94. Geburtstag am 24. März
"Sprachlaub": Martin Walser schreibt sich aus dem Leben

22.03.2021 | Stand 21.09.2023, 2:06 Uhr
Welf Grombacher

Hat sich in seinem Spätwerk sprachlich noch einmal neu erfunden: Martin Walser. −Foto: Felix Kästle/dpaHat sich in seinem Spätwerk sprachlich noch einmal neu erfunden: Martin Walser. −Foto: Felix Kästle/dpa

"Ich möchte lernen, von mir nichts / mehr zu erwarten", schreibt Martin Walser. "Weil ich von mir / nichts mehr zu erwarten habe – / ich weiß das. Aber glaube es nicht." Morgen, am 24. März, hat der Schriftsteller 94. Geburtstag. Heute erscheint sein Buch "Sprachlaub", zu dem seine Tochter Alissa zeitlose Aquarelle beigesteuert hat. Und es ist schon beeindruckend, mit welcher Beharrlichkeit Martin Walser gegen den Tod anschreibt. "Das Leben schleppt sich feierlich von Wort zu Wort", heißt es da in einem dieser zarten, schwebenden Texte, die irgendwo zwischen Gedicht und Meditation einzustufen sind. Und in einem anderen: "Mir vergeht vor Weiterem die Welt. / Die Illusion zu leben füllt mich aus / bis zur Unbegreiflichkeit."

Schon im 2018 erschienenen Band "Spätdienst" blickte Martin Walser, vom Alter zum Stillsitzen verdammt, von seinem Haus in Überlingen auf den Bodensee und auf die Berge am anderen Ufer. Schaute den Blättern im Wind zu, die nicht wissen, dass sie im Fallen sind. Das neue Buch schließt, wie schon der Titel ahnen lässt, nahtlos daran an.

Martin Walser komponiert damit weiter an seinem eigenen Requiem. Die Worte sind lichter geworden. Und obwohl es nur um das Alter und den Tod geht, kann man sich diesen versprengten Zeilen kaum entziehen. "Wer’s jetzt noch eilig hat, ist ein Narr", schreibt der Mann, bei dem Schreiben und Leben fast von Anfang an zusammenfielen. Und: "Wahr ist nur, was schön ist."

Jetzt im Alter schaut er beschämt in den glänzenden Tag, staunt wie "Himmel und Seeseide" ineinander über gehen und ist in seinen späten Jahren noch tatsächlich "ein Landschafter geworden". Von Leben überflutet fühlt er sich, wenn ein Tierblick ihn trifft. Aufmerksam lauscht er der Amsel, die ihm singt: "Du brauchst keine Vergangenheit, sagt sie, / Zukunft genügt."

Die Ohren sind morgens verschlossen. Der Nacken will am Mittag den Kopf nicht mehr tragen. Gegen Abend werden die Kreuzschmerzen unerträglich. Da kommt ihm schon mal der Gedanke, mit dem Messer die Ader zu ritzen und im Badezimmer "das ewige Taumeln" zu beenden. "Oh lass mich gehen, Leben, / als wäre ich nie gewesen!", heißt es an einer Stelle. "Ich kann nicht sagen, dass ich gern sterben würde, / aber ich kann sagen: ich wäre gern tot." Aber im nächsten Moment ersticken ihn wieder die "Schönheiten der Welt" und er will "bis zum letzten Abend leben".

Martin Walser, der mit wortgewaltigen Romanen wie "Ehen in Philippsburg" (1957), "Halbzeit" (1960) und "Ein fliehendes Pferd" (1978) der wurde, der er ist – der "Großschriftsteller vom Bodensee" – hat sich in den schwerelosen Büchern seines Spätwerks noch einmal völlig neu erfunden. Zwar offenbarten seine bezaubernden Meßmer-Bücher (1985– 2013) immer schon auch diese Seite von ihm. Aber die unglaubliche Leichtigkeit und die entwaffnende Authentizität, mit der er sich seit "Statt etwas oder Der letzte Rank" (2017) konsequent aus dem Leben schreibt, sucht ihresgleichen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Als würde er aus seinem Sterben ein Gedicht machen, sitzt er da und lauscht im Sommer den Stimmen, die über den See hallen. "Ich will sie sparen, dass ich in der Winterstille / etwas zu hören habe." Ein starkes Bild. Schöner hätten das auch Hugo von Hofmannsthal oder Rainer Maria Rilke nicht dichten können.

Welf Grombacher

Martin und Alissa Walser: Sprachlaub. Rowohlt, 144 Seiten, 28 Euro