Minifestival auf der Burg
Band der Stunde: Die ganz großen Gefühle der Provinz

18.07.2022 | Stand 21.09.2023, 22:10 Uhr

Aus dem Oberschwäbischen nach Oberbayern: Provinz beschlossen das Extra-Live-Minifestival auf der Burghauser Burg. −Foto: Theresa Schwarz

Burghausen und Granada – das ist wie eine unglückliche Liebesgeschichte. Im Vorjahr hat die Grazer Band ihr Konzert auf der Burg vorzeitig wegen Unwetters abbrechen müssen. Das Versprechen wiederzukommen sollte am vergangenen Freitag eingelöst werden. Doch krankheitsbedingt muss der Auftritt kurzfristig abgesagt werden. Die Vorbands Glanz&Gloria und Reverend Stomp, die 2021 ebenfalls Anheizer gespielt haben, treten gegen Spenden auf.

Der Waffenplatz wird zum Tanzboden

So hat das Mini-Festival Extra Live 2022 einen unglücklichen Start. Am Samstag jedoch verwandeln Kommuna Lux aus der Ukraine den Waffenplatz vor der Hauptburg in einen Tanzboden. Mit ihrer wilden Mischung aus Klezmer und osteuropäischer Folklore, durchaus versehen mit Pop-Appeal und getrieben von ebenso scharfen wie schrägen Bläsersätzen, sorgt das Septett aus Odessa für Partystimmung unter dem Sommerhimmel.

Der Sonntag schließlich bringt die neuen Stars am deutschen Pophimmel in die Salzachstadt. Provinz aus Vogt bei Ravensburg sind die Band der Stunde, begeisterten schon auf den großen Festivals wie dem Southside in ihrer schwäbischen Heimat – und nachdem die Salzburger Vorband "Please Madame" die Menge mit ihrem Indie-Rock-Sound aufgewärmt hat mindestens genauso sehr in Burghausen.

Vor genau zwei Jahren ist ihr Debutalbum "Wir bauten uns Amerika" erschienen, das eigentlich für die ganz großen Bühnen prädestiniert gewesen wäre. Doch statt Festival-Sommer und Party erwartete das Quartett ein Sommer, der von Social Distancing und Warten geprägt war. Das war eine Zeit, in der Provinz an einem Punkt standen, "wo wir nicht so recht wussten, wie das so ausgehen wird", sagt der Sänger Vincent Waizenegger. Wobei die Band selbst schon immer gewusst zu haben scheint, dass sie es ganz weit nach oben schaffen wird. So singt Waizenegger auch: "Du wirst sehen, was ich immer schon gesehen hab. Gib mir’n bisschen Zeit, gib mir dieses Lied. Dann kauf ich dir die Welt, wenn du willst!"

Mit einer Mischung aus lauten, politischen Indiesongs wie "Hymne gegen euch" schafft die Band es, die Wut und die Resignation, die wohl eine ganze Generation betrifft, in einen Song zu stecken. Die vier wollen ihre laute Stimme auch für gesellschaftlich relevanten Themen wie die "Black Lives Matter"-Bewegung, die Klimakrise oder gegen die sogenannte Querdenker-Bewegung erheben.

Auch die leichteren Popsongs wie "Liebe zu dritt", den die Band im letzten Jahr mit den befreundeten Künstlern Majan und Jeremias schrieb und aufnahm, reißen die Menge mit. Dass der Bandname auch Programm ist, lässt sich aus "Augen sind Rot" herauslesen, mit dem Vincent Waizenegger, seine Cousins Robin Schmid und Moritz Bösing sowie der Schulfreund Leon Sennewald das Erwachsenwerden auf dem Land beschreiben, das wohl im schwäbischen Vogt und im oberbayerischen Kreis Altötting sehr ähnlich ist. Jeder, der in der Provinz aufgewachsen ist, weiß: Das Allerwichtigste ist der Führerschein. Dann darf man sich von irgendwem ein Auto leihen und ist endlich nicht mehr abhängig.
Bei Provinz war das der Fiat der Mutter eines der Bandmitglieder, mit dem sie einander abgeholt und sich dann gegenseitig ihre Langeweile um die Ohren geschlagen haben. Und so entstand dann die Musik, die sie am Sonntag vor rund 800 Menschen zum Besten gegeben haben.

Der Sänger holt immer wieder alle Gefühle heraus, als er in die Menge ruft: "Wir brauchen kein Berlin, brauchen nur uns!" Er schreit und drückt und schleudert dem Publikum in höchster Emotionalität den Text entgegen. Waizenegger ist erst 23 Jahre alt, doch seine Stimme erreicht alle Generationen und ihre Gefühle. Sie überschlägt sich, wird wieder leiser, um dann schier aus ihm herauszubrechen.

Ein Fest für Musiker und Fans gleichermaßen

Die Themen der Songs sind nahbar und eingängig. Es geht natürlich um die Liebe und ums Verlassenwerden, doch auch darum, sich auszuprobieren und sich zu trauen. Es geht darum, seine Träume zu verwirklichen, komme was wolle. Darum, sich auf etwas einzulassen, damit man woanders hinkommt und etwas schaffen kann. Denn sie haben ja noch gar nichts erreicht – singt der Frontmann in "Spring".
Es sind zweifelsohne Themen, die junge und aufstrebende Bands in einer Zeit beschäftigen, in der es keine Konzerte, keine Festivals und wenig andere Möglichkeiten gibt, eine Fanbase zu generieren. Und auch ein Publikum, das die letzten zwei Jahre auf direkten Kontakt zur Musik verzichten musste, fühlt sich von den Zeilen, den ganz großen Gefühlen der Provinz sichtlich angesprochen. Theresa Schwarz