Von der Stadtgeschichte zur Piep-Show
Birgitta Petschek-Sommer hat die Museumslandschaft in Deggendorf erfolgreich aufgebaut – Nach 40 Jahren geht sie

10.12.2021 | Stand 25.10.2023, 10:54 Uhr

Sie hat ihren Traumberuf leben können: Birgitta Petschek-Sommer im Stadtmuseum Deggendorf. −Foto: Rabenstein

"Die Arbeit hier war ein Glücksfall für mich", sagt Birgitta Petschek-Sommer. Wenn sie am 1. Januar mit 66 Jahren in den Ruhestand geht, hinterlässt sie zwei gut bestellte Häuser: das Stadtmuseum und das Handwerksmuseum Deggendorf. Unter ihrer Führung sind die Häuser das geworden, was sie heute sind: ein Aushängeschild der nichtstaatlichen Museen Bayerns. Seit 40 Jahren ist sie im "Museumsgeschäft", seit März 1983 in der Donaumetropole.

Am Anfang stand eine harte Schule

Die gebürtige Bambergerin hat in Erlangen Kunstgeschichte und Pädagogik studiert – und gleich danach ihre erste Stelle auf Schloss Ratibor in Roth (Franken) gefunden. Ihre Aufgabe dort war das Inventarisieren. "Das war eine harte Schule", sagt sie, aber auch: "Was Besseres hätte mir nicht passieren können." So hat sie von den Waffen über Textilien und Alltagsgegenstände bis hin zur Druckgrafik die Bestände durchforsten und beschreiben müssen – zum Teil mit Hilfe des Germanischen Nationalmuseums. Sie habe unheimlich viel gelernt und dort ihre erste Ausstellung über mittelfränkische Hafnerkeramik gemacht.

Nach Deggendorf hat sie sich auf den Rat der Landesstelle für nichtstaatliche Museen beworben – und die Stelle bekommen.

In Deggendorf fand Birgitta Petschek-Sommer den Stand eines ehrenamtlich geführten Heimatmuseums mit tollem Bestand vor; sie musste erst einmal die gesamte Sammlung umziehen, denn die Altstadtsanierung war im Gange. Saniert wurde das Museum, das denkmalgeschützte Gebäude der ehemaligen Knabenschule, ein Bau des bekannten Architekten Johann Baptist Schott von 1901. "Das war nicht schlecht", erinnert sie sich, denn da musste ich jedes Stück in die Hand nehmen. Es gab kein Eingangsbesuch; alles musste erarbeitet werden. Sie erinnert sich, wie in den 1980er/90er Jahren ein Ruck der Professionalisierung durch die Stadtverwaltung ging – und auch durch das Museum. Und auch daran: "Die Museologie gab es damals nicht; die Kunstgeschichte an der Uni war nicht sehr praxisnah."

Als sie kam, hatte das Stadtmuseum einen Bestand von rund 1000 Artefakten, heute sind es 15000 und alle sind digitalisiert. Seit 2017 gibt es ein professionelles Außendepot; da komme nichts rein, was nicht schädlingsfrei und mit Standortnachweis inventarisiert sei.

Wie viele Ausstellungen sie gemacht hat, weiß sie gar nicht mehr, aber sie erinnert sich an ihre wichtigsten.

Die international wichtigste Ausstellungsreihe, die Birgitta Petschek-Sommer ins Leben gerufen hat, ist "Papier global", die 2009 begann. Die Idee ist von den Niederlanden, Polen und Norddeutschland nach Bayern geschwappt. Die Museumschefin will damit auch auf die Tradition der städtischen Papierfabrik verweisen. Heuer hat die 5. Papier global stattgefunden mit 69 Kunstschaffenden aus 20 Ländern. "Wir haben damit ein Alleinstellungsmerkmal im süddeutschen Raum", sagt sie.

Kulturgeschichtliche Ausstellungen sind ihre große Stärke. Als Besucher erinnert man sich an die Ausstellungen zur Handtasche, zur Teekanne oder zur Dose, jeweils mit Begleitprogramm. Da hat das Stadtmuseum die Kulturgeschichte mit tollen Beispielen gebracht und das Handwerksmuseum parallel modernes Design und Kunsthandwerk sowie Wettbewerbe zum Thema veranstaltet. "Der Besucherkreis wird dadurch erhöht", hat sie festgestellt.

Das Handwerksmuseum wurde 1991 eröffnet und die Museumschefin bekam dafür eine zweite wissenschaftliche Kraft. Von Anfang an hat sie dort auf das Thema Sonderausstellung gesetzt; das habe gute Synergien ergeben.

Eine ihrer erfolgreichen Ausstellungen war die Piep-Show mit dem Untertitel "Der Vogel und sein Mensch". Eine schier unendliche Beziehung vom Klapperstorch bis "federführenden" Mode. Was die Museumsmacherin besonders reizt: "Ich konnte mich jedes Mal in ein anderes Thema einarbeiten. Das ist toll und spannend." Eintauchen musste sie auch in die Exponatenbeschaffung. Sie konnte sie anlässlich der Handtaschen-Ausstellung eine historische Sammlung dieses für die Frau so wichtigen Accessoires erwerben. Andere Ausstellungen, die im Gedächtnis geblieben sind:

"Siedler, Nonnen, Bürger" hieß die Ausstellung im Festjahr 2002, zur ersten urkundlichen Erwähnung Deggendorfs. Auch Sport war schon mal ein Thema in "Fußball aufgetischt" über Geschichte und Kult des Tischfußballs. Und: Viele Zeitzeugen – für die Museumschefin ist oral history wichtig – kamen in der unterhaltsamen Ausstellung "Deggendorfer Nachtleben. Vom Tanzcafé zum Dancefloor" zum Zug.

Und natürlich fehlte auch die "Deggendorfer Knödelsage" als Thema nicht: "Kloß − Knödel − Knedlik" hieß eine Ausstellung, die in die bayerischen Kochtöpfe blickte.

Ein Meilenstein im Museumsbestand, der auch auf sie zurückgeht, ist die historische Apotheke von Dr. Hans Sell aus der Zeit um 1900. Die Museumschefin erinnert sich noch gut, wie sie Bestände erstmals auf einem Dachboden in Augenschein genommen hat.

Auch unbequeme Themen hat Petschek-Sommer angepackt. So ließ sie die Geschichte der "Deggendorfer Gnad", eine alljährlich stattfindende, antijüdische Hostienwallfahrt, die von 1361 bis 1992 lief, wissenschaftlich aufarbeiten und präsentiert die Ergebnisse in einem eigenen Museums-Kabinett.

Ihr letztes großes Projekt war der Umbau des Stadtmuseums und die Neugestaltung zur Stadtgeschichte, die jetzt das Thema hat "Wir sind Deggendorf". Mit wechselnden Perspektiven, auch aufgehängt an Persönlichkeiten oder Firmen, wird die Stadtgeschichte vorgestellt. Der Einsatz von neuen Medien war Petschek-Sommer genau so wichtig, wie Tast- und Audiostationen für Blinde und Sehbehinderte. Auch gibt es jetzt einen Zugang mit Lift. "Wir

"Wir sind Deggendorf"ist die Krönung

sind kein Elfenbeinturm, sondern machen die Ausstellung für unsere Besucher", sagt sie. Interaktivität steht ganz oben. Familienfreundlichkeit auch. Diese Bedingungen mussten die Museums-szenographen erfüllen. Wer durch die Ausstellung schlendert, sieht, dass dies die Krönung ihrer Arbeit ist. Stadtgeschichte, die lebendig und mit modernsten Mitteln und viel Wissenshintergrund präsentiert wird.

"Dieser Job war mein Traumberuf", lacht sie und freut sich, die zwei Häuser in gute Hände zu geben. Neue Museumschefin ab 1. Januar wird Anja Fröhlich, die sich bereits seit vier Jahren einarbeitet. Das Handwerksmuseum wird Greta Butuci leitenm. Mit Blick auf die beiden jungen Frauen sagt sie: "Es wird gut weitergehen mit neuen Ideen."

Birgitta Petschek-Sommers nächstes Projekt heißt Abstandgewinnen und den neuen Lebensabschnitt planen. Und dann ist noch eine große Freude in ihr Leben getreten: "Ich bin seit Ende August Oma einer süßen Helena. Diese Rolle will ich gerne erfüllen."

Wenn für sie die Arbeit ein Glücksfall war, so kann man nur sagen: Für die Stadt Deggendorf und die ostbayerische Museumslandschaft war Birgitta Petschek-Sommer ein riesiger Glücksfall!