Bad Reichenhall
Einzelhandel: Die Kurstadt braucht mehr Chili

Reichenhall ist genauso attraktiv wie die Salzburger Altstadt

20.10.2021 | Stand 21.09.2023, 6:00 Uhr

Zwei Erkenntnisse in einem Bild: Leerstand ist ein großes Problem. Insgesamt aber lässt es sich in Reichenhall ganz gut flanieren und genießen. −Foto: Corinna Anton

Ein bisschen weniger Königlich Bayerisches Amtsgericht, dafür ein bisschen mehr Babylon Berlin – so fasste Roland Murauer seine Empfehlungen für die Einkaufsstadt Bad Reichenhall zusammen. Sein Beratungsunternehmen "Cima" hat ein Gutachten erstellt, das er am Mittwoch zusammen mit Oberbürgermeister Dr. Christoph Lung und Stadtmarketing-Chefin Dr. Brigitte Schlögl bei einer Pressekonferenz präsentierte.

Zu "mehr Pfeffer, oder besser mehr Chili" bei der Vermarktung riet Murauer. Die Stadt stehe insgesamt nicht schlecht da, müsse sich aber besser vermarkten und vor allem etwas gegen den Leerstand unternehmen. Gefordert seien die Politik, aber auch Betriebe und Immobilienbesitzer.

Die Cima-Experten führten von Juni bis Oktober 1050 Telefoninterviews im Berchtesgadener Land und im Landkreis Traunstein sowie 1620 im österreichischen Grenzraum. Sie werteten auch 186 Einzelhandelsbetriebe im Stadtgebiet aus und führten persönliche Interviews mit 91 Unternehmern. An 204 Geschäfte in der Innenstadt schickten sie Fragebögen, von denen 89 beantwortet wurden. Die Ergebnisse fasste Murauer in zehn "Kernaussagen" zusammen.

Standorttreue: Die Reichenhaller kaufen 64 Prozent aller Waren in der eigenen Stadt. Diese sogenannte Kaufkrafteigenbindung ist seit der letzten Erhebung 2005 um nur einen Prozentpunkt gesunken. Beim kurzfristigen Bedarf sind es sogar 84 Prozent. Nicht zufrieden ist Murauer beim mittelfristigen Bedarf, etwa Kleidung, Spielwaren und Bücher – da sind es nur 47 Prozent.

Marktanteilsverlust: Im klassischen Einzugsgebiet der Stadt leben 19200 potenzielle Kunden. Davon kann Reichenhall 30 Prozent abschöpfen – im Gegensatz zu 50 Prozent 2005. Insgesamt fließen aus Bad Reichenhall etwa 34,6 Millionen Euro Kaufkraft ab.

Konkurrenz: Die wichtigsten Konkurrenzstandorte waren 2005 Piding, Salzburg-Stadt und Freilassing. Nun steht laut Murauer an erster Stelle der Online-Handel mit 9,3 Millionen Euro pro Jahr. Mit Abstand folgen Salzburg-Stadt (7,7 Millionen) und Piding (6,8 Millionen).

Tourismus: Als die Grenzen in der Pandemie geschlossen waren, fiel es besonders auf: Die Geschäfte in der Kurstadt sind auf Touristen angewiesen. Die Analyse zeigt: Von 125 Millionen Euro Einzelhandelsumsatz pro Jahr entfallen rund 33 Millionen Euro auf Touristen. Damit gehört Reichenhall laut Murauer zu den Orten, die viel Kaufkraft aus dem Tourismus abschöpfen.

Produktivität: Einen guten Wert erreicht die Innenstadt bei der Einzelhandelsflächenproduktivität – das ist der Umsatz pro Quadratmeter Verkaufsfläche pro Jahr. In der Innenstadt lag der Wert 2005 bei 3600 Euro und stieg seitdem auf 3990 Euro. Betrachtet man die gesamte Stadt, ist er von 3920 auf 3580 gesunken.

Flächenschwund: Die gestiegene Produktivität in der Innenstadt führen die Experten auch auf eine "Bereinigung" des Markts zurück. Die Verkaufsfläche ist seit 2005 um 4500 Quadratmeter gesunken, die Zahl der Betriebe um 20 zurückgegangen. Dagegen gibt es bei der "peripheren Verkaufsfläche" ein Plus von 82 Prozent auf jetzt gut 16000 Quadratmeter. In der Innenstadt finden sich noch immer mehr als 21000 Quadratmeter Verkaufsfläche.

Leerstand: Die Gutachter zählten 47 leerstehende ebenerdige Einheiten in der Innenstadt, darunter 34 Einzelhandelseinheiten. Insgesamt etwa 2800 Quadratmeter Leerstand machen rund zwölf Prozent der Einzelhandelsfläche aus. Das ist laut Murauer eine alarmierende Zahl. "Gute Standorte" zeichne eine Quote von vier bis fünf Prozent aus, bis zu zehn sei akzeptabel, alles andere ein "Auftrag an Stadt und Immobilienbesitzer".

Wettbewerbsfähigkeit: Die Experten gehen davon aus, dass sich etwa 15 bis 16 Betriebe in der "Todeszone" befinden und die nächsten eineinhalb Jahre nicht überstehen werden. 17 Prozent der Geschäfte in der Innenstadt attestieren sie eine sehr hohe, 55 Prozent eine gute und 17 Prozent eine mittlere Wettbewerbsfähigkeit.

Mietpreise: In der Regel entsprechen die Mietpreise in der Innenstadt dem Durchschnitt – bei 59 Prozent der Läden trifft das zu. Geringer als 20 Prozent unter dem Durchschnitt sind die Mieten bei 14 Prozent der Läden und mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt liegen sie bei 28 Prozent – in diesem Fall sollte die Stadt aktiv werden und den Hausbesitzern vermitteln, dass sich das, was sie verlangen, nicht erwirtschaften lässt, so Murauer.

Attraktivität: Die Kunden stellen der Stadt insgesamt mit der Schulnote 2,2 ein gutes Zeugnis aus. Dabei ging es um Kriterien wie Sauberkeit (Note 1,8), Parkplatzangebot (2,6) und Fahrradfreundlichkeit (2,1). Attraktiver ist in der Region nur der Europark (1,9). Mit Reichenhall gleichauf ist Salzburg-Altstadt. Freilassing liegt bei 2,8, Berchtesgaden bei 3,1.

Abschließend empfahl Murauer eine "Image- und Marketingoffensive". Das Stadtmarketing müsse gestärkt und weiter professionalisiert werden, wichtig sei eine von Wirtschaft und Politik getragene Standortstrategie, aber auch Beratungsangebote für Leerflächenbesitzer. Den Innenstadtbetrieben müsse "digitale Basiskompetenz" vermittelt werden, "mehr Pep" brauche es beim Marketing, auch in Betrieben.

"Mehr Pep" wünschen sich Murauer und Schlögl auch vom Ideenwettbewerb für Gründer, der noch bis 20. Dezember läuft. Die Verantwortlichen wollen nicht "mehr vom Gleichen", sondern neue Ideen, daher haben sie die Frist verlängert. Auch wegen Corona, vermuten sie, hielten sich potenzielle Gründer bisher zurück, die Beiträge, die eingereicht wurden, konnten noch nicht so recht überzeugen.