Keine Waffe, keine Geiselnahme
Video: 30-Jähriger nach SEK-Einsatz auf A9 Haftrichter vorgeführt

22.09.2021 | Stand 20.09.2023, 6:11 Uhr

Ein Großaufgebot von Einsatzkräften, unter anderem ein Spezialeinsatzkommando (SEK) aus Nürnberg und Einheiten der Bayerischen Bereitschaftspolizei, formiert sich auf der A9 gleich neben dem Sindersdorfer Gewerbegebiet. Nach dem gegen 17 Uhr abgegebenen Notruf wird die Autobahn von der Polizei erst mehr als fünf Stunden später wieder freigegeben. −Fotos: dpa (2), Münch

Die Polizei schließt nach einem Großeinsatz auf der Autobahn 9 aus, dass es sich um Geiselnahme gehandelt hat. Der 30-jährige Tatverdächtige wurde am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt.

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Was sich da genau zugetragen hat auf der A9 an diesem Dienstag, der den Landkreis Roth in die Schlagzeilen und als Einmeldung bis in die wichtigsten Nachrichtensendungen des Landes brachte, ist auch den ganzen Mittwoch über zumindest ein Stück weit unklar geblieben.

Ein Video vom Einsatz auf der A9 sehen Sie hier:



Fest steht jedoch, dass bei dem 30-jährigen Serben, der den Polizeiberichten zufolge für eine ernsthafte "Bedrohungslage" in einem Reisebus gesorgt hatte und für den deshalb die Heimreise mit einer Festnahme durch ein Spezialeinsatzkommando auf der komplett gesperrten Autobahn kurz nach der Anschlussstelle Hilpoltstein endete, keine Waffe gefunden wurde.

Und auch in dem Reisebus, der über mehrere Stunden hinweg auf dem Standstreifen auf Höhe Weinsfeld stand und später zur Durchsuchung nach Greding gefahren wurde, entdeckten die Beamten der Schwabacher Kriminalpolizei in den folgenden Stunden nichts, was zu dem gepasst hätte, was Boulevardmedien am Dienstagabend verbreiteten. Diesen Berichten zufolge hätte der angeblich bewaffnete 30-Jährige die drei Busfahrer in seiner Gewalt gehabt – also: Geiselnahme. Doch das war eine Falschmeldung.

Sitznachbarn zu Boden geschleudert und getreten

Wie das Polizeipräsidium Mittelfranken am Mittwochmorgen klarstellte, hatte es sich in Wirklichkeit um einen ausrastenden Passagier gehandelt, der den Fahrer dazu brachte, den Bus sicherheitshalber auf den Standstreifen anzuhalten. Völlig unvermittelt soll der 30-Jährige, der am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt wurde, einen vor ihm sitzenden und zu dieser Zeit schlafenden 20-Jährigen angegriffen haben. Das Motiv, warum der 30-Jährige seinen Sitznachbarn zu Boden schleuderte und mehrmals mit den Füßen gegen den Kopf des 20-Jährigen trat, ist allerdings noch ungeklärt.

Das Opfer wurde später in einem Krankenhaus versorgt, konnte aber noch in der Nacht entlassen werden. Ebenfalls verletzt wurde eine 24-jährige Frau. Ihr soll der 30-Jährige ins Gesicht geschlagen haben. Während seiner Attacken soll der Täter auch "Todesdrohungen und weitere wirre Gedanken" gerufen haben, heißt es in dem Polizeibericht.

Busfahrer blieben offenbar freiwillig im Bus

Insgesamt seien es elf serbische Fahrgäste und drei serbische Busfahrer gewesen, die gemeinsam nach Belgrad wollten. Warum aber die Busfahrer freiwillig zusammen mit dem Randalierer im Bus blieben, wie die Vernehmung ergab, während die anderen Passagiere nach dem Anhalten auf dem Standstreifen sofort und problemlos aussteigen konnten, ließ sich auch am Mittwoch noch nicht erklären.

Wegen der Information aus dem Notruf, dass der 30-Jährige womöglich bewaffnet ist, war für die Polizei allerdings von Anfang klar, dass es sich um ein "sehr, sehr ernstes Szenario" handeln könnte, bei der eine Geiselnahme nicht ausgeschlossen werden dürfe und mit höchster Sorgfalt gehandelt werden müsse, wie ein Polizeisprecher am Mittwoch erklärte. Der Bus stand deshalb auf der A9 bald allein auf weiter Flur. In beiden Richtungen sperrte die Polizei die Autobahn zwischen den Anschlussstellen Hilpoltstein und Greding. Ein Großaufgebot von Einsatzkräften, unter anderem ein Spezialeinsatzkommando (SEK) und Einheiten der Bereitschaftspolizei, formierte sich auf der A9 gleich neben dem Sindersdorfer Gewerbegebiet.

Gutachter untersucht Geisteszustand des Täters

Weiterhin unter der Annahme einer möglichen bewaffneten Geiselnahme, versuchten dann Spezialkräfte, Kontakt zu dem 30-Jährigen herzustellen. Letztendlich erreichten die Einsatzkräfte einen der Busfahrer über sein Mobiltelefon. Ihm machte ein serbisch sprechender Polizeibeamter klar, dass alle drei Fahrer nun völlig problemlos aus dem Bus aussteigen konnten. Denn es folgte sofort der SEK-Zugriff. Widerstandslos wurde der 30-Jährige festgenommen, der Polizeiangaben zufolge weder unter Alkohol- noch unter Drogeneinfluss stand. Es wurde jedoch ein Gutachter hinzugezogen, um zu klären, "wie es um den Geisteszustand des Mannes bestellt ist" und ob er überhaupt haftfähig ist.

Schließlich wurde der Tatverdächtige in einer psychiatrischen Fachklinik untergebracht. Ein Ermittlungsrichter habe einen Unterbringungsbefehl erlassen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit. Es sei nicht auszuschließen, dass sich der Mann in einem psychischen Ausnahmezustand befinde.

Ein psychiatrischer Sachverständiger habe mit dem Beschuldigten gesprochen und sei zu dem Schluss gekommen, dass eine verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen sei, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Diese wäre aber Voraussetzung für einen Haftbefehl. Zur Tat äußerte sich der 30-Jährige nicht, das Motiv ist weiter unklar.

Notfallseelsorger für Passagiere und Busfahrer vor Ort

Von Notfallseelsorgern psychologisch betreut wurden unterdessen sowohl die Busfahrer als auch die anderen Passagiere, die noch in der Nacht mit Hilfe von Dolmetschern vernommen worden waren. Für alle 13 wurde die Übernachtung in einem Hotel und die Weiterfahrt mit einem Ersatzbus organisiert. Der Bus, der auf Höhe Weinsfeld gestrandet war, wurde von der Polizei sichergestellt.

− HK/dpa