Grainet
Als die Franzosen nach Fürholz kamen

Teil einer Ortsgeschichte – Max Fesl erinnert sich an seine Kindheit

23.04.2024 | Stand 23.04.2024, 15:00 Uhr
Florian Duschl

Der 88-jährige Max Fesl: Seine Familie hat viele Jahre lang in dem Haus gewohnt, in dem auch die französischen Kriegsgefangenen untergebracht waren − Fotos: Fl. Duschl

Mittlerweile ist das Ende des Zweiten Weltkriegs schon fast 80 Jahre her, aber noch immer gibt es Zeitzeugen, die von den damaligen Ereignissen erzählen können. Einer von ihnen ist der 88-jährige Max Fesl, ein gebürtiger Fürholzer und ehemaliger Schulleiter und Bürgermeister in der Gemeinde Grainet. Er hat als Kind hautnah erlebt, wie französische Kriegsgefangene im früheren Reitberger-Gasthaus einquartiert wurden, in dem auch die Familie Fesl wohnte.

Max Fesl erzählt: „Im Juni 1940 besetzte Hitler Frankreich und befahl die sofortige Waffenniederlegung der französischen Soldaten. Weil die sich im entmachteten Land aufhaltenden Deutschen den Widerstand der Bevölkerung fürchteten, wurden die vorherigen Kriegsgegner der Deutschen an Orte abtransportiert, die weit weg von der französisch-deutschen Grenze waren. Sie sollten als Gefangene bei den deutschen Bauern und Gemeinden arbeiten und dadurch die deutschen Soldaten an der Front ersetzen. So kamen im Juni 40 Männer in den Bayerischen Wald nach Fürholz.“

Max Fenzl, der Wirt des Reitbergerhauses Nr. 17 wurde als Soldat im ersten Weltkrieg in Frankreich verwundet, war aber den Franzosen gegenüber nicht nachtragend. Als gelernter Zimmermann musste er in großer Eile Stockbetten für die Gefangenen bauen und diese im Tanzsaal des Wirtshauses aufstellen. Getanzt wurde wegen des Krieges schon lange nicht mehr.

Die Familie wohntedamals im ersten Stock

„Meine Familie wohnte in diesem Haus im ersten Stock zur Straße hin“, erinnert sich Fenzl. Ebenso im ersten Stock schliefen auf der Rückseite des Hauses die Gefangenen. „Zwischen unserer Wohnung und dem Saal gab es das sogenannte Postenstüberl. Hier hielten sich die Wachen, meist alte Volkssturmmänner, auf. Sie führten die Gefangenen zu den Bauersleuten und sammelten diese nach deren Arbeit wieder ein“, weiß der heute 88-Jährige. Er ist im Reitbergerhaus, das der Jandelsbrunner Lang Brauerei gehörte, geboren und kann sich als letzter Zeuge an die Zeit mit den Franzosen noch gut erinnern.

Von dem Oberkommando der Wehrmacht gab es für die Gefangenen und die Deutschen genaue Vorschriften. Ein Beispiel nennt Fesl: Lasst die Kriegsgefangenen nicht mit euch gemeinsam bei Tische sitzen. Sie gehören nicht zur Haus- oder Hofgemeinschaft, noch viel weniger zur Familie. Aber: „Daran haben sich unsere Leute aber nicht gehalten. Bei uns galt seit jeher: Wer bei mir arbeitet, sitzt bei mir auch am Esstisch.“

Wenn nicht gearbeitet wurde, hielten sich die Männer im Hof auf. „Zur Straße hin gab es ein großes Holztor, das meines Wissens nicht abgeschlossen war. Ich erinnere mich nicht an eine Absperrvorrichtung. Einmal flüchtete ein Gefangener. Ob er sein Herkunftsland erreichte, war aber mehr als fraglich.“ An der nordöstlichen Hausmauer führte außen eine Treppe zum Saal hinauf. Dadurch sollte der Kontakt mit den Hausbewohnern und Besuchern verhindert werden. „Man versuchte uns Kinder von den ehemaligen Soldaten fernzuhalten, was aber nicht immer gelang. Ich weiß noch, wie sie uns kleine, vom Roten Kreuz an sie verteilte Weißbrötchen schenkten“, sagt Fesl.

Im Laufe der Zeit hätten sich die nicht sehr bewachten Männer etliche Freiheiten herausgenommen. So sammelten sie Weinbergschnecken, die sie sich als Delikatesse zubereiteten. Auch fischten sie an den Bächen. „Sie zeigten uns Buben, wie man die Forellen mit Karbid aus dem Wasser holen konnte.“

Beziehungen zwischen den Gefangenen und jungen Frauen des Dorfes waren Max Fesl nicht bekannt. Wahrscheinlich war die Angst vor drakonischen Strafen sowohl bei den Gefangenen als auch bei der Zivilbevölkerung der Grund für die beiderseitige Zurückhaltung.

Nachdem der Krieg zu Ende war, kam für die Gefangenen die Freiheit. „1945 tollten wir Kinder nach einer Maiandacht bei der Dorfkapelle auf der Straße herum. Plötzlich rief jemand: Die Franzosen fahren weg! Wir Kinder und die Erwachsenen sahen, wie die Franzosen jubelnd auf zwei amerikanische Lastwagen stiegen und uns verließen.

Vor 30 Jahren kam einer der Franzosen zu Besuch

Und dann gab es da noch ein kurzes Erlebnis vor 30 Jahren: 1994 hielt ein Auto mit französischem Kennzeichen vor dem Reitbergerhaus. „Der Fahrer stellte sich mir gegenüber englisch sprechend als Pariser Taxifahrer und ehemaliger Fürholzer Gefangener vor. Er wollte die Wirtin Aloisia (Lois) besuchen und bedauerte, dass sie nicht mehr lebte. Er schilderte mir ihre Großherzigkeit den Gefangenen gegenüber.“ Im Saal stellte der Besucher dann fest, dass es an den Fenstern noch immer kalt hereinzog. Dann besuchte er am nördlichen Dorfende, wo er als Helfer gearbeitet hatte, Theresia Ludwig. Beide umarmten sich herzlich. Die Res erinnerte sich noch gut an den Henri. Sie sagte, dass er sich auf landwirtschaftliche Arbeiten besser verstand als ihr Mann, der damals als Soldat an der Front war. Der Besucher schenkte ihr zur Erinnerung sogar eine kleine Statue des Eiffelturms.

Max Fesl betont im Nachhinein: „Nachschauend kann ich sagen, dass die Gefangenen gesund und unverletzt überlebten und nach fünf Jahren zu ihren Angehörigen zurückkehren konnten, was sehr vielen deutschen Soldaten verwehrt war.“