Salzburger Landstheater
Wie wäre das Leben ohne meine Frau? – Max Frisch in Salzburg

25.09.2022 | Stand 20.09.2023, 1:23 Uhr
Kirsten Benekam

Was, wenn wir das Leben zurückdrehen und grundlegend ändern könnten? Verhaltensforscher Kürmann (Christoph Wieschke) im Selbstversuch mit Ehefrau Antoinette (Tina Eberhardt). −Foto: Tobias Witzgall

Das Team des Salzburger Landestheaters wandelt, der immer noch währenden Sanierungsmaßnahmen seiner Spielstätte geschuldet, auf anderen Bühnen. Ungewohnte Aussichten in sich verändernden Zeiten verändern Perspektiven, bieten neue Möglichkeiten oder zeigen Grenzen auf. Wie im richtigen Leben, woraus sich bekanntlich die Theaterkunst speist. Nach "Carmen" im Zirkuszelt und "Shakespeare im Pool" im Paracelsus Bad feierte nun ein fünfköpfiges Ensemble in der Inszenierung von Marco Dott im "Oval – Die Bühne im Europapark" Premiere: "Biografie: Ein Spiel" von Max Frisch.

Nachträglich die Biografie korrigieren

Frisch selbst hatte mit seinem 1967 verfassten Werk kein leichtes Spiel. Der Optimierungsversuch, seine Neufassung 1984, machte es nicht besser. "Ich habe es als Komödie gemeint", resümierte er, weil sich beim Publikum nicht die gewünschte Wirkung einstellte. Im Werk gespielt oder besser gesagt durchgespielt wird die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Menschen, seine Identität zu verändern. Als Fehltritte erkannte Schlüsselerlebnisse sollen in entsprechenden Lebensmomenten durch andere Handlungen oder Verhalten ersetzt werden, um somit den Schicksalslauf zu verändern: mit dem Wissen von heute die Vergangenheit verändern.

"Was wäre, wenn?" und "Was wäre, wenn nicht?" – so schickt Max Frisch als Spiel im Spiel seinen Protagonisten, den Verhaltensforscher Kürmann (Christoph Wieschke) in einen gewagten Selbstversuch, gewährt ihm die Chance, seine Biografie nachträglich zu korrigieren. Kürmann wünscht sich "eine Biografie ohne seine Frau Antoinette" (Tina Eberhardt). Wie wäre sein Leben ohne Antoinette verlaufen? Kann er sein Leben damit optimieren?

Die Zuschauer im Oval hatten das Gefühl einer Theaterprobe beizuwohnen: Ein Regisseur (Spielleiter Gregor Schulz) mit Assistentin (Elisabeth Mackner) und Assistent (Martin Trippensee) feilt an einer Inszenierung, hinterfragt detailliert Kürmanns Handlungen und Verhalten und die Möglichkeit, sie zu variieren. Prinzipien von Ursache und Wirkung werden analysiert, es wird gespiegelt, der Spielverlauf jäh unterbrochen, verändert wieder aufgenommen und teils emotionsgeladen diskutiert.

Trotzdem führt, trotz aller Eingriffe in die Vergangenheit, am Ende doch, wenn auch über Umwege, wieder alles ins selbe Dilemma. Ob diese Umwege letztlich nur Schattierungen derselben Grundfarbe sind?

Die sparsame und wandelbare Bühnenausstattung (Matthias Kronfuss) lässt den Fokus aufs Wesentliche zu: zentral ein Tisch, zwei Stühle oder ein Sofa als Spielfeld – weniger ist mehr.

BrillanteSchauspielkunst

Überhaupt nicht sparsam in allen Emotionslagen agiert das Ensemble in brillanter Schauspielkunst. Grandiose Figurenführung, temporeiches Spiel in allen Variationen dicht und zielsicher übers (Spiel-)Feld geführt und am Ende ein geflashtes Publikum zum Nachdenken angeregt.

Beim Anblick einer Spieluhr "metapherte" Antoinette eingangs im Stück: "Figuren, die immer die gleichen Gesten machen, sobald es klimpert, und immer ist es dieselbe Walze, trotzdem ist man gespannt jedes Mal". Ob diese Figuren ihrer Walze entkommen können, also zu anderen Gesten fähig wären, selbstbestimmt und frei? "Sie haben die Wahl", meint der Spielleiter zu Kürmann. Ob wir uns "verhaltenshäuten" könnten, wenn wir unser Leben zurückdrehen könnten? Ein wirklich lohnenswertes theatrales Gedankenspiel.

Kirsten Benekam

Bis 30. Dezember am Salzburger Landestheater im Oval, ab 6. Dezember in den Kammerspielen. auf salzburger-landestheater.at oder 0043/662/871512222