PNP-Spendenaktion
Nikolauswünsche: Wovon beeinträchtigte Flüchtlinge in der Ukraine träumen

16.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:16 Uhr

Oleksij Buhjev (20) zeigt eines seiner vielen Bilder, die er in der Einrichtung gemalt hat. Darauf steht auf Ukrainisch: Unsere Ukraine, Familie, unser Charkiw, Saporischschja. −Fotos: Huber

Nach der Vertreibung aus der Ostukraine wünscht sich Oleksij (20) ein normales Leben – wie viele Patienten in der psychiatrischen Einrichtung in Zaklad. CARE und seine Partner stampften das Haus aus dem Boden, weil Männer wie Oleksij im Krieg durch alle Raster fallen.



Oleksij Buhjev ist aufgeregt. Unruhig geht er auf einem der kühlen, hohen Korridore der psychiatrischen Klinik des Bezirks Mykolajiw im Westen der Ukraine auf und ab. Er wirkt weder gestresst noch nervös, vielmehr ist Oleksij in freudiger Erwartung.

Die Gesangseinlagen der Flüchtlinge zum Nikolaustag sehen Sie hier im Video:



Den Grund dafür verrät er schnell: Es geht um das bevorstehende Weihnachtsfest, genauer den Nikolaustag. Der findet in der Ukraine, anders als in Bayern, erst Mitte Dezember statt. In diesem Jahr fällt der Tag auf den 19. Doch Oleksij hat seinen Wunschzettel für den Heiligen bereits geschrieben. Er wünscht sich vor allem eins: mehr Normalität in seinem Leben.

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Denn für Oleksij hat sich mit dem russischen Überfall am 24. Februar vieles verändert. Er ist 20 Jahre alt, hat kurze Haare, ist kaum 1,70 Meter groß und lebt mit einer geistigen Beeinträchtigung in der Klinik in dem kleinen Ort Zaklad südwestlich von Lviv. Die Einrichtung hat erst im Herbst ihren Betrieb aufgenommen. Hastig haben Hilfsorganisationen wie CARE und lokale Partner sie aus dem Boden gestampft, um in den Kriegswirren Menschen wie Oleksij schnell zu helfen. Weswegen er genau hier ist, verrät er nicht. Ebenso wenig, woher er kommt und weshalb er dort weg musste. Für ihn dreht sich an diesem Abend alles um den Nikolaus.

Halb zerfallenes Gebäude wird kurzfristig zur Klinik

Vor wenigen Minuten haben er und drei andere Patienten zusammen mit einer Pflegerin bereits ein Lied für den Heiligen gesungen – lautstark und synchron. Doch Oleksijs Talente stehen heute alle unter vorweihnachtlichem Zeichen. „Ich kann gut malen und schreiben“, sagt er. Deshalb habe er einige Bilder für Sankt Nikolaus vorbereitet. Alles, damit seine Wünsche in diesem Jahr in Erfüllung gehen: Er möchte eine eigene Wohnung, ein Mädchen, wie er sagt, und eine Familie.

Derzeit hat Oleksij nichts davon. Darüber Aufschluss gibt sein Psychiater Jhoe Sosnylo. Der Arzt betreut 40 Männer in der noch jungen Klinik. Vor ihrer Gründung überließ man das alte Schloss mit dem großen Garten, der imposanten Einfahrtsallee und den alt-ehrwürdigen Räumlichkeiten dem langsamen Zerfall. Doch Not macht erfinderisch – und eine Einrichtung für Menschen wie Oleksij musste dringend her. Deshalb setzen die NGO CARE mit lokalen Partnern und die Patienten selbst das baufällige Gebäude nun in Stand. CARE stiftete Küchengeräte und half dabei, das alte Gebäude bewohnbar zu machen. Bisher ist nur eine Station samt Gemeinschaftsraum und einigen Schlafsälen fertig.

Die Männer, die schon jetzt hier leben, sind Vertriebene aus dem Osten, sagt Sosnylo. Hier bewegen sie sich auf unbekanntem Terrain, ohne soziale Netze. Das erschwere seine Arbeit. Die Angehörigen der Patienten leben verstreut in der gesamten Ukraine, er selbst wisse zu wenig über seine Schützlinge. Viele der Männer sprächen weder über ihre Herkunft noch über ihre Krankheit.

Anders Pavlo Tecmakov. Er stammt aus Saporischschja und spricht ganz offen über sein Leben. Der große, schlanke Mann mit lichtem Haar ist 40 Jahre alt und lebt seit seiner Kindheit in Einrichtungen wie dieser. Der Grund für seinen Aufenthalt hier sei, dass er ein Waise ist. Immer wieder beteuert er, dass er gesund sei – nur stecke er im System fest. Auch er wünscht sich eine eigene Wohnung und vor allem, dass der Krieg bald zu Ende geht. „Ich will ein normales Leben“, sagt er.

Doch der Krieg verhindert Alltag in der Ukraine, stellt nach wie vor viele Leben auf den Kopf. „Ich hatte große Angst, als auf Saporischschja geschossen wurde“, sagt Pavlo in ruhigem Tonfall. Hier gehe es ihm besser, hier sei es sicher. Nur anfangs habe er sich fehl am Platz gefühlt. Inzwischen ist er zuhause, hat sich in die Gemeinschaft integriert und beim Ausbau der Einrichtung geholfen. Pavlo ist auch deshalb engagiert, weil er sich Hilfe beim Aufbau eines eigenen Lebens erhofft. Er will raus aus dem System, das noch aus Sowjetzeiten stamme. Einmal drin sei der Ausstieg jedoch schwierig.

Psychiater will europäische Standards für Patienten

Das kritisiert auch Psychiater Sosnylo. Er sieht sich als Helfer beim Aufbau eines eigenen Lebens, will den Umgang mit psychisch Kranken in seinem Land verändern. Die Männer sollen auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereitet werden, er will europäische Standards implementieren.

Doch noch fehlt es in vielen Bereich: Es brauche unbedingt sanitäre Verbesserungen, sagt der Psychiater. Auch Computer und Arbeitsmaterialien seien Mangelware. Sosnylo wünscht sich Hilfen zur Selbsthilfe. Damit die Sankt-Nikolaus-Wünsche von Oleksij und Pavlo auf ein selbstbestimmtes Leben eines Tages tatsächlich Wirklichkeit werden können.