Zwiesler Sportdirektor top mit St. Louis
USA-Erfolg, Nagelsmann-Effekt und Hunde-Freizeiten: Lutz Pfannenstiel im großen heimatsport-Interview

12.10.2023 | Stand 12.10.2023, 9:31 Uhr

Die Neulinge stürmen die Liga: Lutz Pfannenstiel (vorn, rechts) und der St. Louis City SC brechen alle Rekorde in der MLS. Der Sportdirektor aus Zwiesel hat Klub und Mannschaft nach seinen Vorstellungen geformt. Links Keeper Roman Bürki, ehemals in Diensten von Borussia Dortmund. − Foto: SLC

Lutz Pfannenstiel (50) sorgt mit dem St. Louis City SC für mächtig Furore in der Major League Soccer. Im großen heimatsport-Interview spricht der Sportdirektor aus Zwiesel über seinen Erfolg mit City, über das bevorstehende Wiedersehen mit Julian Nagelsmann, was es mit dem TV-Studio im Heim-Keller auf sich hat und wie ihm seine Hunde helfen, einen Ausgleich im unsteten Profi-Alltag zu finden.

Lutz, fünf Siege waren schon bester Start eines Neulingsteams in der MLS, jetzt auch noch der Hauptrundentitel – wohin soll das noch führen?
Lutz Pfannenstiel: Wir haben so ziemlich alle Rekorde aufgestellt, die es aufzustellen gab. Was uns noch fehlt, ist die totale Punktzahl nach der Hauptrunde. Wir haben jetzt 56, der Rekord sind 57. Mit einem Unentschieden im letzten Spiel der Regular Season gegen Seattle hätten wir die Bestmarke zumindest egalisiert. Ein Sieg wäre alleiniger Rekord.

Wie fühlt sich das alles gerade an für Sie? Die Sportspalten der internationalen Presse sind voll vom Cinderella-Märchen made in Bavaria.
Pfannenstiel: Es ist die Bestätigung, dass das ganze Konstrukt gut funktioniert. Ich hatte noch gar nicht groß Zeit, das irgendwie sacken zu lassen. Es geht ja Schlag auf Schlag. Jetzt kommen dann die Playoffs, wir haben uns für die nordamerikanische Champions League qualifiziert, die geht im Februar los. Es ist also irgendwo schon immer ein Dauerfeuer, dem man ausgesetzt ist.

„Vorhersagen waren, dass wir Stockletzter werden“



Woran machen Sie den Erfolg fest? City ist ja mit dem geringsten Kaderwert aller MLS-Teams in die Spielzeit gestartet.
Pfannenstiel: Die Vorhersagen waren ja so, dass wir Stockletzter werden würden. Aber mir war schon nach dem ersten Trainingslager klar, dass wir mit dieser Mannschaft mithalten können. Aber dieser Lauf, der sich dann nach dem Fünf-Siege-Start entwickelt hat, und das jetzige Ergebnis habe ich natürlich so auch nicht erwartet.

Also nochmal: Woher kommt dieser Erfolg?
Pfannenstiel: Die Klub-Eigentürmer um CEO Carolyn Kindle haben meinen Plan von Tag 1 bedingslos unterstützt. Sechs Monate vor Saisonbeginn hatte ich das Rückgrat der Mannschaft zusammen und sogar ein Jahr vorher Trainer Bradley Carnell verpflichtet.

Roman Bürki, Eduard Löwen, Joao Klauss, Joakim Nilsson...
Pfannenstiel: Die Bundesligacombo hat uns wahnsinnig geholfen. So hatten wir von Anfang an eine relativ eingespielte Mannschaft, in der sich die Schlüsselspieler schon aus Deutschland gekannt haben. Und dann ist es ja so, dass wir im gesamten Klub von der jüngsten Nachwuchsmannschaft bis zum Profibereich eine einheitliche Spielphilosophie verfolgen. Unsere Akademie ist sehr erfolgreich: Unsere Mannschaften haben seit Bestehen jedesmal die Finalrunde erreicht, unsere U23 ist vergangenes Jahr komplett unerwartet Meister geworden.

„Wir spielen Hochgeschwindigkeits-Fußball“



Mit der Philosophie meinen Sie das Prinzip Pressing-Gegenpressing.
Pfannenstiel: Wir spielen Hochgeschwindigkeits-Fußball und man findet Elemente aus Hoffenheim und Red Bull. Wir spielen eine körperliche Art Fußball, wo der Teamgedanke im Vordergrund steht. Man muss sehen, dass der amerikanische Fußball doch eher ballbesitzorientiert ist. Das kommt auch durch die vielen südamerikanischen Spieler in der Liga. Wir haben uns gesagt: Wir wollen einen anderen Fußball spielen. Wir sind aber da im Übrigen nicht die einzigen: Philadelphia ist mit einem ähnlichen Fußball auch erfolgreich. Dort wirkt mit Sportdirektor Ernst Tanner ein Verantwortlicher, mit dem ich damals in Hoffenheim zusammengearbeitet habe. Er war auch bei meinem Abschiedsspiel in Passau dabei (lacht). Aber zurück zur Frage. Ich behaupte: Gegen uns spielt keiner gern. Aber dafür brauchst du Position für Position die Spieler, die das auch umsetzen können. Und darauf habe ich beim Bau der Mannschaft geachtet. Und unser Trainer, Bradley Carnell, steht genau für diese Art Fußball. Er hat bei Red Bull gelernt, wie man es umsetzt und hat unter Ralf Rangnick in der Bundesliga gespielt. Er hat übrigens bei mir seine B-Lizenz gemacht. Deshalb war mir klar, dass er hervorragende Arbeit leisten wird.

Als Sie ankamen in St. Louis, gab’s kein Stadion, kein Trainingsgelände, keine Mannschaft. Wieviel Bestätigung ist die jetzige Situation für Sie?
Pfannenstiel: Es ist die Bestätigung, dass ich einen Fußballverein aus dem Nichts bauen kann (lacht). Ich habe als Spieler, Trainer, Scout und Sportdirektor über die Jahre natürlich viel Erfahrung ansammeln können. Das hilft schon. Aber Sie haben schon recht: Wir hatten am Anfang ja nicht mal Bälle. Ich bin mit Ipad, Laptop, Telefon und einer Taktiktafel übers Land gefahren. Als dann unsere U23 vergangene Saison Meister geworden ist, war das für mich schon ein Indikator, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Wie haben Sie die Eigentümer vom Pfannenstiel-Weg überzeugt?
Pfannenstiel: Ich treffe unsere Eigentürmer mindestens zweimal die Woche, was eigentlich für amerikanische Verhältnisse untypisch ist. Mir ist es wichtig, die Dinge zu erklären, sich auszutauschen. Das geht schon auch mal ins Detail. Über die Treffen hat sich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut.

„Freue mich sehr auf das Wiedersehen mit Julian“



Jetzt also die Playoffs. Bedauern Sie, dass Lionel Messi mit Inter Miami die K.o-Runde verpasst hat?
Pfannenstiel: Wir hatten das letzte Spiel gegen Inter, bevor Messi gekommen ist. Das war mir ganz recht (lacht). Wir haben 3:0 gewonnen. Nein, der Einfluss, den Messi gleich auf die Mannschaft genommen hat, war natürlich immens. Aber für einen Einzug in die Playoffs hat es halt nicht mehr gereicht, dafür war Inter schon zu weit zurück, als Messi kam. Zwischendrin hat er zudem ein paar Spiele verletzt gefehlt.

Die Nationalmannschaft kommt jetzt zu Länderspielen in die USA. Was erwartet das Team?
Pfannenstiel: Ich fliege am Freitag nach Hartford zum Spiel gegen die USA. Ich bin zusammen mit Lothar Matthäus für RTL unterwegs. Die Amerikaner haben eine junge, sehr schnelle Mannschaft beisammmen, vor allem im Offensivbereich. Alle Topleute spielen bei Vereinen in Europa. Ich sehe Probleme in der Defensive, weil da etwas das Tempo fehlt. Das wäre natürlich etwas, das der deutschen Mannschaft zusagt. Ich freue mich sehr auf ein Wiedersehen mit Julian (Nagelsmann). Wir haben jahrelang in Hoffenheim zusammengearbeitet. Ihn in Hartford als Bundestrainer zu erleben, ist schon eine spezielle Situation für mich.

Wie sehen Sie die Situation der Nationalmannschaft mit Bundestrainer Nagelsmann? Wird das eine Erfolgsverbindung?
Pfannenstiel: Mit den Spielern, die wir zur Verfügung haben, kann Deutschland bei jedem internationalen Turnier vorn mitspielen. Da muss man von dieser ganzen Düsternis, von der man die vergangenen Wochen und Monate gelesen hat, auch mal wegkommen. Wir haben das Fußballspielen nicht verlernt. Die Bundesliga ist immer noch eine der besten Ligen der Welt. Wir haben immer noch überragende Spieler. Wenn Julian Nagelsmann das nicht auch so sehen würde, hätte er die Aufgabe nicht übernommen. Ich bin überzeugt, dass die Nationalmannschaft mit Nagelsmann bei der Heim-EM was reißen kann.

Anfragen aus der Premier League und Saudi Arabien


Sehen Sie Ihre Zukunft in den USA? Man hört von Anfragen aus der Premier League.
Pfannenstiel: Ich hatte Anfragen aus der Premier League und aus Saudi Arabien. Es ist für mich aber nicht der richtige Zeitpunkt. Ich bin zwar jetzt schon dreieinhalb Jahre hier, aber gespielt haben wir erst eine Saison. Ich habe hier also eine Aufgabe, bei der es noch einiges zu erledigen gibt. Ich habe noch zwei Jahre Vertrag. Es gibt daher keinen Grund, sich anderweitig Gedanken zu machen.

Wie muss man sich Ihren Tagesablauf vorstellen? Wieviel ist Büro, wieviel ist Trainingsplatz, wieviel ist Reisen?
Pfannenstiel: Der Reiseaufwand ist enorm. Mittwoch vor einer Woche war das Spiel in Vancouver, da fliegst du einfach vier Stunden. Bei so langen Distanzen hat man entsprechend viel Hotelaufenthalte. Hier in unserem Trainingszentrum in St. Louis liebe ich mein Büro mit Sicht auf den Trainingsplatz. Da muss ich nur auf den Balkon rausgehen. Das hatte ich mir beim Bau so gewünscht. Ich schaue mir so viele Trainingseinheiten an wie möglich. Auf den Bildschirmen im Büro läuft oft europäischer und südamerikanischer Fußball. Ich muss ja wissen, wer die interessanten Spieler sind (lacht). Mein Tag startet so um fünf Uhr morgens, nachmittags bin ich kurz daheim, aber gegen 16 Uhr bin ich dann wieder am Trainingsplatz, schaue mir die Jugendmannschaften an. Sagen wir so: Langweilig wird mir nicht. Die Stunden, die ich in den Verein reingehängt habe, kann ich gar nicht zählen. Und dann kommentiere ich ja alle zwei, drei Wochen die Bundesliga-Topspiele für ESPN (US-amerikanischer Sportsender, erreicht 90 Mio. Haushalte). Dafür hat man mir mir zu Hause im Keller ein Fernsehstudio eingebaut, da muss ich nicht außer Haus.

Wo und wie finden Sie Ausgleich?
Pfannenstiel: Ich verbringe natürlich ganz viel Zeit mit meiner Familie – und mit meinen Hunden, ein Labradormischling und ein Shiba Inu, ein japanischer Jagdhund, der wie ein Fuchs ausschaut. Die beiden haben wir aus dem Tierheim geholt, nachdem die treue Vorgängerin der beiden Labrador Dana, den wir zehn Jahre lang hatten, im Februar unerwartet gestorben ist. Das war ein schwerer Schlag. Ich bin ja ein absoluter Hundeliebhaber. Und ich spiele ganz viel Tennis. Der Tennisplatz ist nur zwei Autominuten entfernt. Und im Winter bin ich viel beim Eishockey. Mit vielen Spielern und Verantwortlichen der St. Louis Blues bin ich eng befreundet.

Wann kommen Sie wieder mal nach Zwiesel?
Pfannenstiel: Nach den Playoffs möchte ich wieder mal in die Heimat kommen. Das hängt zeitlich halt davon ab, wie weit wir kommen. Ich sag mal: Irgendwann vor Weihnachten.