Künstler im Portrait
Seine Galerie in Zwiesel besteht seit 30 Jahren: Glasbläser Hermann Ritterswürden

12.01.2022 | Stand 21.09.2023, 1:42 Uhr
Regina Kremsreiter

Wer lenkt hier wen? Der Puppenspieler rechts hat den Tod als kleine Marionette an der Hand, dahinter tanzt der große Tod, der den Puppenspieler als Marionette führt. Hermann Ritterswürdens Interpretation von "Pole Poppenspäler" entstand 2021 speziell für die aktuelle Ausstellung im Glasmuseum Frauenau (Lampenglaselemente mit Silberfäden auf Stahlgerüst, 82,5 x 64 cm). −Foto: Matthias Balk

Die Augsburger Puppenkiste war sein Fenster in den Süden. Hier war der Dialekt der Mutter von Hermann Ritterswürden, die aus Oberbayern stammt, deutlich hörbar. Da sein Vater – ein Westfale – bei der Marine war, lebte die Familie in Schleswig-Holstein. Als Norddeutscher wurde der Junge dort allerdings nicht wahrgenommen. Und auch weil die Familie im Norden häufig umzog, blieb das Beständige in seinem Leben der Süden. Die Urlaube mit der Mutter im Chiemgau, wo sie ihr Heimweh stillte. Die Besuche bei der Verwandtschaft in München.

In den Süden – genauer gesagt an die Glasfachschule Zwiesel – verschlug es Ritterswürden für seine Ausbildung zum Glasbläser. Nach einer zusätzlichen Ausbildung zum Glasgestalter eröffnete er vor 30 Jahren mit seiner Frau – der renommierten Glasgravurmeisterin Alexandra Geyermann – dort die "Galerie Ritterswürden".

Er ist der letzte Glasbläser in Zwiesel

Seit 2008 befindet sich die Galerie im ehemaligen Zwieseler Forstamt, das das Ehepaar mit viel Liebe zur historischen Substanz restauriert hat. Hermann Ritterswürden ist heute der letzte Glasbläser in Zwiesel – er schätzt die Umgebung, doch fühlt er sich noch immer nicht komplett integriert. "Das ist für mich aber nicht schlimm, da ich ja so aufgewachsen bin. Ich bin das Fremdsein gewöhnt" sagt er lächelnd.

Die bezaubernde Galerie mit den Werkstätten der beiden Künstler zieht Glaskunst-Interessierte und Sammler von überall her an. Gleichzeitig präsentieren Ritterswürden und Geyermann ihre Werke auf internationalen Glasausstellungen und sind selbst als Kuratoren tätig.

In Schleswig-Holstein kein Norddeutscher – im Süden kein Bayer – dieses "als fremd wahrgenommen werden" zeigt sich auch in der Rezeption von Ritterswürdens Werken: "Hier heißt es, meine Kunst sei nordisch, im Norden empfinden sie sie als südlich-barock". Mit dem Titel seiner aktuellen Ausstellung im Glasmuseum Frauenau: "Glas mit Berg- und Meerblick" will Ritterswürden auch ein wenig diesem Schubladendenken entgegenwirken. Genau betrachtet spiegeln nämlich viele seiner Kunstwerke nicht nur einen Konflikt zwischen Nord und Süd, sondern auch verborgene oder vergessene Verbindungen. Für die Ausstellung in Frauenau hat Ritterswürden die Plastik "Pole Poppenspäler" gefertigt. In der gleichnamigen Novelle erzählt Theodor Storm von der Liebe eines Husumers zu einer oberbayerischen Puppenspielertochter. Die Heirat der beiden überwindet zwar gesellschaftliche Schranken – dennoch bleiben die Süddeutsche und ihr Vater im Norden Fremde.

Marionetten faszinierten ihn schon als Kind

Durch den zarten Silberdraht, mit denen Ritterswürden die Glaselemente zu narrativen, beweglichen Objekten verbindet, erinnern seine figürlichen Werke an Marionetten. Schon als Kind hat er Marionetten aus Legosteinen gefertigt. Bei "Pole Poppenspäler" wird diese Faszination offenkundig. Die Figur hält die Marionette eines Skeletts in der Hand. Hinter ihr tanzt der Tod, ein Skelett aus sandgestrahltem Glas, anmutig von Leichentüchern umspielt. Der Tod wiederum hält eine Marionette in Händen, die Pole Poppenspäler darstellt.

Hier ist ein Motiv doppelt gespiegelt, das das Werk des Glasbläsers seit vielen Jahren durchzieht: der Totentanz. Früh faszinierten ihn die mittelalterlichen Totentänze von Lübeck und Reval. In seinen einzigartigen, filigranen Installationen werden die Tanzpaare plastisch. Der Tod ist wie ein heller Schatten präsent. In seiner Anmut aber keine bedrohliche Schreckensgestalt, sondern ein zartes, manchmal augenzwinkerndes Memento Mori. Seit vielen Jahren spürt Hermann Ritterswürden Totentanzmotiven nach und findet Anregungen in der Literatur – wie bei Brecht, Werner Bergengruen oder Matthias Claudius –, in der Musik oder in historischen Ereignissen.

Ritterswürdens Arbeiten verraten einen enormen Bildungsschatz und eine besondere Lust am Erzählen – aber auch einen hochtalentierten Glasbläser. Er fertigt seine Objekte vor der Glasbläserlampe. Objekte aus Lampenglas sind traditionell eher klein. Ihm gelingt es, relativ große Glaselemente frei und dabei äußerst exakt zu formen. Es entstehen märchenhaft-verträumt wirkende Plastiken, die von Sockeln getragen werden, oder auch zweidimensionale Objekte, die an Wandteppiche erinnern. Häufig werden Fundstücke wie Muscheln oder Treibholz eingearbeitet. So entstehen szenische Darstellungen, die vielschichtig und poetisch von Zwischenwelten, von der Schönheit und Zerbrechlichkeit der Welt erzählen. Ein Symbol, das häufig wiederkehrt, ist das Schiff. Es steht für das gelebte Leben, für Aufbruch und immer wieder für den weiten Weg nach Süden.

Regina Kremsreiter

•Verlängert bis 6. März: Ausstellung "Glas mit Berg- und Meerblick" im Kabinett des Glasmuseums Frauenau, Am Museumspark 1, Dienstag bis Sonntag 9-17 Uhr. Einlass nur mit 2Gplus-Nachweis und FFP2-Maske

•Galerie Ritterswürden in Zwiesel, Alfons-Maria-Daiminger-Straße 12, Dienstag bis Freitag von 10 – 13 Uhr und von 14-18 Uhr, Samstag 10-13 Uhr. Einlass mit 2G-Nachweis und FFP2-Maske