Papst-Büste mit Augenbinde
Nach Missbrauchsgutachten: Debatte um Ehrenbürger Benedikt

06.02.2022 | Stand 21.09.2023, 21:27 Uhr

−Symbolbild: dpa

Eine Papst-Büste in Traunstein bekam kurzfristig eine Augenbinde, Kommunen diskutieren über die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde für den emeritierten Papst Benedikt.



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An vielen früheren Wirkungsorten in der bayerischen Heimat von Joseph Ratzinger wird nach dem Missbrauchsgutachten nach einer angemessenen Haltung gesucht. Denn das von Ratzingers Nachfolger als Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, in Auftrag gegebene Gutachten wirft auch dem emeritierten Papst persönlich Fehlverhalten in vier Fällen vor.

In mehreren bayerischen Orten steht nun die Ehrenbürgerwürde des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. auf dem Prüfstand. Unter anderem in Freising und im Landkreis Traunstein, wo Joseph Ratzinger aufwuchs, wird die Frage diskutiert.

Man hüllt sich in Schweigen

In Benedikts Geburtsort hüllt man sich indes in Schweigen. Man bitte um Verständnis dafür, dass sich Marktl nicht äußern werde, solange Papst Benedikt dies selbst nicht getan habe, hieß es. Auch vom Geburtshaus des Papstes in Marktl gab es keine Aussage zum künftigen Umgang. Es brauche Zeit, ein Gutachten von 1900 Seiten zu studieren, hatte es kurz nach der Veröffentlichung nur geheißen.

Der Psychiater und Bestsellerautor Manfred Lütz ("Irre! Wir behandeln die Falschen") beklagt nun eine vorschnelle Distanzierung von Papst Benedikt insbesondere in seiner bayerischen Heimat. "Ich finde die juristischen Antworttexte Papst Benedikts ganz unangemessen, aber man muss die Fairness besitzen, seine in Aussicht gestellte Erklärung abzuwarten", sagte Lütz der Deutschen Presse-Agentur. "Was ich allerdings abschreckend finde ist, wie da krachlederne bayerische Palmsonntagschristen, die überall ihre unverbrüchliche Nähe zu Benedikt plakatierten, sich schon jetzt die besten Plätze bei der öffentlichen Hinrichtung reservieren."

Warnung vor überstürzten Reaktionen

Auch die Reformbewegung "Wir sind Kirche" warnt vor überstürzten Reaktionen: Joseph Ratzinger müsse zunächst noch einmal die Gelegenheit zu einer hoffentlich aufklärenden Stellungnahme bekommen, sagt "Wir sind Kirche"-Sprecher Christian Weisner. "Aber als weltöffentliche Person, die 33 Jahre höchste Verantwortung für die katholische Kirche in Rom innehatte, muss auch eine kritische Würdigung seines Lebenswerkes möglich sein, ja, ist sogar erforderlich."

Nicht nur in Bayern, sondern weltweit könnte die Frage nach dem Umgang mit Ehrenbezeugungen für Benedikt zum Thema werden. Noch im vergangenen Jahr wurde nach Angaben des Nachrichtenportals des Vatikans "Vatican News" eine Straße in Burkina Faso nach dem emeritierten Papst benannt: In der Hauptstadt Ouagadougou trägt seit Sommer 2021 die frühere Straße 54 160, an der die Apostolischen Nuntiatur liegt, den Namen des Ex-Oberhaupts der katholischen Kirche. Schon vor elf Jahren wurde in Burundi eine Schule nach dem Papst benannt, die Schule "Benoît XVI." (Benoît, französisch für Benedikt) in dem Ort Muyaga.

Diskussionsbedarf

In der Domstadt Freising, wo Ratzinger studiert und kurzzeitig auch gelehrt hatte, steht "außer Frage", dass Diskussionsbedarf über die Ehrenbürgerschaft bestehe, sagte eine Sprecherin der Stadt. Es gab aber zunächst keinen Zeitplan oder Anträge im Stadtrat.

Ähnlich sieht es in Regensburg aus. An der dortigen Universität lehrte Ratzinger in den 1970er Jahren Dogmatik. Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) zufolge ist es noch zu früh für eine Entscheidung, da die Verfahren innerhalb der katholischen Kirche noch laufen. "Doch mit Blick auf das unermessliche Leid, das den Opfern zugefügt wurde, muss sich auch die Stadt Regensburg damit auseinandersetzen. Das sind wir den Opfern sexueller Gewalt schuldig." Ob die Verleihung der Ehrenbürgerwürde widerrufen wird oder nicht, müsse im Stadtrat diskutiert und entschieden werden.

Im Landkreis Traunstein soll sich eine Kommission "aus historischer, juristischer und theologischer Sicht" mit dem Thema befassen, wie das Landratsamt mitteilte. "Die Inhalte des jüngst von der Erzdiözese München und Freising veröffentlichten Gutachtens müssen sehr ernst genommen werden." Beteiligt sind die Städte Traunstein und Tittmoning sowie die Gemeinde Surberg; dort ist Benedikt Ehrenbürger. Ratzinger hatte mit seiner Familie einige Zeit in Tittmoning gelebt, einen Teil seiner Jugend und Schulzeit verbrachte er in Traunstein. Das Landratsamt ist selbst direkt von der Frage betroffen: Das Gebäude steht am Papst-Benedikt-XVI-Platz.

Augenbinde für die Papst-Büste

Die Künstlerin Monika Stein hatte kurz nach Veröffentlichung des Gutachtens der Papst-Büste vor der Traunsteiner Stadtkirche St. Oswald eine Augenbinde umgebunden. "Dass das Vertuschen, nicht sichtbar machen, nun an der Spitze der Kirchenhierarchie angekommen ist, erschüttert, macht traurig aber auch wütend", sagte sie der dpa. Das Arrangement sei allerdings rasch entfernt worden.

Die Grüne Jugend Traunstein schleppte Tage später ein 300 Kilo schweres Fundament eines christlichen Wegkreuzes an die Büste und befestigte daran Zitate des emeritierten Papstes. "Uns ging es darum, zu zeigen, dass Benedikt kein Vorbild mehr für uns sein kann", sagte Sprecher Martin Zillner.

Schon früher war die Büste, ein Geschenk der Stadt Traunstein an Papst Benedikt XVI. zu dessen 80. Geburtstag im April 2007, Ziel von Aktionen. Kurz nach ihrer Enthüllung wurde sie von einem Schüler mit roter Farbe besprüht. 2016 leuchtete sie plötzlich in Rosa - Motiv und Täter der Farbattacke blieben unbekannt.

− dpa