Zwischen Ausstellung und Performance
Die „Sitzung“ ist eröffnet: Der italienische Designer Martino Gamper im Münchner Haus der Kunst

04.08.2023 | Stand 13.09.2023, 0:14 Uhr
Madleine Mahring

Mit dem neuen, spielerischen Werk „Sitzung“ des renommierten italienischen Designers Martino Gamper wird die Mittelhalle im Haus der Kunst zu einem sich ständig weiterentwickelnden sozialen Raum. Während der Laufzeit können die Stühle von Besuchern nach Belieben umgestaltet werden. Der Durchgangsraum soll sich so in einen Ort des Zusammenkommens verwandeln. −Foto: Judith Buss

Bei einem Wort kommt der Designer Martino Gamper (geb. 1971) dann doch ins Schlingern. Als der aus Südtirol stammende, jetzt in London lebende Künstler bei der Eröffnung seiner „Sitzung“ im Haus der Kunst erklären möchte, dass seine Stühle als „Medium“ wahrgenommen werden sollen. „Besessen, gesessen, besitzt, gesitzt...“ sucht er durchaus selbstironisch – und überlässt das sprachlich weite Feld dem animierten Publikum. Das verhält sich wunschgemäß: Nach einer Performance, die von Pina Bauschs Tanztheater mit Stühlen inspiriert ist, nimmt das Publikum Gampers Stuhl-Kreationen sogleich in Besitz.

Nach und nach tragen einzelne Performer Stühle in die große Eingangshalle herein. Extrem in den monumentalen Dimensionen, ist sie normalerweise mit ihrem kalten Marmorboden ein vollkommen leerer Ort des Transits. Jetzt füllt sie sich langsam, denn immer mehr von Gampers Sitzgelegenheiten werden fast rituell hereingetragen. Gamper hat sie nicht nur entworfen, sondern als Artist-in-Residence auch vor Ort gefertigt. In immer neuen Konstellationen und Konfigurationen werden sie aufgestellt und genutzt: mal zum Gespräch, zu stiller Betrachtung, zum Relaxen, dann wieder zur Isolation der Individuen oder als Basis für artifizielle Körper-Bewegungen. Jeden letzten Freitag im Monat, wenn das Haus der Kunst ab 16 Uhr „Open House“ bei freiem Eintritt bietet, wird diese Performance als „Work in Progress“ fortgesetzt und jeweils um neue Objekte erweitert.

Martino Gamper zählt längst zu den renommiertesten Designern. Nach einer Ausbildung als Möbeltischler im heimatlichen Meran, studierte er in Wien Bildhauerei bei Michelangelo Pistoletto, bevor er in London am Royal College of Art bei Ron Arad seinen Master-Abschluss in Design machte. Er arbeitete für namhafte Architekten wie Matteo Thun und internationale Firmen. Daraus resultiert auch die Kooperation mit den Designer-Lichtobjekten von Occhio, von denen ein Netz aus über hundert mattgoldenen Strahlern die Ausstellung illuminiert. 2007 wurde Gamper in London mit dem interdisziplinären Kunstprojekt „100 Chairs in 100 Days“ bekannt, eher berühmt, bei welchem er aus alten, ausrangierten Stühlen vom Müll unglaublich originelle Kunstobjekte schuf – und deren frühere Funktion kreativ aushebelte.

Im Haus der Kunst sind es Stühle unterschiedlichster Form, alle technisch hochkompliziert hergestellt: aus in Schichten gepressten Baumscheiben geschnitten, zum Teil mit Medaillons und Intarsien verziert. Äußerlich erinnern sie – die sich übrigens beim Probesitzen als äußerst bequem erweisen! - an bäuerliches Gute-Stube-Mobiliar oder lassen repräsentativ geschnitztes dörfliches Kirchengestühl assoziieren. Doch die nächsten Stuhl-Objekte sollen stilistisch ästhetisch variieren. Das heißt wiederkommen, denn dieses Langzeitprojekt endet erst im Frühjahr 2024.

Barbara Reitter


Bis 31. März 2024, Haus der Kunst München, Prinzregentenstraße 1, geöffnet Mo, Mi, Fr.-So. 10-20, Do. bis 22 Uhr; am letzten Freitag des Monats Performance bei freiem Eintritt ab 16 Uhr