Ab 10. März im Handel
Kritik zu Miley Cyrus’ neuem Album „Endless Summer Vacation“

10.03.2023 | Stand 17.09.2023, 1:10 Uhr

Miley Cyrus auf dem Cover des Albums „Endless Summer Vacation“. Die Single „Flowers“ ist bereits ein Hit. −Foto: Columbia

„I can buy myself flowers“, diese Schlüsselzeile aus Miley Cyrus’ großem Hit „Flowers“ ist innerhalb weniger Wochen zu einem Schlachtruf der weiblichen Selbstermächtigung, oder, wie man heute sagt, des Female Empowerment, geworden. Lass mal gut sein, ich kann mir meine Blumen schon selbst kaufen. Passt immer, wenn sich jemand an einen ranwanzt mit unerwünschten Avancen oder auch nur dem unstillbaren Drang, der anderen, oft weiblichen, Person mal wieder erklären zu wollen, wie der Hase ganz grundsätzlich so läuft.

Zum Video von „Flowers“ gelangen Sie hier

„Flowers“, Anfang Januar veröffentlicht und seitdem praktisch überall in den großen Popländern auf Platz eins der Charts, ist aber auch ein genialer Song. Freundlich und unaufdringlich, aber eben auch eine wahrhaftige Hymne. Wenig verklausuliert thematisiert Cyrus in dem Song die Scheidung von ihrem Ex-Mann, dem australischen Schauspieler Liam Hemsworth. Aber das tut sie nicht so sarkastisch wie etwa Shakira das Thema auf ihrer Gerard-Piqué-Abrechnung umsetzt, sondern mit einem gewissen Rest an Zuneigung. Dennoch macht sie überzeugend deutlich, dass sie die Sache mit der Selbstliebe schon hinbekommen wird.

Klar, alles mit „Selbst“ im Begriff ist aktuell megatrendig, doch „Flowers“ ist auch als Song ein echter Knaller. Sehr griffig und melodisch, phänomenales Video, und dann dieser „Wir werfen die Hände in die Luft“-Moment im Refrain, wenn Miley „I can love myself better than you can“ singt – ich kann mich besser lieben, als du es je konntest. Das erinnert dann die Älteren schon sehr an Gloria Gaynors „I Will Survive“, adaptiert für die Generation Tik-Tok. Mit nun 30 Lebensjahren ist es Miley Cyrus auf „Flowers“ wie nie zuvor gelungen, ihr Charisma in ein wirklich maximal gelungenes Kunstwerk zu übertragen.

Mit diesem massiven Rückenwind hat Miley Cyrus mit ihrem achten Album „Endless Summer Vacation“ leichtes Spiel. Vor Veröffentlichung war nichts darüber durchgesickert, wie die Platte klingen würde. Das ist bei Cyrus keineswegs immer klar.

Auf „Endless Summer Vacation“ scheint die Tochter des Countrysängers Billy Ray Cyrus („Achy Breaky Heart“) ganz nah bei sich selbst angekommen zu sein. Vor allem der erste Teil des Albums erfreut mit wunderbar warmen Klangfarben, mit Country und Folk, mit viel Gitarre, Piano und überhaupt Handgemachtem. Man fühlt sich wohl in diesen Songs mit ihrem dezenten 70er-Einschlag.

„Jaded“ klingt wie eine lauschige Midtempo-Mischung aus „Crazy“ von Aerosmith und „Purple Rain“ von Prince, „Rose Colored Lenses“ erinnert an die hübschen, ruhigen Nummern von Taylor Swift. Die Akustikpianoballade „Thousand Miles“, mit Alternative-Country-Ikone Brandi Carlile, ist ein Höhepunkt des Albums, „You“ ist eine recht lässige Bar-Blues-Nummer.

Ein wenig Luft entweicht im zweiten Teil von „Endless Summer Vacation“. „Handstand“ ist von einer Spoken-Word-Passage getragen und lässt mit seinen Electrospielchen fast an Michael Cretus Enigma erinnern. Ohnehin kommen nun mehr Beats und mehr Bearbeitung ins Spiel, was den Liedern wenig guttut. Stark ist noch mal Sias wütender Gastauftritt im kompakten „Muddy Feet“. Und die neue Single „River“ hat eine knackige, fröhlich klingende, Synthie-Melodie.

Cyrus endet mit „Wonder Woman“, einer hinreißend gesungenen Stimme-und-Klavier-Ode an die Resilienz und das Kopf-über-Wasser-Halten in den Sturmfluten des Lebens. „She knows what she likes“ singt Miley. Sie weiß, was sie mag. Sie weiß, was sie will. Sie weiß, was sie kann. Und das ist sehr viel.

Steffen Rüth