PNP-Spendenaktion 2023
Hände weg von unseren Mädchen: Aktion gegen Kinderehen und Genitalverstümmelung

18.12.2023 | Stand 10.01.2024, 13:26 Uhr
Philipp Hedemann

Reis ernten, trocknen und verlesen gehört zu den Aufgaben von Mariam Konneh. Die heute 23 Jahre alte Frau wurde mit dreizehn Jahren verheiratet und hat kaum Schulbildung. „Ich werde für immer hier im Dorf leben müssen“, sagt Mariam.  − Fotos: Hedemann

Wie viele Mädchen in Sierra Leone ist Mariam Konneh als Kind mit einem Mann verheiratet worden und mit 13 Jahren zum ersten Mal schwanger geworden. Die frühe Mutterschaft hat ihr die Kindheit und die Chance auf Bildung gestohlen.

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„Ich war eigentlich selbst noch ein Kind, als ich mein erstes Kind bekam. Das war nicht gut“, sagt Mariam Konneh, während sie ihre Tochter Musa auf dem Schoß hält. Musa ist sechs Monate alt. Ihr älterer Bruder Fudri ist fünf, ihre ältere Schwester Jenneh neun und ihre Mutter 23 Jahre alt. Mariam Konneh war in der fünften Klasse, als sie mit einem rund 20 Jahre älteren Mann verheiratet und schwanger wurde. Der Beginn ihrer Ehe war für sie zugleich das Ende ihrer Schulzeit – und ihrer Kindheit. Bis vor wenigen Jahren durften sichtbar schwangere Mädchen in Sierra Leone nicht in die Schule gehen. Die grausame Logik: Die meist unfreiwillig schwangeren Mädchen sollten ihren Mitschülerinnen nicht als schlechtes Beispiel dienen. „Zunächst hat mich das nicht groß gestört. Ich bin nie gerne zur Schule gegangen. Erst später habe ich begriffen, was ich alles verpasst habe“, sagt Mariam.

Während ihre Freundinnen zur Schule gingen, musste Mariam im Haushalt und auf den Feldern ihres alten Mannes arbeiten. Als sie als Kind zum erstem Mal Mutter wurde, musste sie zu früh Verantwortung für ein anderes Kind übernehmen. „Einige meiner Freundinnen haben in der Schule viel gelernt und haben jetzt gute Jobs in der Stadt. Ich werde immer hier im Dorf bleiben müssen“, sagt die dreifache Mutter, die kaum lesen und schreiben kann.

„Ich wusste nicht, wie man schwanger wird“

„Ich wusste damals nicht, wie man schwanger wird und wie man sich vor einer Schwangerschaft schützen kann. Und es gab niemanden, den ich dazu hätte fragen können“, berichtet die zu jung Mutter gewordene Frau. Noch immer ist es vor allem in ländlichen Gemeinden ein Tabu, über Sex und Verhütung zu sprechen, und Verhütungsmittel sind oft nicht verfügbar. Nach Schätzungen nutzt nur rund ein Fünftel der in einer Beziehung lebenden Frauen im gebärfähigen Alter in Sierra Leone moderne Verhütungsmittel. Zum Vergleich: In Deutschland sind es über zwei Drittel. Entsprechend oft kommt es zu ungewollten Schwangerschaften. Vor allem wenn die Mütter, so wie Mariam, sehr jung sind, kommt es zu oft schwerwiegenden Komplikationen. 443 von 100.000 Müttern in Sierra Leone sterben bei der Geburt, in Deutschland sind es vier. Zudem erleben in dem westafrikanischen Land mehr als 70 von 1000 Kindern ihren ersten Geburtstag nicht.

Aktion gegen Kinderehen und Genitalverstümmelung



Trotzdem wurden nach Schätzungen in den letzten Jahren immer mehr Mädchen minderjährig verheiratet. Weil sie für ihre Töchter meist einen Brautpreis erhalten – einen Sack Reis, eine Ziege, ein kleines Stück Land, das Recht, einen Brunnen mitzubenutzen – und sich anschließend zudem um ein Kind weniger kümmern müssen, boomen Kinderehen vor allem in Krisenzeiten. Und Krise ist in Sierra Leone eigentlich immer. Erst Bürgerkrieg, dann Ebola, dann Corona, jetzt eine schwere Wirtschaftskrise mit steigenden Lebensmittelpreisen.

„Hands off our girls!“ – auf Deutsch: „Hände weg von unseren Mädchen!“ lautet deshalb eine von Fatima Maada Bio, Sierra Leones First Lady, ins Leben gerufenen Kampagne, die Mädchen vor weiblicher Genitalverstümmelung und Kinderehen schützen soll. Die Frau des Präsidenten weiß, wovon sie spricht. Als Teenagerin sollte sie selbst gegen ihren Willen verheiratet werden, entkam der arrangierten Ehe nur durch Flucht ins Ausland.

Doch vielen Mädchen gelingt es nicht zu fliehen, bevor die Ehe für sie zum Gefängnis wird. Da Kinderehen mittlerweile in Sierra Leone offiziell verboten sind, wurde Mariam Konneh wie Hunderttausende andere Mädchen nur in einer traditionellen Zeremonie vermählt. Sollte ihr deutlich älterer Ehemann irgendwann sterben oder sie sitzenlassen, könnte es passieren, dass sie und ihre bislang drei Kinder vollkommen leer ausgehen.

Dorfhelfer beraten heute Mädchen und klären auf

Um dies zu vermeiden und um Mädchen und Frauen zu einer selbstbestimmten Sexualität und Familienplanung zu verhelfen, sprechen die MoPADA-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer vertrauensvollen Atmosphäre und ohne erhobenen Zeigefinger immer wieder insbesondere mit Mädchen und Frauen über Verhütung und Familienplanung.

„Ich wäre froh gewesen, wenn es so ein Angebot schon vor zehn Jahren gegeben hätte. Dann wäre mein Leben wahrscheinlich anders verlaufen“, sagt Mariam Konneh. Um ihren Töchtern ihr eigenes Schicksal zu ersparen, möchte sie die Kinder rechtzeitig aufklären. Konneh: „Sie sollen erst mal in die Schule gehen und etwas lernen. Später können sie so viele Kinder bekommen, wie sie wollen. Aber ganz bestimmt nicht so früh wie ich.“