Buch zur Geschichte der Passionsspiele
Wie Oberammergau alle Fürsten überlebt hat

05.01.2022 | Stand 12.10.2023, 11:55 Uhr
Wolfgang Schweiger

Ideale Lektüre vor der Premiere am 14. Mai. −F.: Volk Verlag

"Das Läuten der Totenglocke war wie eine Peitsche, die in die Seele schlug, nur noch mit leisen Schlägen, aber unaufhörlich, so dass die Gesunden der Irrsinn anzufallen drohte." So schildert der Schriftsteller Leo Weismantel (1888-1964) die grausamen Folgen der Pest, die ab Herbst 1632 das 600-Seelendorf Oberammergau heimsuchte und bis Juli 1633 84 Menschen tötete.

Weismantel weiter: "In den Häusern hatten sie die Stuben geteilt in die der Kranken und die der Gesunden, und so sie an einem nur ein Zeichen gewahrten, stießen sie ihn zu den Verseuchten hinüber. … Nur wenige fanden sich, die sich hineinwagten zu den Kranken, ihnen ein Essen hineinzutragen, sie zu pflegen. Wer wagte ihre Schüssel zu berühren, aus der sie aßen? Konnte das nicht schon der eigene Tod sein? So stellten sie einen Napf neben den Kranken und schütteten Speisen hinein; und dann saßen sie wieder beisammen, und die Stunden verrannen langsam und qualvoll".

Als Folge davon legten die Oberammergauer am 27. Oktober 1633 das Gelübde ab, alle zehn Jahre die Passion Christi aufzuführen, falls sie fortan von der Seuche verschont bleiben. Dass von diesem Tag an kein Pesttoter mehr zu verzeichnen war, dürfte allerdings eher daran gelegen haben, dass alle Bewohner, die sich angesteckt hatten, bereits gestorben waren, und die Überlebenden gegen die Pestbakterien offensichtlich resistent waren. Im Jahr darauf führten sie die ersten Passionsspiele auf, der Wechsel auf volle Zehnerjahre erfolgte 1680.

Allerdings kam es bereits in der Vergangenheit zu Ausfällen oder Verlegungen. So verbot anno 1770 der bayerische Kurfürst Maximilian III. alle Passionsspiele in seinem Herrschaftsgebiet mit der Begründung, dass "das größte Geheimnis unserer heiligen Religion nun einmal nicht auf die Schaubühne gehört". Den nächsten Spielausfall gab es 1810, als König Max und sein Minister Maximilian Freiherr von Montgelas kirchliches Brauchtum wie Prozessionen, Ölbergandachten, Weihnachtskrippen und Passionsspiele vorübergehend verboten. Um ein bzw. zwei Jahre verschoben wurden die Oberammergauer Spiele nach dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg, wegen des Zweiten Weltkriegs fielen sie 1940 aus.

Die Journalistin Viola Schenz, die laut Klappentext bei schlechtem Wetter in München wohnt und arbeitet und bei schönem in Oberammergau, hat nun eine höchst lesenswerte Geschichte der Oberammergauer Passionsspiele vorgelegt, in der sie hinter die Kulissen des weltweit erfolgreichsten Laienspiels schaut und verrät, warum es die Passionsspiele überhaupt noch gibt und warum es sie ohne das nahe Benediktiner-Kloster Ettal gar nicht gäbe.

Sie erklärt auch, welche Wandlungen die Spiele durchmachten. Welche Dramen sich in den Zwischenjahren zutrugen. Warum das Theater dort steht, wo es steht, nämlich am nördlichen Dorfrand. Wie die Spiele Napoleons Säkularisation überlebten. Was es mit den "Lebenden Bildern" auf sich hat und was mit dem "Haar- und Barterlass". Weshalb sie vor allem Besucher aus Großbritannien und den USA anziehen. Welche Qualen der Christus-Darsteller mitunter durchleidet. Wie Christian Stückl die Spiele reformierte. Wer mitspielen darf. Warum die Oberammergauer eines Tages auf die Barrikaden gingen. Wie die Nationalsozialisten die Spiele instrumentalisierten. Warum Leonard Bernstein zum Boykott der Spiele aufrief. Warum der Vatikan schlecht auf die Oberammergauer zu sprechen war – und was den Märchenkönig Ludwig II. mit den Spielen verbindet.

Opulent illustriert und spannend erzählt, bietet der wunderschön aufgemachte Band somit die bestmögliche Lektüre zu den Spielen, die laut Planung vom 14. Mai bis zum 2. Oktober aufgeführt werden.

Wolfgang Schweiger



Viola Schenz "Die Geschichte der Oberammergauer Passionsspiele – Ein Dorf begeistert die Welt". Volk Verlag, 180 Seiten, 28 Euro