Mit 70 noch auf Job-Suche
Interview mit Trainer-Legende Felix Magath: „Ich rechne jede Sekunde mit einem Anruf“

01.05.2024 | Stand 02.05.2024, 21:40 Uhr

Professioneller Auftritt auch beim Spargelstechen: Felix Magath sprüht mit seinen 70 Jahren voller Energie, wie er im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen auf Einladung von Spielerberater Michael Koppold (u. a. Daniel Bierofka, Stefan Lex) bewies. Foto: M. Schalk

Auch mit inzwischen 70 Jahren will Felix Magath weiter im Profi-Fußball mitmischen und bringt sich fleißig selbst ins Gespräch. Wie auch im Interview mit dem Donaukurier am Rande des Schrobenhausener Spargelmarkts, dessen Ehrengast der gebürtige Aschaffenburger war.



Europameister und zweifacher Vizeweltmeister sowie Siegtorschütze im Finale des Europapokals der Landesmeister als Spieler – dazu zweimal hintereinander Double-Sieger als Trainer mit dem FC Bayern und zudem Premierenmeister mit dem VfL Wolfsburg: Die Karriere von Felix Magath auf dem Feld und an der Seitenlinie ist herausragend.

Herr Magath, Hand aufs Herz: Wie oft hat Max Eberl bei Ihnen in den vergangenen Tagen und Wochen schon angerufen?
Magath: Der Herr Eberl hat, so glaube ich, meine Nummer verlegt. Er wollte immer mal anrufen, aber er hat es noch nicht geschafft.

Eigentlich unverständlich – schließlich benötigt der Sportvorstand für den FC Bayern noch einen kompetenten Cheftrainer für die kommende Saison. Also jemanden wie Sie...
Magath: (lächelt) Ich rechne tatsächlich jede Sekunde mit einem Anruf von ihm.

Würden Sie es sich überhaupt nochmals zutrauen, den FC Bayern zu trainieren? Von 2004 bis 2007 hatten Sie es ja schon einmal getan – und damals war es Ihnen sogar gelungen, als erster Chefcoach überhaupt in Deutschland zweimal hintereinander das nationale Double einzufahren...
Magath: Nicht nur als Erster überhaupt – sondern bis jetzt auch einziger. Alle anderen sind bisher an dieser großen Aufgabe gescheitert.

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Andererseits ist das Ganze nun knapp zwei Jahrzehnte her. Würde Sie dieses schwierige Amt in München tatsächlich ein weiteres Mal reizen?
Magath: Da sage ich ganz klar: Ja. Ich möchte sehr gerne wieder als Trainer arbeiten – und dabei meine Erfahrungen, die ich über Jahrzehnte hinweg im Fußball gesammelt habe, weitergeben. Ich traue mir zu, allen Vereinen zu helfen. Also auch dem FC Bayern.

Warum tun sich die Münchner momentan so schwer, einen aus ihrer Sicht geeigneten Trainer zu finden?
Magath: Das kann ich jetzt aus der Ferne zwar nicht beurteilen – aber einen guten Eindruck macht das momentan nicht. Andererseits, so glaube ich, hat der FC Bayern zurzeit größere Probleme – und nicht nur ein Trainerproblem.

Freude über Leverkusener Titelgewinn



Welche denn?
Magath: Naja, die kann ich so genau nicht sagen. Ich kann nur das wiedergeben, was man als Fan, als Zuschauer von außen sieht. Und danach scheint es im Moment nirgendwo bei den Bayern zu stimmen.

Freuen Sie sich, dass sich heuer nun Bayer Leverkusen den Meistertitel gesichert hat?
Magath: Ja, aber ich denke mal, da bin ich nicht der Einzige. Es war ja fast nicht mehr auszuhalten, dass die Bayern auch im vergangenen Jahr, obwohl sie eine schlechte Saison gespielt hatten, doch nochmals Meister geworden sind. Ich denke, der Leverkusener Titelgewinn jetzt tut nicht nur dem Fußball und den anderen Vereinen gut, sondern auch dem FC Bayern München. Das ist für ihn ein zusätzlicher Ansporn, wieder mehr zu tun, um dann im nächsten Jahr doch wieder Meister zu werden.

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Zur Bundesliga ganz allgemein: Gleich drei deutsche Klubs stehen nun im Halbfinale der internationalen Wettbewerbe, ein fünfter Champions-League-Platz für 2024/25 ist uns nahezu schon sicher. Sind wir im Vergleich zu den anderen Ländern in Europa tatsächlich wieder stärker geworden?
Magath: Ich denke mal, dass das mehr Augenwischerei ist als Analyse. Wenn man einen längeren Zeitraum betrachtet, dann kann man nicht anders, als festzustellen, dass der deutsche Fußball in den vergangenen Jahren doch nachgelassen hat. Und das gilt nicht nur für den Vereinsfußball, sondern natürlich auch für die Nationalmannschaft.

Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
Magath: Zunächst einmal finde ich es sehr fahrlässig, dass man die Erfahrung, die viele über Jahre hinweg gesammelt hatten, plötzlich kaum mehr nutzen wollte. Es gibt ja kaum noch gute ehemalige Spieler, die als Trainer arbeiten. Das war vor ein paar Jahren noch ganz anders gewesen.

Probleme durch fehlende Kontinuität



Und weshalb änderte sich das?
Magath: Weil man die deutschen Trainer in den letzten Jahren ständig geschwächt hat. Weil man immer wieder sofort sagte: „Der Trainer ist das schwächste Glied, also müssen wir uns von ihm trennen, weil wir ja nicht die Spieler entlassen können.“ Die Entwicklung zeigt jedoch, dass das der falsche Weg war, denn mit einem neuen Trainer wurde es in den meisten Fällen nicht unbedingt besser.

Womit wir beispielsweise wieder beim FC Bayern wären?
Magath: Ja, auch er ist mittlerweile in dieses Fahrwasser geraten, dass er im Grunde immer wieder sofort einen neuen Trainer verpflichtet, wenn nicht alles hundertprozentig nach Wunsch läuft. Damit kann keine Kontinuität in die fußballerische Entwicklung kommen – denn jeder neue Trainer hat andere Ideen als sein Vorgänger, arbeitet anders. Es ist doch logisch, dass dadurch Probleme entstehen, nicht zuletzt für die Spieler.

Sie waren ja auch schon beim FC Fulham in der Premier League tätig. Finden Sie das englische Modell besser, bei dem der Cheftrainer gleichzeitig auch als Manager fungiert – also deutlich mehr Macht hat als in Deutschland?
Magath: Ich sehe es tatsächlich als Problem an, dass man bei uns einfach nicht akzeptieren will, dass diese Art zu arbeiten sehr erfolgversprechend sein kann. Obwohl es dafür gute Beispiele gibt. Schauen Sie: Ich war damals, in meiner Zeit beim VfL Wolfsburg, nicht nur Trainer, sondern auch Manager und Vorstand...

... und wurden in der Saison 2008/09 mit den Niedersachsen völlig überraschend Deutscher Meister ...
Magath: Da hat man gesehen, was möglich ist, wenn einer alleine eine Entwicklung verantworten und Entscheidungen dafür fällen darf. Wenn mehrere Leute das Sagen haben, muss man immer wieder Kompromisse machen – und das verfälscht die ursprünglichen Pläne des Trainers. Nun gut: Mit Dortmund, den Bayern und Leverkusen haben wir heuer mal wieder eine Ausnahme – aber insgesamt hatten die deutschen Vereine doch zuvor immense Schwierigkeiten, sich international durchzusetzen.

„Deutsches Finale in der Champions League wäre ein Traum“



Weil Sie jetzt gerade Dortmund und Bayern gesagt haben: Glauben Sie an ein Champions-League-Finale 2.0 der beiden Klubs heuer in Wembley?
Magath: Da sie mit Abstand die beste Mannschaft in der Liga besitzen, hätten die Bayern eigentlich auch wieder Meister werden müssen. Das hat bekanntermaßen nicht so funktioniert, und sie sind auf nationaler Ebene weit unter ihrem Leistungsvermögen geblieben. Aber der FC Bayern hat in den Europapokalspielen immer gezeigt, dass er international wettbewerbsfähig ist – und insofern glaube ich, dass der FC Bayern tatsächlich erneut das Finale erreichen wird. Bei den Dortmundern muss man ein bisschen skeptischer sein – aber ich traue es auch ihnen zu, dass sie ihr Halbfinale gewinnen. Und ein deutsches Endspiel zwischen FCB und BVB wie 2013, das wäre echt ein Traum.

Wenn wir schon gerade so optimistisch sind, machen wir mit der deutschen Nationalmannschaft weiter: Beschert sie uns heuer bei der Europameisterschaft im eigenen Land ein ähnliches Sommermärchen, wie wir es bereits bei der WM 2006 erleben durften?
Magath: Ich hatte schon vor einem Jahr gesagt, dass ich fest davon überzeugt bin, dass die deutsche Nationalmannschaft eine gute EM 2024 absolvieren wird, weil das Publikum immer einen großen Anteil an der Entwicklung eines Spiels hat. Bei der Heim-EM ist das selbstredend auf unserer Seite – und das wird unserem Team natürlich helfen, um an seine Leistungsgrenze zu kommen. Insofern war ich schon immer zuversichtlich – und nach den beiden jüngsten Partien, die unsere Nationalmannschaft abgeliefert hat, muss man erst recht optimistisch sein. Also, um es ganz konkret zu sagen: Ich bin mir sicher, dass wir zumindest das Halbfinale erreichen. Um dann auch noch ins Endspiel zu kommen, dafür werden wir allerdings ein bisschen Glück brauchen.

Ist Julian Nagelsmann als Bundestrainer der richtige Mann am richtigen Ort?
Magath: Er hat jedenfalls vor den letzten Spielen die richtigen Entscheidungen getroffen.

Was meinen Sie damit konkret?
Magath: Er holte beispielsweise Toni Kroos zurück, der die Mannschaft dann sofort stabilisiert hat. Einen solchen wie ihn, der Struktur in eine Mannschaft bringt, hatten wir zuvor nicht im Kader. Dazu hat Julian etliche Junge aus Stuttgart nominiert, die ein neues Leben reingebracht haben. Dadurch hat sich das Gesicht des Teams quasi von heute auf morgen im Grunde völlig verändert. Und deswegen sind wir alle wieder zuversichtlich.

Nagelsmann hat zuletzt alles richtig gemacht



Was hätten Sie anders gemacht, wenn Sie anstelle von Nagelsmann im Herbst Bundestrainer geworden wären?
Magath: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber wie schon erwähnt: Er hat jetzt mit dem, was er vor den beiden vergangenen Partien getan hat, alles richtig gemacht.

Wie beziehungsweise wo verbringen Sie die Zeit während der Heim-EM?
Magath: Mehrheitlich schaue ich die Spiele wohl vor dem Fernseher – aber ab und zu möchte ich auch mal im Stadion sein. Zudem werde ich über das Geschehene dann bei Sky News diskutieren und im „Hamburger Abendblatt“ darüber schreiben.

Sie sind mittlerweile schon 70 Jahrealt...
Magath: (lacht) Stimmt, das habe ich fast schon vergessen.

Wäre das jetzt nicht ein gutes Alter, in dem Sie sich sagen könnten: „Jetzt bleibe ich einfach Privatier“? Oder ist das Kribbeln, das Sie verspüren, immer noch zu groß, um komplett mit dem Fußball-Geschäft abschließen zu können?
Magath: Wie ich vorhin schon einmal gesagt habe, ist es aus meiner Sicht enorm wichtig, Erfahrungen weiterzugeben. Und ich habe eben als Spieler sowie Trainer jahrzehntelang Erfahrungen gesammelt – wodurch ich meiner Meinung nach immer noch in der Lage bin, jedem Fußballverein zu helfen. Ja, ich traue mir weiterhin alles zu. Schauen wir einfach mal, was noch kommt.

Aber Sie haben als Spieler sowie Trainer doch sowieso schon fast alles gewonnen...
Magath: Natürlich weiß ich, dass ich bereits eine sehr erfolgreiche Karriere hinter mir habe – und ich bin auch sehr zufrieden mit dem, was ich bislang leistete. Aber einen Europapokal beispielsweise habe ich zumindest als Trainer noch nie gewonnen (lächelt).

Sie können’s also nicht lassen?
Magath: Ich sage es mal so: Ich würde mich freuen, wenn ich nochmals was machen könnte, um meine Erfahrung an jüngere Trainergenerationen weitergeben zu können. Aber mir geht es auch ohne Fußball gut. Ich habe ja zweimal drei Kinder – habe damit also auch genug Privatleben, das ich ausfüllen muss. Von daher geht es mir auch ohne eine neue Aufgabe immer noch sehr gut.

Aber wenn der Herr Eberl aus München bei Ihnen anrufen sollte, dann würden Sie schon mit ihm telefonieren?
Magath: Ich habe mit ihm leider noch nie telefoniert, das wäre tatsächlich etwas Neues für mich. Also würde ich das sehr gerne mal machen.

mgb