Chieming
Ortsumfahrung Chieming: Gemeinderat spricht sich gegen Bürgerentscheid aus

21.01.2021 | Stand 19.09.2023, 23:13 Uhr
Arno Zandl

Bereits 2015 wurde die verkehrsberuhigte 30er-Zone der Ortsdurchfahrt Chieming genehmigt. Nun möchte der Gemeinderat weitere Entlastungen für den Ortskern erreichen. Die Befreiung des Orts vom Schwerlastverkehr oder eine Umgehungsstraße stehen zur Disposition. −Foto: Zandl

In der jüngsten Chieminger Gemeinderatssitzung rief der Antrag der CSU-Fraktion auf Durchführung eines Bürgerentscheids zur Ortsumfahrung von Chieming in staatlicher Baulast ein für Pandemie-Verhältnisse großes Zuschauer-Interesse hervor – insbesondere für Mitglieder des örtlichen Bürgervereins. Der geplante Bürgerentscheid sollte zu einem aktuellen Meinungsbild der Bürger zu folgender Frage beitragen: "Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Chieming alle rechtlich zulässigen Mittel ergreift, um eine Planung und Realisierung der Ortsumfahrung von Chieming in staatlicher Baulast zu erreichen?" Nach umfangreicher Diskussion der anwesenden 15 Gemeinderatsmitglieder wurde der Antrag jedoch bei sieben zu neun Stimmen abgelehnt. Bürgermeister Stefan Reichelt (CSU) stimmte dafür.

Die CSU-Fraktion wollte laut Fraktionsvorsitzendem Christian Fischer ein Zeichen gegenüber dem Straßenbauamt unter Leitung von Leitendem Baudirektor Christian Rehm setzen, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, einen weiteren Schritt zur Verkehrsentlastung von Chieming zu gehen. Fischer verwies auf die letzte Bürgerbefragung aus dem Jahr 2015, die seinerzeit mit 49 zu 48 Prozent "für eine Umgehungsstraße" knapp ausging, und damit keine klare Meinung in eine bestimmte Richtung vorgab.

CSU: Gemeinderat soll Behörden Druck machen

Nachdem der Gemeinderat 2018 in einer Sitzung mit einer Stimmenmehrheit von zwölf zu fünf den Bau einer Ortsumgehung befürwortet hatte und das Staatliche Bauamt infolge dessen um einen Planungsbeginn bat, sei der Eindruck entstanden, dass seitens der Straßenbaubehörde kein Wille bestehe, für eine Ortsentlastung von Chieming zu sorgen. Die bereits für 2019 zugesagte Raumempfindlichkeitsanalyse sei ebenso wenig erfolgt wie die für 2020 geplante ökologische Kartierung. Deshalb sei es nun die Aufgabe des neu gewählten Gemeinderats, gegenüber den Behörden Druck zu machen, "damit etwas weiter geht".

Angelika Maier (Bündnis90/Die Grünen) sprach sich dagegen aus, den Bürgerentscheid in die momentan vorherrschende Pandemie-Zeit zu legen. Dabei bezog sie sich auf ein ministerielles Schreiben von Dezember 2020, dass Sitzungen der kommunalen Gremien mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen auf unverzichtbare, unaufschiebbare Entscheidungen beschränkt sein sollten. "Aus diesem Grund war ich gelinde gesagt etwas irritiert, als ich den Tagesordnungspunkt auf der Sitzungsladung gelesen habe. Es gibt einen eindeutig gültigen Gemeinderatsbeschluss und eine Bürgerbefragung. Daher besteht momentan keine Dringlichkeit." Die Leute hätten momentan andere Sorgen.

Dritter Bürgermeister Josef Mayer (CSU) setzte dem Einwand von Maier, wie zuvor bereits Fischer, entgegen, dass es den "richtigen Zeitpunkt" für einen Bürgerentscheid wohl nie gebe. "Wir tun jetzt seit sechs Jahren herum, ob wir eine Ortsumfahrung wollen oder nicht, und jetzt geht‘s wieder zu schnell." Mayer gab zu bedenken, dass es in absehbarer Zeit ohnehin keine Einweihung der Umgehungsstraße geben werde, "vermutlich werden das die Wenigsten im Saal hier erleben, dass eine Umgehungsstraße verwirklicht ist. In Grabenstätt hat es 40 Jahre gedauert." Es gehe sowieso eher zu langsam als zu schnell. "Außerdem geht es beim Bürgerentscheid nicht darum, was die Gemeinderatsmitglieder wollen, sondern um das, was die Bürger möchten, und was dann durch den Gemeinderat umgesetzt werden soll", ergänzte Christian Fischer. "Es geht uns nicht darum, auf Gedeih und Verderb eine Umgehungsstraße zu bauen, sondern darum, den Bürgerwillen basisdemokratisch zu ermitteln."

Zweiter Bürgermeister Markus Brunner (UW) plädierte dafür, mit dem Bauamt abzuklären, was hinter dessen jüngsten Aussagen stecke. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Staat in den nächsten Jahren Geld für eine Umgehungsstraße hat. Corona kostet den Staat jetzt schon 1,5 Billionen Euro." Er sei sich nicht sicher, ob man sich mit einem solchen Bürgerentscheid "nicht vertut". Außerdem sei momentan niemand bereit, entlang der geplanten Trasse einen Grund herzugeben.

Heinz Wallner (BBW) gab lakonisch zu verstehen: "Jetzt geht s‘Zerkriegen wieder von vorne an." Für ihn sei es an der Zeit, "dass wir den Schwerlastverkehr endlich aus dem Ort rauskriegen". Was außerhalb der Gemeindegrenzen passiert, darauf habe die Gemeinde ohnehin keinen Einfluss, "Baulastträger ist der Staat". Wallner gab zu verstehen, dass es nun darum gehe, nicht locker zu lassen, "weil sonst nix passieren wird". Nach reiflicher Überlegung sei er darauf gekommen, den Antrag der CSU zu unterstützen.

Sebastian Heller (Bündnis90/Die Grünen) verwies darauf, dass die Bürgerbeteiligung als hohes Gut anzusehen sei. Die derzeitige Pandemie erfordere aber eine Zurückstellung der Entscheidung, weil eine seriöse Öffentlichkeitsarbeit mit Veranstaltungen und Infoständen nicht möglich sei. Deshalb sei eine Zurückstellung der Entscheidung begründet. In der Sache gehe es darum, alle Möglichkeiten der Verkehrsentlastung und -beruhigung zu ergreifen, die zunächst ohne Eingriff in die Natur oder in Eigentumsrechte der Grundeigentümer und zudem mit dem geringstmöglichen Aufwand an öffentlichen Mitteln zu bewerkstelligen seien. "Erst, wenn alle diesbezüglichen Maßnahmen nicht erfolgreich sind, ist ein baulicher Eingriff in die Landschaft und ins Bauernland begründbar. Vorher darf ein Planfeststellungsverfahren nicht eröffnet werden."

Pandemie und Fragestellung als Gegenargumente

Heller erschien die Fragestellung des geplanten Bürgerentscheids, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine Ortsumfahrung zu realisieren, als unpassend. Für ihn konnte die Frage nach den "rechtlichen Möglichkeiten" durch die CSU-Fraktion nicht zufriedenstellend beantwortet werden, da diese mit den vorausgegangenen Beschlüssen des Gemeinderats aus dem Jahr 2018 im Wesentlichen schon "ausgeschöpft" seien. "Ganz ausdrücklich teile ich die Auffassung, dass ein konstruktiver Druck zu einer Lösungsfindung – aus meiner Sicht ohne Straßenneubau – aufgebaut werden muss."

Bürgermeister Reichelt verwies, wie zuvor Heller, auf eine anwaltschaftliche Stellungnahme des Stuttgarter Fachanwalts Bastian Reuße, welche vom Bürgerverein in Auftrag gegeben wurde, und ihm sowie den Gemeinderatsmitgliedern bekannt sei. Über die Inhalte des Anwaltsschreibens war allerdings nichts zu erfahren. Der Vorsitzende des Bürgervereins, Josef Mitterleitner, wies nach der Gemeinderatssitzung darauf hin, dass sich in Siegsdorf die Gemeinde von derselben Kanzlei beraten ließ und dadurch schließlich 30-er-Zonen in Siegsdorf und Eisenärzt auf den Weg gebracht werden konnten. An einer Ortsumfahrung von Eisenärzt aufgrund von zu hohen Lärmbelastungen werde weiter gearbeitet.