Wirbel um Live-Schalte aus "Eggenhausen"

ARD-Beitrag lässt Landkreis Rottal-Inn als angebliche Reichsbürger- und Querdenker-Hochburg erscheinen

17.11.2021 | Stand 19.09.2023, 22:16 Uhr

Live vom Wochenmarkt am Eggenfeldener Rathausplatz – und nicht aus Kitzingen – meldete sich am Freitag BR-Reporter Florian Schwegler (nicht Schwelger) in der ARD-Sendung "Live nach neun". −Screenshot: seb

Eggenfelden. Der Landkreis Rottal-Inn war in den vergangenen Tagen medial deutschlandweit äußerst präsent: War man doch tagelang Spitzenreiter bei den Inzidenzwerten. Auch gestern lag der niederbayerische Landkreis laut Robert-Koch-Institut mit einem Wert von 1281 noch knapp hinter den sächsischen Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (1362) und Meißen (1298) auf Platz 3 in der Bundesrepublik. So schickte nicht nur Satiriker Jan Böhmermann in seiner Freitagabend-Show "ZDF Magazin Royale" vergiftete "Glückwünsche" nach Rottal-Inn. Auch das ARD-Vormittagsfernsehen berichtete in der Sendung "Live nach neun" am Freitag live vom Corona-Hotspot – und sorgte damit für einigen Wirbel im Rottal.

Staatskanzlei: Völlig verknappt zusammengefasst

Sorgen die falschen Ortsangaben – Moderatorin Isabel Varell spricht bei der Ankündigung des Beitrags von "Eggenhausen" statt von Eggenfelden, bei der Schalte zum dortigen Rathausplatz wird Reporter Florian Schwegler vom Bayerischen Rundfunk per Einblendung gar im unterfränkischen Kitzingen verortet – beim ortskundigen TV-Zuschauer vielleicht nur für ein müdes Schmunzeln, so liefern die einleitenden Sätze des Corona-Front-Reporters echten Zündstoff: Eingehend auf die möglichen Ursachen der hohen Inzidenzwerte, beruft sich Schwegler auf einen angeblichen Erklärungsversuch von Ministerpräsident Markus Söder: "Er hat gemeint, hier leben einfach viele Reichsbürger, Querdenker und Impfgegner", sagt er wörtlich und leitet über zum Clip einer zuvor geführten Straßenumfrage.

Auf welche Aussage Söders sich Schwegler dabei bezieht, wird nicht klar – öffentlich bekannt sind derlei Äußerungen des Ministerpräsidenten mit konkretem Bezug zum Landkreis Rottal-Inn freilich nicht. Ein entsprechend klares Dementi kommt auf PNP-Nachfrage auch aus der Staatskanzlei in München. Vielmehr seien hier offenbar allgemeine Aussagen Söders "völlig verknappt und unzureichend zusammengefasst worden", mutmaßt ein Sprecher.

In der Tat hatte Söder in den vergangenen Tagen mehrfach öffentlich eine direkte Verbindung zwischen hohen Infektionszahlen und niedrigen Impfquoten hergestellt, gerade im Süden Bayerns. Dabei handle es sich auch um Gebiete, in denen es entweder viele Reichsbürger, Querdenker oder Esoteriker gebe, sagte er etwa jüngst im Deutschlandfunk – ohne freilich explizit den Landkreis Rottal-Inn zu erwähnen. Vordringliche Aufgabe sei es aktuell, möglichst viele Menschen zum Impfen zu bringen, führt der Sprecher der Staatskanzlei Söders Intention weiter aus – und man registriere derzeit auch, dass die Zahlen steigen. "Es geht jetzt darum, möglichst viele Menschen mitzunehmen und Brücken zu bauen für diejenigen, die noch unsicher sind", so der Sprecher.

Die Vermutung liegt also nahe, dass ARD-Reporter Florian Schwegler hier, ob gewollt oder nicht, vor Hunderttausenden TV-Zuschauern einfach selbst einen unglücklichen direkten Bezug zum Landkreis Rottal-Inn hergestellt hat. Die statistischen Daten stützen die Behauptung, zumindest zum Thema Reichsbürger, freilich ohnehin kaum: "Insgesamt haben wir 77 Personen, die im Verdacht stehen, der Reichsbürgerbewegung nahe zu stehen", berichtet Mathias Kempf, Pressesprecher am Landratsamt Rottal-Inn, auf Nachfrage – und das bei etwa 120000 Einwohnern. Keine Daten gebe es hingegen zu Querdenkern, da diese nicht eindeutig zuordenbar seien, erklärt Kempf. Zwar gab es auch im Landkreis Rottal-Inn einige wenige Querdenker-Kundgebungen, allerdings auch nicht mehr als andernorts und mit überschaubarem Zuspruch.

Fakt ist allerdings die vergleichsweise niedrige Impfquote im Landkreis, Ende vergangener Woche lag sie bei deutlich unterdurchschnittlichen 53,5 Prozent, wobei angenommen wird, dass die "echte" Quote etwas höher liegen dürfte. So arbeiten zahlreiche Landkreisbürger in Industriewerken in Nachbarlandkreisen, wo Impfungen auch durch die jeweiligen Betriebsärzte erfolgten. Dennoch dürfte der Landkreis deutlich unter der bayernweiten Impfquote von aktuell 65,6 Prozent liegen.

Unbeantwortet blieb derweil eine Anfrage an Michael Fahmüller (CSU), Landrat in Rottal-Inn, mit Bitte um eine Stellungnahme zu der Sache. Weniger zugeknöpft gibt sich sein Stellvertreter Werner Schießl (Freie Wähler). "Das kann man so nicht stehen lassen", sagt er zu den in dem ARD-Beitrag getätigten Aussagen. Denn mit derlei Pauschalisierungen mit konkretem Bezug zu Rottal-Inn tue man den Bürgern im Landkreis Unrecht. Es brauche schon eine differenzierte Sichtweise, um die möglichen Gründe für die hohen Infektionszahlen vor Ort identifizieren zu können.

Kritik von stellvertretendem Landrat Werner Schießl

"Wir sind ein Grenzlandkreis", betont er etwa mit Blick auf die noch deutlich höheren Werte in der benachbarten Region Braunau. Zudem sei Rottal-Inn vergleichsweise ländlich strukturiert mit zahlreichen Handwerks- und landwirtschaftlichen Betrieben – was auch deutlich weniger Kontakte als in Metropol-Räumen bedeute und eine Impfung womöglich weniger notwendig erscheinen lasse. Viele Ungeimpfte ließen sich jedoch regelmäßig testen. Für Schießl steht jedenfalls für Rottal-Inn fest: "Die Bürger verhalten sich verantwortungsvoll." Eine kleine Spitze in Richtung Söder kann sich Schießl am Ende auch nicht verkneifen: Seien die Aussagen zur Rolle von Querdenkern und Reichsbürgern auch nicht auf Rottal-Inn bezogen, so kämen sie doch "zur Unzeit". Denn den Druck auf Ungeimpfte immer weiter zu erhöhen, so glaubt er, könne auch das Gegenteil des eigentlich Gewünschten bewirken.