Zwischen Vollgas und Notbremse
So setzt Bayern die neuen Corona-Regeln ab Mittwoch um

28.04.2021 | Stand 22.09.2023, 3:09 Uhr

Ministerpräsident Markus Söder informierte gestern über die Ergebnisse einer Kabinettssitzung. −F.: dpa

Die Corona-Krise hat Bayern auch im Frühling noch fest im Griff. Dennoch hat die bayerische Staatsregierung am Dienstag trotz Notbremse die Regelungen auch ein bisschen gelockert.

Die Beschlüsse aus der bayerischen Kabinettssitzung können Sie hier im Blog zur Pressekonferenz mit Markus Söder nachlesen.

"Grundrechte sind kein Luxus und keine Zugabe. Sie stehen jeden Einzelnem im Verhältnis zum Staat zu", findet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Sein Kabinett hat gestern entschieden: "Vollständig geimpfte Personen werden im Rahmen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung negativ getesteten Personen gleichgestellt", wie es in einem Papier der Staatskanzlei heißt. Bei Genesenen indes will man erst weitere wissenschaftliche Erkenntnisse abwarten.



So entfällt für sie beispielsweise die Pflicht zum Selbsttest beim Zutritt zum Handel oder beim Friseur. Genau darin sieht auch Bayerns Vizeministerpräsident und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, der aus seiner Ablehnung gegenüber der Bundesnotbremse keinen Hehl macht, wenigstens einen kleinen Impuls für die Wirtschaft. "Da sagt man dann auch mal zum geimpften Großvater, geh Du da mal Einkaufen", so Aiwanger.

Bayern bleibt bei strikterem Corona-Grenzwert für Unterricht

Nicht durchgesetzt hatten sich Aiwangers Freie Wähler gestern im Kabinett beim Versuch, die bayerische Verschärfung der Bundesnotbremse bei den Schulen auszuhebeln: So gebietet das weiß-blaue Recht, dass Schulen (mit Ausnahme der Abschlussklassen) bereits bei einer Inzidenz von 100 wieder in den Distanzunterricht müssen, während der Bund dies erst ab 165 vorsieht. Bis 9. Mai gilt die bayerische Regelung, dann läuft sie aus. Söder würde gerne bei der scharfen Tour bleiben, Aiwanger indes kündigt an, "wenig Lust" auf eine Verlängerung zu haben. Söders Argument: Während in Bayern die Inzidenzzahlen stagnierten und die älteren, Geimpften offenkundig zunehmend weniger gefährdet seien, grassiere Corona jetzt bei den ungeimpften Jüngeren. In einzelnen Alterskohorten liege die Inzidenz bei mehr als 300, so Söder.

Impfangebot für Abschlussklassen im Juni

Eine Maßnahme, die der bayerische Regierungschef deshalb vorantreiben möchte: Ab Juni sollen auch Abschlussklassen, etwa Abiturienten, geimpft werden, eventuell auch bereits Elftklässler. Grund: Er wolle "zeigen, dass der Staat sein Angebot auch Jüngeren nicht vorenthält."

Ab Mittwoch ebenfalls in Kraft sind folgende Änderungen:

Ladengeschäfte der körperfernen Dienstleistungsbetriebe und der Handwerksbetriebe – laut Aiwanger "vom Fotografen über den Schumacher bis zu den Schneidereien, Reparaturdienste im Bereich Telekommunikation, Autovermietstationen und ähnliches" – dürfen inzidenzunabhängig unter den für Ladengeschäfte geltenden allgemeinen Maßgaben öffnen. "Die bestehenden Einschränkungen für körpernahe Dienstleistungen bleiben unberührt", heißt es weiter.

Gartenmärkte, Blumenfachgeschäfte und Buchhandlungen dürfen in gleicher Weise inzidenzunabhängig unter den für Ladengeschäfte geltenden allgemeinen Maßgaben (laut Aiwanger also unter den gleichen Bedingungen wie bei den Geschäften für den täglichen Bedarf, etwa den Lebensmittelhandel) öffnen.

Weg frei für Autokinos

Inzidenzunabhängig zugelassen werden zudem Autokinos. "Voraussetzung ist jeweils ein ausreichendes Infektionsschutzkonzept des Betreibers. Für die Besucher besteht außerhalb von Kraftfahrzeugen auf dem Gelände FFP2-Maskenpflicht", heißt es in dem Papier.

Offen sind ab einer Inzidenz von mehr als 100 auch die Außenbereiche zoologischer und botanischer Gärten. Voraussetzungen sind ein Schutz- und Hygienekonzept, ein höchstens 24 Stunden alter Test für alle Besucher ab sechs Jahren, FFP2-Masken und die Aufnahme von Kontaktdaten. Bei einer Inzidenz unter 100 gelten die bereits jetzt gegebenen Öffnungsmöglichkeiten.

Jetzt doch Sport für Kinder

Bei einer Inzidenz über 100 ist Kindern unter 14 Jahren Sport erlaubt – "in Form von kontaktloser Ausübung im Freien in Gruppen von höchstens fünf Kindern", so das Papier, und: "Etwaige Anleitungspersonen dürfen an diesem Sport teilnehmen, wenn sie ein höchstens 24 Stunden altes negatives Testergebnis nachweisen können."

Erlaubt bleibt "die wechselseitige, unentgeltliche, nicht geschäftsmäßige Beaufsichtigung von Kindern unter 14 Jahren in festen, familiär oder nachbarschaftlich organisierten Betreuungsgemeinschaften", wenn dies die Kinder aus dem eigenen und höchstens einem weiteren Hausstand umfasst.

Maskenpflicht bei Abschlussprüfungen

Beschlossen hat das Kabinett am Dienstag zudem eine Maskenpflicht für alle Schüler während der Abiturprüfungen und allen anderen Abschlussprüfungen. Rund zwei Millionen FFP2-Masken (oder vergleichbar) aus dem bayerischen Pandemiezentrallager sollen an alle Schulen verteilt werden – vorrangig für das Schulpersonal, "das in die Durchführung der Abschlussprüfungen beziehungsweise in Übertrittsklassen einbezogen ist".

Söder will bremsen, Aiwanger Gas geben

Dass Söders CSU weiterhin lieber auf der Bremse steht, was Lockerungen angeht, während Aiwangers Freie Wähler lieber etwas mutiger vorangehen würden, ist für Beobachter immer deutlicher sichtbar. "Unser oberster Maßstab ist nicht Bequemlichkeit, sondern Bekämpfung der Pandemie. Nahezu jede Maßnahme ist eine Einschränkung. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freuen würde, Reisen zu können, Urlaub zu machen, mich in einen Biergarten setzen zu können, egal mit wem, Hubert", sagte Söder zu Aiwanger gewandt. Aber seit einem Jahr sei man in der Situation, "immer dann, wenn es gerade besser gegangen ist, dann haben wir die Geduld verloren, haben zu schnell Maßnahmen gelockert. Und das Ergebnis war immer das gleiche: Rückschlag und Rückfall." Aiwangers Freie Wähler klagen derweil vor dem Bundesverfassungsgericht, unter anderem gegen das nächtliche Ausgangsverbot, das Bayern noch strenger umsetzt als der Bund. Die Gefechtslinien sind gezogen.