Freyung-Grafenau
Totholz rettet Baumsprösslinge

15.10.2022 | Stand 15.10.2022, 7:00 Uhr

In Wäldern mit viel Totholz sind Baumsprösslinge vor Verbiss besser geschützt als in aufgeräumten Forsten. −Foto: NPV

Ordnung ist das halbe Leben. Das gilt in Kinderzimmer, Küche und Büro. Aber passt es auch im Wald? Muss der aufgeräumt sein? Oder ist Chaos und Verhau doch die bessere Alternative? Reh, Rothirsch und Tanne sehen das auf jeden Fall aus unterschiedlichen Perspektiven.
Die Quintessenz von Forschungsergebnissen aus dem Nationalpark lautet: Chaotische Zustände können durchaus für ordentliche Abläufe sorgen. Zum Beispiel bei der Verjüngung des Waldes. Je mehr Unordnung aus Totholzstämmen in einem Wald herrscht, desto schwieriger ist es für Rehe, die jungen Tannen anzuknabbern.

Totholz als Barriere und Nährstofflieferant

Nach dem Absterben vieler Altfichten im Nationalpark durch den Borkenkäfer in den 1990er Jahren gab es in der Region die Sorge, dass sich der Wald in den totholzreichen Störungsflächen nicht verjüngen kann. Nach zehn Jahren zeigte sich aber bereits, dass diese Annahme falsch war. Die Bäume wuchsen schneller als bei aufgeräumten Windwurfflächen, bei denen Bäume nachgepflanzt wurden. Doch warum ist das so? Eine wichtige Rolle spielen die wertvollen Nährstoffe und die Feuchtigkeit, die Totholz spendet. Doch ist dies der einzige positive Effekt? Forschungen im Nationalpark zeigen, dass Totholz auch eine natürliche Barriere für Rehe darstellt.

Wenig Chancen für Tannen auf freiem Feld

Das Experiment hinter dieser Erkenntnis: Auf 384 Flächen wurde Totholz in Form von Baumkronen in unterschiedlicher Menge ausgelegt. In die auf dem Boden liegenden Kronen wurden insgesamt 20 bis 40 Zentimeter große Tannensetzlinge gepflanzt und im Folgejahr untersucht. Um einen Vergleich ziehen zu können, wurden auch Tannen ohne Schutz gesetzt. Die Ergebnisse waren eindeutig: Stand ein Tannen-Sprössling ohne Schutz im Wald, wurde er im ersten Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 26 Prozent von Rehen angefressen. Stand er im Schutz von viel Totholz, lag die Wahrscheinlichkeit nur noch bei zwei Prozent. Dies kann auch für den Wirtschaftswald von Nutzen sein: Durch das Belassen von Totholz im Wald fördert man nicht nur die Artenvielfalt. Dadurch kann auch die Baumverjüngung auf natürliche und kostengünstigere Weise geschützt werden.

Rothirsche verlassen Bereich nach kompletter Räumung

Aber wie reagieren eigentlich Rothirsche auf Borkenkäfer und Sturm? Um dies zu beantworten, wurden Telemetrie-Daten von mit Sendern bestückten Tieren und Zeitreihen von Satellitenbildern ausgewertet. Ergebnis dabei: Für Hirsche verbessert sich die Lebensraumeignung in Störungsflächen über einen Zeitraum von 25 Jahren. Spätestens dann nutzen sie diese Areale wieder wie gewohnt. Werden Wälder hingegen nach Borkenkäfer und Co. komplett geräumt, verlassen Rothirsche diese Bereiche. Rehe hingegen sind da weniger anspruchsvoll. Auch auf kahlen Waldflächen sind sie noch präsent. Dafür meiden Rehe naturnah belassene Störungsflächen – vor allem im Winter. Im Sommer sind sie dort aber immer noch unterwegs.
KURZ UND BÜNDIG:
•Totholz bietet die ideale Nährstoffgrundlage für kommende Baumgenerationen.
•Chaos und Verhau sorgt dafür, dass Rehe bei Tannen deutlich weniger Rehfraß hinterlassen.
•Rothirsche kommen mit großflächigen Störungsflächen gut klar.

− pnp