Jugendbücher entwerfen Visionen
Wie es nach dem Weltuntergang weitergeht

06.07.2021 | Stand 12.10.2023, 10:30 Uhr

Als der Mensch im Begriff war, die Erde zu zerstören, zogen die Roboter die Konsequenz – und löschten die Menschheit nahezu komplett aus. Später muss Handwerker-Roboter XR_935 lernen, dass nicht jeder Mensch durch und durch schlecht ist. −Foto: Pexels / Alex Knight

2099: Nach einem Meteoriteneinschlag ist die Erde überflutet, die Menschheit lebt seitdem unter Wasser. So auch Leyla McQueen im gefluteten London. Die Menschen leben in speziellen Bauten, die dem Wasserdruck standhalten, bewegen sich in großen U-Booten oder wendigeren Tauchbooten voran – und tun alles dafür, eines Tages zurück an die Oberfläche zu kehren.

Tag für Tag droht die Gefahr der Meerestiefen und seiner Kreaturen. Und die Gefahr der "Seekrankheit" – einer Depression, die die Menschen wegen der Hoffnungslosigkeit in den Selbstmord treibt. Und dann gibt es da noch die unheimlichen Anthropoiden, eine Weiterentwicklung der menschlichen Spezies, die Wissenschaftler vor dem Ende der alten Welt erschaffen haben: Sie können im Wasser überleben und sollten den Menschen beim Leben im Wasser zur Seite stehen – doch sie haben sich gegen ihre Schöpfer gewandt. Dieses Szenario entwirft London Shah in ihrem Debütroman "Water Rising – Flucht in die Tiefe". Der Jugend-Fantasy-Roman beschäftigt sich mit einer Zukunft, in der die Erde quasi unbewohnbar wird.

Kleiner Exkurs weg von der fiktiven in die reale Welt: Bis zum Jahr 2050 könnte aufgrund der globalen Erwärmung der Lebensraum von bis zu einer Milliarde Menschen bedroht sein, wie aus einer Studie des Institute of Economics and Peace hervorgeht. Die größte Gefahr bestehe in Wasser- und Lebensmittelknappheit, Stürmen und Überflutungen. Weltweit setzen sich in den Fridays-For-Future-Demos vor allem junge Menschen für den Erhalt der Erde und die Abwendung des Klimawandels ein. Dass sich nun auch Jugendbücher dieser Thematik widmen, ist deshalb nur die logische Konsequenz. Wir stellen zwei aktuelle Bücher aus dem Loewe-Verlag vor, die das Thema Zukunft und Umwelt ganz unterschiedlich angehen.

Water Rising

In London Shahs "Water Rising" sehnt sich die Menschheit zurück zu einem Leben an der Oberfläche, die Regierung hält die Hoffnung mit Forschungsprojekten hoch – und scheint doch nicht ganz aufrichtig dabei. Ist die baldige Rückkehr nur eine Illusion? Und war das alte Leben vielleicht gar nicht so wunderbar? "Die Alte Welt ist nicht der Sehnsuchtsort gewesen, für den sie heute gehalten wird. Die Wirklichkeit war tatsächlich anders. Die Veränderungen des Klimas … sie war zu einem beängstigenden Ort geworden", sagt etwa Leylas Großvater, der das Leben vor der Katastrophe noch kennt. Als Leyla herausfindet, dass die Regierung auch noch mit dem Verschwinden ihres Vaters zu tun hat, macht sie sich mit ihrem U-Boot auf in die unbekannten freien Gewässer, um ihn zu suchen. Und um die Wahrheit herauszufinden.

Protagonistin Leyla McQueen ist, wie Autorin London Shah, eine Muslima. Nachdem ihre Wohnung verwüstet wird, schaut sie zuerst nach, ob der Koran auf den Boden gefallen ist. Wenn Sie sich Mut machen will, leitet sie ihre Sätze mit "Bismillah" (Im Namen Gottes) ein, und wenn eine große Aufgabe bevorsteht, betet sie – die Autorin setzt mit dieser Protagonistin in einem Jugendbuch klare Statements für Diversität und Empathie über die Kulturen hinweg.

Dass es eine Verschwörung der Regierung gibt, kann sich der Leser denken, bevor die Protagonistin es herausfindet, auch, dass ihr mysteriöser Begleiter Ari ein Geheimnis birgt, und welches das sein könnte, ist bald klar. Die Welt unter Wasser, die in "Water Rising" erschaffen wird, ist trotzdem interessant genug, dass man Leyla McQueen gerne auf ihrer Reise begleitet – und am Ende gespannt ist auf Band zwei, den abschließenden Teil, nachdem Leyla ihren Vater im ersten Buch zwar findet, aber dafür zum Staatsfeind Nummer eins erklärt wird.

Roboter träumen nicht

Eine ganz andere Vision der Zukunft entwirft Lee Bacon in "Roboter träumen nicht". Bacon lebt in Texas und hat mehrere Kinderbuchreihen verfasst. Sei neuester Protagonist ist XR_935, ein Roboter und zuständig für die Installation von Solarpanels. Über Nacht lädt er seinen Akku auf, am Tag arbeitet er, das Leben funktioniert reibungslos. Das war nicht immer so: Früher, als die Menschen in Begriff waren, die Erde zu zerstören, zogen die Maschinen die Konsequenz – und löschten die Menschheit aus. Inzwischen gibt es nur noch Roboter und Tiere. Eines Tages begegnet XR_935 dem scheinbar Unmöglichen: Ein 12-jähriges Mädchen namens Emma steht vor ihm. Einige Menschen hatten sich vor der Machtübernahme der Roboter in unterirdische Bunker zurückgezogen. Als dort eine Krankheit ausbricht, muss Emma an die Oberfläche. XR_935 und seine Kollegen Ceeron_902 und SkD_988 helfen ihr – und bemerken mit der Zeit, dass die Menschheit vielleicht nicht durch und durch schlecht ist.

Die Ich-Perspektive des Roboters eröffnet viele Möglichkeiten. Es ist unterhaltsam, wie die Maschine die Welt betrachtet, alles in Logik und Nicht-Logik unterteilt, in allem einen Zweck sucht. Wenn er an einem alten Gebäude der Menschen die Aufschrift "Nagelstudio" findet, durchforstet er sein Wörterbuch: "Ein kleiner, spitzer Metallstift" findet er dort unter "Nagel". "Ein Kunstatelier, ein geschlossener Raum für die Ton- und Videoproduktion usw." findet er für Studio. Ist ein Nagelstudio ein Atelier für künstlerisch veranlagte Metallstifte? Sein Kollege SkD_988 kann sich nur über Emojis verständigen, die er auf einem Bildschirm zeigt und die im Buch als Illustrationen abgedruckt werden. Es sind vor allem diese Kommunikationsschwierigkeiten, die die Reise der drei Maschinen und des Mädchens so unterhaltsam macht.

Im Lauf der Geschichte muss XR_935 erkennen, dass nicht alles in Schwarz und Weiß, Gut und Böse oder Nullen und Einsen eingeteilt werden kann. Und am Ende entdeckt XR sogar, was Freundschaft ist, ganz ohne dass das in seinen Code einprogrammiert wäre.

Kristin Winderl



•London Shah: Water Rising – Flucht in die Tiefe, Loewe, 464 Seiten, 18,95 Euro

•Lee Bacon: Roboter träumen nicht, Loewe, 336 S., 14,95 Euro