Sachbuch der Althistorikerin Catherine Nixey
"Wie die frühen Christen die Antike zerstörten"

23.04.2019 | Stand 23.04.2019, 14:56 Uhr

Statuen, Tempel, Kunstschätze und Literatur der Antike wurden vielerorts verwüstet oder zerstört, nachdem Kaiser Konstantin das Christentum zur Staatsreligion erhoben hatte. Unser Bild zeigt einen Ausschnitt des Buchcovers von "Heiliger Zorn". −Foto: Deutsche Verlagsanstalt

Die ersten Jahrhunderte des Christentums wirken zuweilen wie eine Art frommes Märchen: Trotz Verfolgung bleiben die Christen standhaft, bis Kaiser Konstantin sich bekehrt und der neue Glaube als Staatsreligion das Licht der Nächstenliebe unter den Menschen verbreitet. Märtyrerlegenden vermitteln diesen Eindruck bis heute. Dabei zeichnet die historische Forschung schon seit der Aufklärung ein differenziertes Bild.
Nun hat sich die britische Althistorikerin und Journalistin Catherine Nixey erneut der Frage angenommen. Ihr jüngst auf Deutsch erschienenes Buch "Heiliger Zorn - Wie die frühen Christen die Antike zerstörten" rückt dem frommen Idyll brachial zuleibe. Der englische Titel "The Darkening Age" macht deutlich, worum es der Autorin geht: Von der Christianisierung Roms führte der Weg demnach über die Zertrümmerung der antiken Lebensart und Kultur direkt ins finstere Mittelalter. Über viele Seiten erfährt der Leser plastisch, wie Horden fanatischer Christen nach der Konstantinischen Wende 312 rund ums Mittelmeer Tempel der alten Kulte verwüsten, Götterstatuen verstümmeln, kostbares Inventar einschmelzen. Es ist "die größte Zerstörung von Kunst seit Menschengedenken", bilanziert Nixey, und die christlichen Quellen berichten stolz davon. Statt der Feindesliebe Jesu berufen sich eifernde Bischöfe lieber auf das 5. Buch Mose, das zur Vernichtung der Götzendiener aufruft.
Doch in ihrem heiligen Zorn ignoriert Nixey wichtige Details: Die römische Gesellschaft war nicht nur intellektuell aufgeschlossen und religiös bunt. Sie war auch ungerecht und zutiefst inhuman. Die soziale Krise des Reiches war im 4. Jahrhundert unübersehbar, den alten Götterglauben empfanden viele nur noch als tote Hülle. Dagegen wirkte die christliche Idee von der Gleichheit aller Menschen vor Gott selbst auf die intellektuelle Oberschicht elektrisierend. Und später retteten gelehrte Mönche von der antiken Kultur, was noch zu retten war. Die Verbrechen der Kirche in der Spätantike sind die Kehrseite dieser Medaille. Die Forschung darüber dürfte mit Nixeys Buch weiteren Schub bekommen.
Catherine Nixey: Heiliger Zorn – Wie die frühen Christen die Antike zerstörten. Deutsche Verlags-Anstalt, 397 Seiten, 25 Euro

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