Wohl per Taxi und U-Bahn
Vor Prozess um Beihilfe zum Mord: Ex-KZ-Sekretärin (96) flüchtet

30.09.2021 | Stand 30.09.2021, 14:19 Uhr

Ein Justizbeamter schaut vor dem Prozess gegen eine 96-jährige ehemalige Sekretärin des SS-Kommandanten des Konzentrationslagers Stutthof im Gerichtssaal auf seine Uhr. Die Angeklagte im Prozess um Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen ist flüchtig. −Foto: Markus Schreiber/AP-POOL/dpa

Die 96-Jährige Angeklagte im Itzehoer Prozess um Beihilfe zum Mord im KZ Stutthof ist flüchtig. Das Landgericht habe einen Haftbefehl erlassen, sagte der Vorsitzende Richter Dominik Groß am Donnerstag.

Es bleibe abzuwarten, ob man ihrer habhaft werde. Die geplante Hauptverhandlung könnte dann erst nach Verkündung des Haftbefehls und Prüfung ihrer Verhandlungsfähigkeit beginnen.



Der Angeklagten Irmgard F. wird Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen vorgeworfen. Als Stenotypistin und Schreibkraft in der Lagerkommandantur des KZ Stutthof bei Danzig soll sie zwischen Juni 1943 und April 1945 den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet haben.

"Sie hat ein Taxi genommen"

Die 96-Jährige habe ihr Heim in Quickborn (Kreis Pinneberg) am Morgen in unbekannte Richtung verlassen, sagte Gerichtssprecherin Frederike Milhoffer. "Sie hat ein Taxi genommen." Fahrziel sei eine U-Bahn-Station in Norderstedt am Hamburger Stadtrand gewesen.

Im Verhandlungssaal in einem Industriegebäude warteten unterdessen mehr als 50 Journalisten und Zuschauer, 12 Vertreter der 30 Nebenkläger, der Verteidiger und weitere Prozessbeteiligte. Geplant war zum Auftakt des Prozesses die Verlesung der Anklage.

Auschwitz-Komitee empört

Das Internationale Auschwitz-Komitee äußerte sich empört über die Flucht der Angeklagten. "Darin zeigt sich eine unglaubliche Verachtung des Rechtsstaats und auch der Überlebenden", sagte Vize-Exekutivpräsident Christoph Heubner. Das Komitee vertritt KZ-Überlebende und deren Angehörige.

Im deutschen KZ Stutthof und seinen Nebenlagern sowie auf den sogenannten Todesmärschen zu Kriegsende starben nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen Zentralstelle in Ludwigsburg rund 65.000 Menschen.

− dpa