Ab 1. Dezember im Kino
„Der kleine Nick erzählt vom Glück“ ist ein Zeichentrick-Kunstwerk

30.11.2022 | Stand 18.09.2023, 22:48 Uhr

So könnte das Glück aussehen: Der kleine Nick träumt in seinem Zimmer vor sich hin. −Foto: Onyx Films/Leonine/dpa

Im Jahr 1955 sitzen zwei Männer in einem Pariser Café und prosten sich zu. Jean-Jacques Sempé und René Goscinny stoßen an auf ihr gemeinsames künstlerisches Baby. In dieser Szene zu Beginn von „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ haben sich der Zeichner und der Texter gerade diesen titelgebenden, kleinen Nick ausgedacht: den französischen Jungen, dessen Alltagsabenteuer in den folgenden Jahrzehnten zum internationalen Klassiker werden sollten.

Simpel und kunstvoll

Sempé und Goscinny, der unter anderem auch „Asterix und Obelix“ und „Lucky Luke“ schuf, kreierten zusammen 222 Geschichten aus dem Leben und der Sicht des Heranwachsenden. Veröffentlicht wurden die zunächst zwischen 1959 und 1964 in der Regionalzeitung „Sud-Ouest Dimanche“, später dann in einer Reihe erfolgreicher Bücher zusammengefasst. Auch allerlei Verfilmungen der so klugen wie lustigen Anekdoten gab es darüber hinaus. „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ entpuppt sich unter diesen Adaptionen allerdings als ganz besondere Annäherung an den Kosmos des kleinen Jungen.



Einer der Gründe dafür ist sicherlich der Stil der Inszenierung. Ganz klassisch animiert wurde es vom Regie-Duo Amandine Fredon und Benjamin Massoubre als Zeichentrickfilm, wie es sie unter all den computeranimierten Geschichten heute kaum noch gibt. Das Schönste daran ist allerdings, wie „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ den charmanten Zeichenstil der Vorlagen in Bewegtbilder überträgt: Die Pariser Welt des kleinen Nick und all der anderen Figuren mit den großen Nasen, alles mit feinem, dünnem Strich gemalt, ganz simpel, aber gleichsam kunstvoll mit einer Fülle hübscher Details.

Dadurch, dass das Drehbuch dafür von Goscinnys Tochter Anne stammt, hat der Film nicht nur einen spürbar feinfühligen Umgang mit dem Stoff. Er will auch deutlich mehr sein als eine animierte Nummernrevue altbekannter Nick-Geschichten. „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ lässt sie zwar mit einfließen, stellt aber schließlich auch die Biografie der beiden Schöpfer und den Entstehungsprozess der Comics gleichberechtigt ins Rampenlicht. Auf bewegende Weise erinnert er so auch an die tiefe Freundschaft von Sempé, der erst am 11. August 2022 gestorben ist, und Goscinny, der völlig überraschend 1977 bereits im Alter von 51 Jahren an einem Herzinfarkt starb.

Federleicht und vielschichtig treibt die Geschichte dabei über unterschiedliche Ebenen durch Filmgegenwart und -vergangenheit, durch Fiktion und Wirklichkeit. Ausgehend von Zwiegesprächen der Erfinder mit Nick, der auf der Schreibmaschine oder auf dem Zeichenbrett herumspringt, schweift der Film dabei immer wieder auch durch die wichtigsten Stationen ihrer Leben und Karrieren. Mal landet er in Sempés schwieriger Kindheit. Mal mit dem jüdischen Goscinny während der Nazi-Zeit im von Deutschen besetzten Paris.

Trotz ernster und trauriger Momente gibt es für Kinder zahlreiche amüsante Szenen mit dem kleinen Nick und seiner Freundesclique – vom abenteuerlichen Schulschwänzen bis zu ersten Annäherungen an Mädchen, mit denen die Jungs bislang so gar nichts anfangen konnten.

Als , kluges und vielschichtiges Zeichentrick-Kunstwerk wird „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ vor allem aber das erwachsene Publikum erreichen, das die Bücher kennt und die Geschichte hinter den Comics versteht. Grund zum Anstoßen hätten Goscinny und Sempé bei diesem Film sicher einmal mehr gehabt.

Sascha Rettig


•F/Lux 2022, von Amandine Fredon und Benjamin Massoubre, 82 Minuten, frei ab 0 Jahren

•Den Trailer sehen Sie im digitalen Feuilleton auf pnp.de/kultur