Chieming
Fachanwalt informiert zum Thema "Lkw-Durchfahrtsverbot für Chieming und Umgebung"

25.04.2021 | Stand 25.04.2021, 17:54 Uhr

Ein gewohntes Bild in Chieming: Viele Lastwagen fahren täglich durch die Gemeinde. −Foto: Foto

Der 2019 gegründete Bürgerverein Chieming (Landkreis Traunstein) hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, sich an der anhaltenden Diskussion zur Verkehrsentlastung in Chieming zu beteiligen. Deshalb wurde nun eine Online-Informationsveranstaltung "Lkw-Durchfahrtsverbot für Chieming und Umgebung" organisiert. Moderiert haben die Veranstaltung der Vorsitzende Sepp Mitterleitner und Beisitzer Wolfgang Wimmer. Als Referent wurde Bastian Reuße, Fachanwalt für Verwaltungsrecht aus Stuttgart, zugeschaltet, um über die Möglichkeit eines Durchfahrtverbots für Lastwagen aus verkehrsrechtlicher Sicht zu informieren.

Wimmer nannte gleich zu Beginn die Linie, die vom Bürgerverein vertreten wird: "Kein weiterer Flächenverbrauch unserer wertvollen Natur- und Kulturlandschaft, keine Neuverlärmung, aber Verkehrsentlastung der Gemeinde Chieming und der Nachbargemeinden Nußdorf, Grabenstätt und Seeon-Seebruck." Danach wurde in zwei vom Bürgerverein gedrehten Filmen die Verkehrssituation mit den erhobenen Kraftfahrzeugaufkommen im Bereich zwischen den Autobahnausfahrten Grabenstätt in Richtung Chieming, Traunreut und Trostberg sowie zwischen der Autobahnausfahrt Siegsdorf über die Blaue-Wand-Straße, die Südspange und den Ettendorfer Tunnel in Richtung Matzing gezeigt. Dabei wurde Bezug genommen auf das Gutachten des Ingenieurbüros Ingevost aus Planegg, die die tägliche Durchfahrtsbelastung mit 5090 Autos und 160 Lastwagen berechnet hatte, selbst dann, wenn eine Umgehungsstraße gebaut würde. Auf dieser würden laut Prognose dann 2770 Autos und 480 Laster täglich fahren.

Rechtsanwalt Bastian Reuße, der zuletzt auch ein Mandat für die Gemeinde Siegsdorf wegen einer Tempo-30-Ortsduchfahrt übernommen hatte, stellte in seiner Präsentation die verkehrsrechtlichen Grundlagen vor, die bei einem Lkw-Durchfahrtsverbot vorausgesetzt sein müssten. Den allgemeinen Nutzungsrechten von Straßen müssten schwerwiegende Gründe entgegenstehen, die es rechtfertigten, einzelne Straßen oder auch großräumige Flächen vom Schwerlastverkehr frei zu halten. Reuße ging konkret auf die Lärmbelastung von Straßen ein, die bei Neubauten ein Maß von 64 Dezibel am Tag und von 54 Dezibel in der Nacht nicht überschreiten dürften. Ab 65 beziehungsweise 55 Dezibel sei laut Gerichtsurteilen bereits ein gesundheitskritischer Bereich erreicht, bei 69 beziehungsweise 59 Dezibel liege die grundrechtliche Zumutbarkeitsschwel- le, ab 72 (62) Dezibel bestehe derzeit eine Anordnungspflicht. Diese Höhe erscheint Reuße aber "nicht mehr zeitgemäß", wie er ausführte. "Die Belastungsgrenze liegt weit darunter."

Lärmbelastung bis zu 75 Dezibel

Mitterleitner zeigte anhand eines Schallgutachtens für Chieming aus dem Jahr 2017, dass von der Überschreitung der Grenzwerte von 64 Dezibel am Tag 47 Gebäude mit etwa 190 Personen betroffen waren. Laut Gutachten beträgt die Lärmbelastung teilweise bis zu 75 Dezibel. Die sei für ihn ein Anknüpfungspunkt, um den überregionalen Lkw-Durchgangsverkehr aufgrund von Lärmbelastung in Frage zu stellen. Reuße stellte aber auch die Wahl der "milderen Mittel" in den Fokus der Überlegungen.

Zunächst sei darauf zu achten, ob das gewünschte Ziel einer Lärmreduzierung nicht auch durch bauliche Maßnahmen, ein Tempolimit, der Beschränkung des Durchfahrtverbots auf bestimmte Tonnagegrenzen und auf die Nachtzeit zu beschränken sei. Auch die positiven und negativen Effekte eines generellen Durchfahrtverbots seien abzuwägen. So die Erhöhung der Verkehrssicherheit, die Auswirkung auf den Fuß- und Radverkehr, die Verringerung von Luftschadstoffen, der Energieverbrauch von Fahrzeugen, Fahrtzeitverlängerungen, Verkehrsverlagerungen, die Auswirkung auf den ÖPNV oder die Beeinträchtigung der Verkehrsfunktion der Straße.

Wimmer stellte an den Referenten die Fragen aus dem Zuschauer-Chat. Auf die Frage nach der Möglichkeit eines Durchgangsverbotes in Kooperation mit den Nachbargemeinden antwortete Reuße, es müsse untersucht werden, inwieweit auch die Nachbargemeinden ebenso stark betroffen sind wie die Ortsdurchfahrt von Chieming. Als flankierende Maßnahme könnte das Verbot von Ortsdurchfahrten auch auf andere Gemeinden ausgedehnt werden. Dies würde faktisch zu einem großräumigen Lastwagen-Durchfahrtsverbot führen. Ob und welche Chancen für ein gemeinsames Gutachten bestehen, um die Situation großräumiger zu betrachten, antwortete Reuße: "Es würde Sinn haben, die gesamte Region zwischen Chiemseeufer und Bundesstraße anzusehen. Denn es sollten keine Lücken der Mehrbelastung entstehen."

Ein Zuschauer wollte wissen, ob die Kombination von Durchfahrtsverbot und Tempo 30 grundsätzlich möglich ist. Reuße bejahte dies, "oft sind sie auch notwendig. Mildere Mittel müssen aber immer erst in den Blick genommen werden. Wenn durch Tempo 30 Lärmentlastung möglich ist, kann es sein, dass ein Durchfahrtsverbot vielleicht nicht mehr angeordnet werden kann. Besteht trotz Tempo 30 immer noch ein gesundheitskritischer Lärmpegelbereich, sind weitere Maßnahmen in Kombination geboten."

Mitterleitner nahm auch Bezug auf die Ortsdurchfahrt von Bad Wiessee am Tegernsee, wo im Ortskern drei Querungshilfen innerhalb von 250 Metern angebracht wurden, um die Sicherheit für querende Fußgänger zu erhöhen. Einen wichtigen Beitrag zur Verkehrsberuhigung könne auch ein zukunftsfähiger ÖPNV sein, wie ihn Landrat Siegfried Walch bereits formuliert hätte: "Modern, komfortabel, flexibel und digital". So wäre der ÖPNV erst eine wirkliche Alternative zum eigenen Auto und könnte den Verkehr im Landkreis Traunstein mindern.

Wenn ein Maßnahmenpaket aus Tempo-30-Zonen, Zebrastreifen, Ampelanlagen, Lkw-Durchfahrtsverbot und modernem ÖPNV geschnürt werden könnte, wäre dies für den Bürgerverein eine Alternative zu 11,5 Kilometer Straßenneubau, die für die in der Diskussion stehenden Ortsumfahrungen von Chieming, Sondermoning und Seebruck erforderlich wären. "Diese Strecke entspricht einem Straßenneubau von Grabenstätt bis zum Matzinger Kreisel", rechnete Mitterleitner vor. Die genannten Alternativen würden nicht nur viel Geld sparen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Erhalt von Landschaft und Natur leisten.

Maßnahmenpaket als Alternative

Im Schlusswort bedankte sich Wimmer beim Referenten Bastian Reuße, bei Musik Mayer für die technischen Hilfen und bei den Vereinsmitgliedern Daniel Seeberger, Gerhard Bresoski und Silvia Rachl, die viel Zeit, Mühe und Arbeit "für die professionelle Erstellung der gezeigten Videobeiträge verwendet haben". Mit der Veranstaltung sollte Werbung dafür gemacht werden, über umweltverträgliche Alternativen zum Straßenneubau nachzudenken. Insbesondere hoffe man, dass die vorgebrachten Argumente auch in der Diskussion in den Gemeinderäten aufgegriffen werden. Die Veranstaltung kann weiterhin über einen Link auf der Homepage des Bürgervereins www.bv-chieming oder über den Youtube-Kanal abgerufen und angeschaut werden.

− az