Freyung-Grafenau
"Belastet – aber mutlos sind wir noch nicht"

Landrat verschafft mit vier Verantwortlichen von Einrichtungen Einblick in die besorgniserregende FRG-Corona-Entwicklung

16.11.2021 | Stand 21.09.2023, 23:39 Uhr

Der Eindruck bei dem gestrigen Termin trügt etwas: Landrat Sebastian Gruber blickt wegen der aktuellen Corona-Entwicklung im Landkreis eher mit Besorgnis in die nahe Zukunft. −Fotos: Karl

Der Landrat nahm am Dienstagnachmittag bei seinen Schilderungen über die aktuelle Corona-Lage im so inzidenzhohen Landkreis Freyung-Grafenau Anleihen vom Bundespräsidenten, der tags zuvor sinngemäß postulierte: "Was muss denn noch alles passieren, dass sich die Leute impfen lassen?" Im Landratsamt wollte Sebastian Gruber mit vier Verantwortlichen aus Gesundheitsamt, Kliniken, Impf- und Testzentren "Einblicke" verschaffen in die regionale Entwicklung der vergangenen Tage. Das Fazit fast aller: "besorgniserregend", "dramatisch" oder gar "katastrophal".

"Wir haben aktuell eine sehr schwierige Situation, die alles andere als zuversichtlich stimmen kann", sagte Gruber eingangs und mit Blick auf zuletzt massiv gestiegenen Inzidenzwerte (siehe "Aktuelle Zahlen" rechts). Die gesteigerten Infektionen beeinträchtigen auch immer mehr die Notfallversorgung in Kliniken, was Dr. Thomas Motzek-Noé, Chefarzt und Pandemiebeauftragter der Kliniken am Goldenen Steig, später drastisch bestätigen sollte.

"Das stellt alles in den Schatten, was wir seit März 2020 zu bewältigen hatten", sagte Gruber und erwähnte neben der medizinischen Versorgung im stationären Bereich vor allem auch die Nachverfolgung der Infektionsfälle durch das Gesundheitsamt. "Das war alles bis vor ein paar Tagen noch möglich, jetzt aber nicht mehr, weil wir die Kapazitätsgrenzen überschritten haben."

"Kein Hotspot – und auch keine Auffälligkeiten"

"Die Last, die auf den Schultern vieler liegt, ist exorbitant hoch. Alle Mitarbeiter im Hause und Mitarbeiter in den Kliniken sind arg beeinträchtigt und belastet– aber mutlos sind wir noch nicht", so Gruber, der nochmals dringlichst dazu aufrief, sich impfen zu lassen. "Die Impfkapazitäten bei uns werden auch abermals ausgebaut."

Der Landrat ging in puncto Infektionsanstieg noch darauf ein, dass es im Landkreis aktuell keinen "regionalen Hotspot und keine besonderen Auffälligkeiten bei einer Altersgruppe" gebe.

"Was wir in den letzten zwei, drei Wochen erleben, macht mir viele Sorgen. Wir sind kurz davor, dass wir eine sichere klinische Versorgung nicht mehr bieten können. Wir sind nur noch im Notfalldienst und müssen schauen, dass wir Personal umverteilen, um die Patienten, die akut erkranken, noch versorgen zu können", skizzierte Dr. Thomas Motzek-Noé die Situation in den Kreiskliniken. "Wir haben eine Auslastung in den Intensivstationen mit beatmeten Patienten, die – wenn sie Pech haben – die nächsten Wochen noch dort sind." Jeder neue Patient verschärfe die Situation.

Der Chefarzt erwähnte, dass Stationen geschlossen bzw. zusammengelegt wurden, um Personal freizustellen. Das aber stehe nun an. "Wir müssen Patienten mittlerweile weitab verlegen", sagte der Pandemiebeauftragte der Kliniken und erwähnte dabei Ziele wie Eggenfelden oder Würzburg. Aber auch diese Optionen seien endlich, weil auch anderswo immer mehr Betten belegt werden. Motzek-Noé machte sein

Verlegtes Impfzentrum und wieder mehr mobile Teams

"absolutes Unverständnis" deutlich, dass auch immer mehr Patientenverlegungen aus Nordrhein-Westfalen wohl "entgegenwachsen", weil Leute dort unbeschwert Karneval feiern. "Unser Personal ist erschöpft, aber wir tun alles, um die Versorgung aufrechtzuerhalten."

Gemeinsam mit Dr. Peter Gahbauer, FRG-Impf- bzw. Versorgungsarzt, machte Sebastian Gruber darauf aufmerksam, dass demnächst der Umzug des Freyunger Impfzentrums von der Passauer Straße in Richtung Bahnhofstraße (nahe Busbahnhof) anstehe. Zudem solle es schnellstmöglich auch wieder mobile Impfteams geben, "um ein flächendeckendes dezentrales Angebot zu bieten".

Gahbauer ging dann – auch in seiner Funktion als niedergelassener Arzt – auf die ambulante Versorgung ein. "Die steht noch – aber die funktioniert nur noch, solange auch die stationäre Versorgung funktioniert", so der Arzt mit Blick auf die geschilderte Situation in regionalen Kliniken, wohin die Hausärzte üblicherweise Schwerkranke überweisen. Andererseits sei auch für die niedergelassenen Ärzte gerade in diesen Tagen die Belastung massiv gestiegen, nachdem Ministerpräsident Söder dazu aufrief, auch Booster-Impfungen nach fünf Monaten Abstand zur Zweitimpfung durchführen zu können.

"Wo fahre ich Patient nach Notfall hin?"

Im Impfzentren liege die Kapazität aktuell bei 120 bis 150 Impfungen pro Tag. Die Öffnungszeiten seien zuletzt erweitert worden. Auch Behinderten- und Senioreneinrichtungen sollen verstärkt versorgt werden. Gahbauer, selber auch im Notarzt-Einsatz, schilderte auch seine die Sicht seiner Kollegen, wenn sie raus fahren zu Noteinsätzen und während der Fahrt sich überlegen: "Wo fahre ich den Patienten danach hin? Das ist katastrophal."

Am Rande wurden auch aktuelle Impfquoten genannt: Im Landkreis sind bis gestern 44217 Zweitimpfungen erfolgt (Hausarzt-Anteil 18504). Die Impfquote der Zweitimpfungen in Bezug zu den Gesamteinwohnern FRG beträgt 56,43 Prozent.

Karen Schier (Leitung Abteilung Gesundheitswesen im LRA), erwähnte, dass alleine von Montag auf Dienstag 237 Infektionsfälle im Gesundheitsamt FRG registriert wurden. Die Aufarbeitung all dieser Fälle sei "extrem angespannt", skizzierte auch der Landrat. "Ich kann die Bevölkerung nur um Geduld und Verständnis bitten", sagte Gruber mit Blick auf die zwingenden Kontaktaufnahmen in diesen Fällen. Von Karen Schier kam der eindringliche Appell, sich selbst unverzüglich in Isolation zu begeben, sobald eine Infektion bekannt werde und ehe der Anruf vom Gesundheitsamt erfolge. Die meisten Infektionen gebe es derzeit in den Altersklassen 50 - 59 gefolgt von 30 - 39 und 40 - 49. Die meisten Fälle (Zeitraum 1. bis 14.11.) wurden in Waldkirchen (151), Grafenau (97) und Röhrnbach registriert.

Gunther Endres (Katastrophenschutz) ging auf Testungen ein, die in den beiden Zentren des Landkreises in Freyung und Grafenau wieder kontinuierlich steigen. "Die Kapazitäten dort sind ausreichend. Wir kommen nach. Es gibt immer Termine." Zudem sei man im Landkreis mit 16 privaten Anbietern gut versorgt. Seit Pandemiebeginn wurden in den Zentren 115000 PCR-Tests und rund 118000 Schnelltests durchgeführt. "233000 Tests – das ist schon eine Menge, die hier durchgelaufen ist", bilanzierte Endres.

Am Ende bat Landrat Sebastian Gruber noch, eventuell Termine am Landratsamt zu verschieben, weil dort viele Mitarbeiter ans Gesundheitsamt zur Kontaktverfolgung abgestellt seien und personelle Engpässe bestehen. Zudem ließ der Landrat wissen, dass nach den noch laufenden Abstimmungen mit der Polizei in den kommenden Tagen vielerorts im Landkreis wohl Kontrollen zur Einhaltung von geltenden 2G-Regeln erfolgen werden.