtbaren Wand isoliert, völlig neu aufstellen muss. Das „Ereignis“, die Wand, ist gläsern, glatt und kühl. Es trennt sie vom (neuen) Diesseits zum (alten) Jenseits. Sie rennt dagegen, versucht zu zerschlagen, was sie einsperrt – oder aussperrt?

Jedenfalls ist sie plötzlich da, diese Wand und verläuft mitten durch die Abgeschiedenheit der Natur. Drüben, von ihr abgeschnitten, das alte Leben samt Familie und die Freunde, mit denen sie auf der Jagdhütte ein Wochenende hatte verbringen wollen. Angst steigt auf, als sie sieht, dass auf der anderen Seite alles erstarrt ist. Ein wahrscheinlich tödlicher Supergau, der sie zur Robinsoniere macht. An ihrer Seite: Ein Hund, eine Kuh und eine Katze – beide trächtig. Und vor ihr? Eine Reise ins Ungewisse – physisch wie psychisch, die ihr vor allem eines abverlangt: Anpassung.

Britta Bayer lässt alle Gefühlswelten glaubhaft nachempfinden. Allein der Blick auf Eva Musils spärlich ausgestattete Bühne löst klaustrophobische Beklemmung aus. Brennholz, ein Eimer, ein Futternapf, im vorderen Bereich. Nach hinten werden zwei keilförmig verlaufende schwarze Wände eng. Auf diesem kleinen Raum spielen sich große Dramen ab, die textlich nah am Buch, in Tagebuchform teils gesprochen, teils über Band eingespielt werden. Lähmende Angst macht sich breit.

Der setzt die Frau zielgerichteten Pragmatismus entgegen. Sie arbeitet, um zu überleben, baut Kartoffeln und Bohnen an, macht Heu und Holz, die Tiere werden zur geliebten Familie. Und sie schreibt um ihr Leben, schreibt, um nicht ihren Verstand zu verlieren. Immer wieder muss sie herbe Verluste hinnehmen. Helfen kann sie sich nur selbst. Das Publikum sitzt längst zusammen mit der Frau in dieser Isoliertheit. Obwohl weder Hund noch sonst ein Tier je auf der Bühne erscheint, scheinen sie doch anwesend, so bildhaft der Text, so intensiv Bayers Spiel.

Ihre Wut ob ihrer Aussichtslosigkeit, ihr Kampf gegen alle Widrigkeiten des neuen Lebens, ihre Verlustangst und die Liebe zu den ihr anvertrauten Wesen, die ohne sie verloren wären. Ihre stetig wachsende Gleichgültigkeit über das nicht mehr Vorhandensein dieser anderen Welt, in der sie, wie immer wieder deutlich wird, noch einsamer war als jetzt. Die Wand hat sie verändert und irgendwie auch befreit. Wie tröstlich, die Erkenntnis, zu der sie gelangt: „Ich sehe, dass das noch nicht das Ende ist. Alles geht weiter“.

Ein Stück voller Tiefgang. Eine gelungene Inszenierung, die noch mehr Stille, Leere und (schmerzhaft) lange Pausen, in denen nichts und gerade deshalb so viel passiert, vertragen hätte.

Kirsten Benekam


Weitere Aufführungen: 3., 7., 17., 21., 24., 28.11., 12.12.; Karten: salzburger-landestheater.at