Bundesverfassungsgericht
Karlsruhe prüft Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition

23.04.2024 | Stand 24.04.2024, 22:30 Uhr

Bundesverfassungsgericht verhandelt zu Bundeswahlrecht - Ein Wähler wirft seinen Stimmzettel zur Bundestagswahl in die Wahlurne. - Foto: Michael Kappeler/dpa/Symbolbild

Das von der Ampel-Koalition durchgesetzte neue Wahlrecht wurde vor allem von der Union stark kritisiert. Sogar von „Manipulation“ war die Rede. Nun berät das höchste deutsche Gericht über die Reform.

Rund eineinhalb Jahre vor der Wahl des nächsten Bundestags stehen die Regeln dafür auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts. Dieses befasst sich ab Dienstag (10.00 Uhr) in einer zweitägigen mündlichen Verhandlung mit der Wahlrechtsreform, die die Ampel-Koalition im vergangenen Jahr durchgesetzt hat. Ihr Ziel ist es, den bei der Wahl 2021 auf 736 Abgeordnete angewachsenen Bundestag wieder deutlich zu verkleinern.

Mit der Gesetzesänderung wurde die Zahl der Sitze auf 630 gedeckelt. Erreicht werden soll dies durch den Verzicht auf Überhang- und Ausgleichsmandate, die den Bundestag bisher immer weiter anwachsen ließen. Überhangmandate entstanden, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate im Bundestag gewann als ihr Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden. Diese Überhangmandate durfte sie behalten. Die anderen Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate.

Für die Zahl der Sitze einer Partei im Parlament ist künftig allein ihr Zweitstimmenergebnis entscheidend - auch dann, wenn sie mehr Direktmandate geholt hat. Dann gehen die Wahlkreisgewinner mit dem schlechtesten Erststimmenergebnis leer aus. Dies träfe vor allem die Unionsparteien. Bei der Bundestagswahl 2021 gewann die CSU 45 Direktmandate. Elf davon waren Überhangmandate, die sie nach dem neuen Wahlrecht nicht mehr bekäme. Weitere zwölf Überhangmandate holte die CDU in Baden-Württemberg. Zusammen waren dies 23 von insgesamt 34 Überhangmandaten, die wiederum 104 Ausgleichsmandate zur Folge hatten.

Wegfallen soll auch die sogenannte Grundmandatsklausel. Sie bewirkte, dass eine Partei, die unter der Fünf-Prozent-Hürde blieb, trotzdem in Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einzog, wenn sie mindestens drei Direktmandate errungen hatte. Davon profitierte bisher vor allem die Linke. Bei der Bundestagswahl 2021 kam sie zwar nur auf 4,9 Prozent der Zweitstimmen. Da sie in Berlin und Leipzig insgesamt drei Direktmandate gewann, konnte sie trotzdem 39 Abgeordnete in den Bundestag schicken.

Für die CSU aus Bayern könnte der Wegfall der Grundmandatsklausel besonders bitter werden. Würde sie bundesweit hochgerechnet unter die Fünf-Prozent-Marke rutschen, flöge sie nach dem neuen Wahlrecht aus dem Bundestag - auch wenn sie wieder die allermeisten Wahlkreise in Bayern direkt gewinnen sollte. Bei der Wahl 2021 war die CSU bundesweit auf 5,2 Prozent der Zweitstimmen gekommen.

„Die Reform kann dazu führen, dass einzelne Wahlkreise und sogar ein ganzes Bundesland nicht mehr im Bundestag von der Partei vertreten sind, die vor Ort die Mehrheit und die meisten Wahlkreise gewinnt“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND). Vertreter der Regierungsfraktionen wiesen Merz' Kritik zurück. „Die Union ist bis heute als Bremser jeder wirksamen Größenbegrenzung des Bundestages aufgetreten und damit direkt verantwortlich für den heutigen XXL-Bundestag“, sagte der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann dem RND.

Den Gang nach Karlsruhe angetreten haben 195 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die bayerische Staatsregierung, die CSU, die Linke, die Linke-Bundestagsfraktion, Bundestagsabgeordnete der Linken mit über 200 weiteren Privatpersonen sowie mehr als 4000 weitere Privatpersonen. Die Antragsteller und Beschwerdeführer sehen sich nach Angaben des Bundesverfassungsgerichts insbesondere in zwei Grundrechten verletzt: bei der Wahlrechtsgleichheit nach Artikel 38 Grundgesetz und beim Recht auf Chancengleichheit der Parteien nach Artikel 21 Grundgesetz.

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