Es geht um Freundschaft und Scham
Kinderfilm für die Weihnachtsferien: „Wer bist du, Mama Muh?“ geht tiefer, als man denkt

27.12.2023 | Stand 27.12.2023, 5:00 Uhr

Mama Muh langweilt sich schnell, sie will was erleben, zum Beispiel ein Musical aufführen – das gelingt ihr am Ende mit Hilfe mehrerer Elche. Aber eigentlich ist das Thema ein ganz anderes. − Foto: Constantin, Wild Bunch

„Hey, Wetter, da bin ich!“ Wer sich so vor den Stall stellt, wenn es draußen gerade ungemütlich wird, ist keine gewöhnliche Kuh. Einfach nur im Stall bleiben und mit den anderen Kühen Heu fressen, das liegt Mama Muh nicht. Sie träumt vom Eishockeyspielen, freut sich über Regen und Gewitter und würde am liebsten in einem „Muh-sical“ auftreten!

Nach den Büchern von Sven Nordqvist

Das schräge Rindvieh, das so gerne auf zwei Beinen durch die Gegend läuft, ist Eltern natürlich ein Begriff. Seit Mama Muh in ihrem ersten Buch vor 30 Jahren beschloss, gerne schaukeln zu wollen, sind die Vorlesebücher von Jujja und Tomas Wieslander mit den vielen tollen Bildern von Sven Nordqvist aus schwedischen und deutschen Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken.



Schon damals hatte Mama Muh die grummelige Krähe Krah an ihrer Seite, die immer sagt, was eine Kuh eigentlich alles nicht können und tun sollte. Und immer schon scherte sich Mama Muh darum nur phasenweise, denn viel schöner ist es doch, einfach das zu machen, was einem in den Sinn kommt. Aus den Abenteuern wurde mittlerweile auch eine Zeichentrickserie und zuletzt auch ein Film: „Mama Muh und die große weite Welt“.

Für „Wer bist du, Mama Muh?“ hat Peter Arrhenius erneut das Drehbuch geschrieben und Christian Ryltenius wieder die Regie übernommen. Der Animationsstil ist gewohnt und bewährt: detailliert getuschte, gemalte Hintergründe, eher flächige Figuren, ganz und gar kindertauglich. Der Film liegt also in erfahrenen Händen, und man könnte meinen, dass Eltern hier also beste 66 Minuten Kino fürs Vor- und Grundschulalter finden.

Das stimmt auch, aber das klingt zu langweilig für das, was hier passiert. Denn Arrhenius und Ryltenius achten durch eine episodische Struktur sehr darauf, dass die Aufmerksamkeit der jungen Zuschauer nicht überfordert wird. Aber das heißt nicht, dass sie das Publikum unterfordern. Denn das wichtigste Thema des Films ist nicht das Musical, das im Happy-End-Finale mit Unterstützung einiger Elche aufgeführt wird. Sondern ein verschwundener Teddybär. Genauer: der geliebte und schon ziemlich zerliebte Knuddelteddy von Lillebror, dem jüngeren Kind der Bauernfamilie.

Der bleibt irgendwann im Kuhstall liegen; Mama Muh nutzt ihn für ihre Musical-Fantasien – aber dann ist er plötzlich verschwunden. Mama Muh und die Krähe machen sich auf die Suche, was ziemlich dramatisch ist. Erst schwingt die Krähe sich in Hut und Sonnenbrille und gibt den Privatdetektiv wie in einem Film noir; das Bild wird schwarz-weiß und der Film bekommt Kratzer – welche Freude so ein Animationsfilm doch machen kann!

Überhaupt wird das Federvieh enorm aktiv: Es pudert sich mit Mehl ein, um – ganz weiß – undercover im Hühnerstall zu ermitteln. Und als die Krähe vom Gockel über den Hof gejagt wird, hockt sich das restliche Geflügel aufs Stalldach, um dem Spektakel mit Fernglas und Popcorn zuzusehen.

Es gibt also ein wenig Action, aber vor allem dreht sich der Film um den Teddybären. Das geht dem Publikum zu Herzen, und Mama Muh auch. Am Ende ist das Plüschtier erst schmutzig und noch zerfledderter als zuvor, weshalb sich die arme Kuh nicht traut, ihn zurückzugeben. Sie fühlt sich für Verlust und den Zustand des Knuddeltiers verantwortlich, deshalb versteckt sie den Teddy und eigentlich auch sich selbst. Eine Kuh, sagt sie sich, sollte keine Träume haben, sondern brav im Stall bei den anderen Kühen bleiben.

Es geht um beste Freunde und tiefe Scham

Das ist ein nachgerade existenzielles Drama um Schuld und Scham mit Themen, die jedes Vorschulkind versteht: „Wer bist du, Mama Muh?“ endet mit einer Antwort auf die Titelfrage, einem kleinen Weihnachtswunder und singenden, tanzenden Tieren. Weil es Liebe nicht schert, wie schmutzig und zerfleddert man ist, und weil selbstverständlich auch eine Kuh auf die Bühne darf – aber dann bitte eine richtige, mit Licht und Musik und allen Finessen.

Rochus Wolff


•Schweden 2023, von Christian Ryltenius, 66 Minuten, ab 0 Jahren

•Trailer auf pnp.de/kultur