Gerichtsfall voller Ungereimtheiten
Falsche Verdächtigung am Landgericht: 72-Jährige hält an Unschuldsbehauptung fest

02.04.2024 | Stand 02.04.2024, 16:09 Uhr

− Foto: Archiv

Es ist bereits der zweite Sitzungstermin im Berufungsverfahren am Landgericht Deggendorf. Einer mittlerweile 72-Jährigen wird falsche Verdächtigung vorgeworfen. Sie hatte im Januar 2022 einen Regener Facharzt der Vergewaltigung und Freiheitsberaubung bezichtigt. Unklar war nach dem ersten Verhandlungstag vor allem, inwieweit die 72-Jährige tatsächlich in dem Haus eingesperrt gewesen war.

An diesem Dienstag sitzt die Seniorin ohne Anwalt im Sitzungssaal 1 des Landgerichtes. Diesem wurde bereits am ersten Verhandlungstag das Pflichtmandat entzogen. Für nicht notwendig hatte die Strafkammer die Aufrechterhaltung dessen erachtet, da die Angeklagte „durchaus in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen“. Zudem kann die Strafe nicht höher als die ursprünglich im Mai 2023 am Amtsgericht in Viechtach verhängten 90 Tagessätze à 15 Euro ausfallen, da die Staatsanwaltschaft in diesem Fall keine Berufung eingelegt hat.

Aussagen der Angeklagten seien „dubios“



Das Ermittlungsverfahren gegen den von der 72-Jährigen beschuldigten Facharzt wurde mittlerweile eingestellt, weder die Vergewaltigung noch die Freiheitsberaubung seien nachweisbar. Die im Verfahren getätigten Aussagen der Seniorin waren dazu laut Richterin Gisela Schwack „dubios“.

Dubios geht es auch am Dienstagvormittag weiter. Wie bereits Ende März erzählt die Angeklagte detailliert von einzelnen, für die Verhandlung irrelevanten, Tagen und Gesprächen. Was bleibt, ist auch ihr Unverständnis über ihre Anklage. „Ich habe gar nichts falsch gemacht und jetzt sitze ich hier“, sagt sie mehrfach zu Richterin Schwack.

Augenschein soll für Klarheit sorgen



Ob sie nun in dem Haus des Facharztes in Regen tatsächlich eingesperrt war oder die Tür lediglich ins Schloss gezogen war – und die 72-Jährige damit gehen hätte können – soll ein Augenschein des Anwesens in Regen klären. Auch will sich Richterin Schwack ein Bild davon machen, ob Auswege durch Fenster oder über die Terrasse denkbar gewesen wären.

Diverse Arztbriefe, die die 72-Jährige der Kammer vorlegt, sollen teilweise knapp zehn Jahre zurückliegende Verletzungen an Knie und Rücken belegen, die verhindert hätten, dass sie das Gebäude über ein Fenster verlassen hätte könne. Auch von posttraumatischen Belastungsstörungen bezüglich Brustschmerzen ist in diesen Schreiben die Rede. Glatt und schneereich sei es darüber hinaus im Januar 2022 gewesen. „Ich wollte mich nicht verletzen“, erklärt sie, „ich habe auch nach Hilfe gerufen.“ Gehört habe die Rufe aber niemand.

Nächster Verhandlungstag ist am 17. April



Warum sie das beim letzten Termin nicht erzählt hat, konnte die Seniorin nicht wirklich erklären. „Ich bin immer müde hier, weil ich so früh aufstehen muss. Habe ich wohl vergessen“, sagt die 72-Jährige.

Lediglich eine Zeugin ist an diesem Tag geladen: eine Nachbarin des Facharztes. Dieser besitzt sowohl das Haus in Regen als auch eines in Viechtach, in dem er mit seiner Frau lebt. Die Viechtacher Nachbarin sei einige Wochen nach der vermeintlichen Vergewaltigung von der Angeklagten angerufen worden. Es sei etwas Schlimmes passiert, sie habe mit der Ehefrau des Facharztes sprechen wollen. Die 50-Jährige habe daraufhin die Nachbarin angesprochen, ihr die Handynummer der 72-Jährigen gegeben „und damit war die Sache für mich erledigt“.

Dass es diesen Anruf jemals gegeben hat, leugnet die Angeklagte vehement. „Der Doktor hat das in ihren Kopf reingepflanzt. Sie sind eine Lügnerin“, schreit die Seniorin. Ihr werde hier die Schuld zugeschoben. Zum Urteil kommt es auch an diesem Verhandlungstag nicht. Eine Zeugin, eine Kripo-Beamtin aus Nürnberg, soll am 17. April ab 10 Uhr Klarheit in die weiterhin diffusen Schilderungen der Angeklagten bringen. Auch die Ehefrau des Facharztes soll dann aussagen.