Malerei als Videoshow
Ist das Kitsch oder Kunstvermittlung? Der Boom immersiver Lichtsshows

28.01.2022 | Stand 21.09.2023, 1:47 Uhr
Christiane Oelrich

Transformationskunst ist mittlerweile ein weltweiter Trend. Die Bilder und das Leben von Frida Kahlo sind Vorlage für die immersive Inszenierung, die mittels Hochleistungsvideoprojektionen, Licht- und akustischer Effekte präsentiert wird. −Foto: Andy Juchli

Furiose Gitarrenklänge, dazu eine Frauenstimme, die mit mexikanischem Akzent deutsche Texte liest, und an den Fabrikwänden jede Menge überdimensionale Frida-Kahlo-Bilder: Das ist die "Viva Frida Kahlo"-Show in Zürich, die schon in den ersten zwei Monaten mehr als 50000 Besucher angezogen hat.

In einem einstigen Industrieviertel unweit der Innenstadt ist die ausgediente Halle einer Maschinenfabrik der "immersiven Kunst" gewidmet, mit der ein "Eintauchen" der Besucher, die die virtuelle Illusion als Realität erleben sollen, bezeichnet wird. Die Macher sprechen von einem "Lichtmuseum". Anders als in Museen gibt es keine Originalwerke, keine Wärter, die Besucher in Schach halten, und Kinder können überall nach Lust und Laune fangen spielen.

Deutsche Veranstalter auf dem Erfolgszug

Das Geschäft mit immersiven Ausstellungen boomt. Tokio, Shanghai, Amsterdam, New York, Melbourne – van Gogh, Monet, Klimt, Dali, Picasso, Hundertwasser – gerade die Superstars der Malerei kommen dabei zum Einsatz, oft in ehemaligen Lager- und Industriehallen. Auch in Deutschland sind Veranstalter auf den Erfolgszug gesprungen, in Köln, Bremen, Dresden, Berlin, München und an anderen Standorten.

Im vergangenen Sommer und Herbst sind es zum Beispiel Vincent van Goghs Werke, die im Rahmen einer Multimedia-Ausstellung in München über die hohen Wände einer Veranstaltungshalle wandern. Portraits, Landschaftsmalereien, Stillleben und Selbstdarstellungen des Malers wechseln sich ab, fließen in der Videoinstallation Detail für Detail ineinander, bis sie ein neues Bild ergeben. Manchmal greifen die Macher nur einen Teil heraus und wecken es mit Soundeffekten und Bewegungen zum Leben, eine Figur zum Beispiel, oder eine Wolke, die zu einem handfesten Gewitter heranwächst. Musik untermalt das Visuelle − zarte Geigentöne, wenn die Bilder an der Wand Harmonie zeigen, oder Vivaldis Sommer, wenn es dramatisch wird.

Die Shows laufen in Endlosschleife. Dass grober Backstein mal eine Beule im Gesicht oder Wandvorsprünge einen Knick im Seerosenteich erzeugen – geschenkt. Dafür erwachen die Kunstwerke zum Leben: Ein Zug aus einem Monet-Bild dampft plötzlich animiert über die Wand, Skelette aus Frida Kahlos Werken legen ein Tänzchen ein. Besucherinnen und Besucher sollen ganz eintauchen in die Werke der Protagonisten. Für "Kunstgenuss mit digitaler Tiefe" werben die Veranstalter der Frida-Kahlo-Show: "Pixel ersetzen Pinselstriche".

Kritik: Kitsch und Stimmungsduselei

Die "Süddeutsche Zeitung" tat solche immersiven Ausstellungen 2019 als "bunten Bombast aus Licht, Skulptur und Digitalem" ab und sprach von Stimmungsduselei und Kitsch. Der Co-Produzent der Kahlo-Show, Darko Soolfrank, spricht dagegen von Wissensvermittlung auf unterhaltsame und spielerische Weise. "Wir versuchen, alle Sinne anzusprechen, und wollen die Menschen über Emotionen erreichen", sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Die 45-Minuten-Show kostet am Wochenende knapp 30 Euro pro Erwachsenem.

Vor dem Betreten des Lichtspektakels in der MAAG-Lichthalle gibt es eine Zeittafel mit den Stationen in Kahlos Leben. Neben den Bildern werden auch Fotos an die Wände projiziert. "Wir haben alles, von Schulklassen über den klassischen Museumsgänger bis zu den jungen Urbanen und TikToker", sagt Darko Soolfrank. Museen kämen eher steif daher. "Bei uns ist es lockerer, es gibt keine Hemmschwelle."

Oft liegen da einfach ein paar Sitzsäcke rum, wie bei der Münchner Van Gogh-Ausstellung. Wer keinen ergattert, setzt sich an eine Wand auf den Boden und genießt die Show. Oder wandelt durch die große Halle, denn auf den einzelnen Aufstellwänden landen verschiedene Bildausschnitte. Aus verschiedenen Perspektiven wirkt die Visualisierung anders. Zwischen den Werken des Künstlers werden Hintergrundinformationen eingeblendet. Sie erzählen, wie van Gogh lebte, wie er starb, wie er malte und sich als Künstler entwickelte.

Herausforderung für Museen: Mit Medien mithalten

Elke Kollar, Vorsitzende des Bundesverbandes Museumspädagogik, findet den immersiven Ansatz spannend. Das Eintauchen könne die Wahrnehmung der Kunst schärfen, sagt sie. "Ich sehe dies nicht als direkte Konkurrenz zu Museen", sagt sie. Auch für Museen könnten solche Formate attraktiv sein, denn für viele sei es eine Herausforderung, mit neuen Medien Schritt zu halten.

Kollar vom Bundesverband Museumspädagogik sagt, alle Annäherungsweisen an Künstlerinnen und Künstler hätten ihre Berechtigung. Immersive Ausstellungen könnten Distanz zur Kunst auflösen. "Vielleicht sehe ich das Original ganz anders nach einer Immersion", meint sie. Kulturvermittler fragten sich oft, wie Museen zeitgemäßer gemacht werden könnten. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur nach klassischem Zielpublikumsschema arbeiten sondern auch sehen, was die Menschen wünschen", sagte sie.

Christiane Oelrich

und Florentina Czerny