Nachwuchs-Dschihadisten
Wenn Papa und Mama Hass lehren

03.01.2022 | Stand 19.09.2023, 20:35 Uhr
Eine verschleierte Frau mit Mund-Nasen-Bedeckung verlässt eine Chartermaschine und betritt einen abgeschirmten Bereich der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt. −Foto: Foto: Boris Roessler/dpa

Wer schon als Kind zum Hass auf vermeintlich "Ungläubige" erzogen wird, schüttelt die dschihadistische Ideologie später nicht so einfach ab.

Die vor wenigen Tagen öffentlich verkündete Festnahme eines 20-jährigen Terrorverdächtigen der zweiten Generation in Hamburg wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das Sicherheitsbehörden und Experten für Deradikalisierung beschäftigt - auch mit Blick auf die Kinder von Rückkehrerinnen aus dem früheren Herrschaftsgebiet der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Der Sohn eines bekannten radikalen Islamisten soll einen Anschlag in Deutschland vorbereitet haben. Der junge Mann soll versucht haben, eine Pistole, Munition und eine Handgranate zu kaufen. Bei der Durchsuchung der Wohnung eines Verwandten, die er nutzte, fanden Ermittler Chemikalien für den Bau eines Sprengsatzes.

Der Vater kannte Mounir el Motassadeq sehr gut

Der bereits im August festgenommene Deutsch-Marokkaner aus Hamburg ist, soviel steht fest, schon früh mit dem gewaltbereiten Salafismus in Verbindung gekommen. Sein 2016 nach Marokko ausgereister Vater ging einst in der später geschlossenen Al-Quds-Moschee in Hamburg ein und aus. Später zählte er zu den Besuchern der islamistischen Al-Taqwa-Moschee. Der Vater kannte Mounir el Motassadeq sehr gut, ein Mitglied der sogenannten Hamburger Zelle um den Todespiloten Mohammed Atta, der 2001 eines der Flugzeuge in das World Trade Center in New York gesteuert hatte.

Das Hanseatische Oberlandesgericht hatte el Motassadeq wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 246 Fällen und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er wurde 2019, wenige Wochen vor dem Ende seiner regulären Haftzeit, nach Marokko abgeschoben.

Von Safia S., die Anfang 2016 - damals war sie 15 Jahre alt - einen Polizisten im Hauptbahnhof Hannover mit einem Küchenmesser niederstach, ist bekannt, dass sie als Kind zum Islamunterricht in eine von Salafisten dominierte Moschee geschickt wurde. Das Oberlandesgericht Celle hat sie wegen versuchten Mordes mit gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer sechsjährigen Jugendstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof wies eine Revision gegen die Entscheidung im Jahr 2018 zurück.

Inwiefern die Prägung durch die Eltern bei gewaltbereiten Islamisten eine Rolle spielt, ist nicht immer klar. "In Einzelfällen ist so etwas bekannt", heißt es aus den Sicherheitsbehörden. Experten, die sich intensiv mit den Biografien von Terrorverdächtigen beschäftigen, werden sich vermutlich auch den Lebensweg des jungen Hamburgers, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt, genauer anschauen. Bekannt ist auf jeden Fall, dass der Festgenommene im Herbst 2020 zurückgekehrt war, wohl um in Deutschland zu studieren. Einen Vorbereitungskurs bestand er jedoch nicht.

Manche Kinder stellen sich aber auch gegen die Eltern

Dass sich die Kinder radikaler Salafisten von der Ideologie der Eltern abwenden, ist allerdings genauso möglich. Das zeigt etwa der ungewöhnliche Fall eines Deutschen, dessen Vater dem Vorstand des 2017 verbotenen "Deutschsprachigen Islamkreises Hildesheim" angehörte. Der Sohn eines Palästinensers lieferte dem jordanischen Geheimdienst Informationen aus dem Umfeld der von IS-Anhängern frequentierten Moschee, wie das Thüringer Oberlandesgericht später feststellte. Der damals 34-Jährige wurde 2019 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Eine systematische Beobachtung der Kinder von radikalen Islamisten, etwa bei denjenigen, die von der Polizei als sogenannte Gefährder eingestuft werden, gibt es nicht. Der Verfassungsschutz schaut sich die Aktivitäten der Nachkommen dieser Salafisten erst an, wenn sie selbst als Islamisten auffällig werden.

Und selbst dann sind die Möglichkeiten des Inlandsgeheimdienstes, Informationen zu speichern, sehr eingeschränkt, sofern es sich um Minderjährige handelt. Voraussetzung dafür sind "tatsächliche Anhaltspunkte", dass er oder sie eine besonders schwere Straftat plant, die zum Beispiel den demokratischen Rechtsstaat gefährdet. Außerdem sind die Informationen über mutmaßliche Extremisten aus dieser Altersgruppe bei einer normalen Datenbankabfrage nicht auffindbar. Das heißt, die Geheimdienstmitarbeiter müssen schon wissen, dass sie existieren und wo sie abgelegt wurden. Für Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren gelten bei einer Speicherung zudem spezielle Löschfristen.

Die Koalition von Union und SPD hatte 2016 die Altersgrenze für die Speicherung von Daten von 16 auf 14 Jahre gesenkt. Drei Jahre später wollte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sie dann ganz aufheben. Die SPD, die mit Nancy Faeser nun seine Amtsnachfolgerin stellt, war dagegen.

Die Gegner einer Senkung der Mindestaltersgrenze sagen: Wer durch die Indoktrination der Eltern oder eigene Verirrungen in der Kindheit auf dem Radar des Verfassungsschutzes landet, soll später deshalb keine Nachteile haben. Etwa bei den Ausländerbehörden. Oder wenn er sich als Erwachsener um eine Stelle bewirbt, für die eine Sicherheitsprüfung verlangt wird.

Das Bundesamt hielt den Wegfall der Altersbeschränkung 2019 dennoch für vertretbar und notwendig. Auch wegen der damals schon erwarteten Rückkehr von Kindern, deren "Dschihadisten-Eltern" sich dem IS im Irak oder in Syrien angeschlossen hatten. Einige von ihnen haben Grausamkeiten hautnah miterlebt. Teilweise waren sie auch nach der Vertreibung der Terroristen noch in Flüchtlingslagern salafistischer Indoktrination ausgesetzt.

Zwischen August 2019 und Oktober 2021 wurden nach Angaben der Bundesregierung zwölf Mütter und 42 Kinder - darunter einige Waisen - aus Lagern in Nordost-Syrien nach Deutschland geholt. Weitere ehemalige IS-Anhänger kamen mit ihren Kindern auf anderen Wegen nach Deutschland zurück.

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