Berlin
Versammlungsfreiheit – Schrankenlos? Pro und Contra

04.08.2020 | Stand 20.09.2023, 0:04 Uhr

−Foto: dpa

Die massenhaften Verstöße gegen die Corona-Auflagen bei den Demonstrationen in Berlin haben eine Debatte über die Grenzen der Versammlungsfreiheit entfacht.

Versammlungsfreiheit — Schrankenlos?

Stephan Thomae, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, führt Argumente dafür an, während Stephan Mayer (CSU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Argumente dagegen auflistet.

Pro

Stephan Thomae, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion:

"Die Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht sind Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft. Es ist Aufgabe des Staates, diese zu jeder Zeit zu verteidigen. Das gilt erst recht in Krisensituationen. Ein pauschales Verbot von Demonstrationen wäre deswegen ein fatales Signal. Gerade in schwierigen Zeiten müssen Menschen ihre Meinung öffentlich äußern können.

Zurecht hat das Bundesverfassungsgericht bereits vor Monaten generelle Verbote für verfassungswidrig erklärt. Deswegen ist es falsch, wenn Stimmen aus der CDU Demonstrationen wegen der Corona-Krise generell infrage stellen. Auch eine Debatte darüber, Demonstrationen unter so strenge Auflagen zu stellen, dass die Hürden unverhältnismäßig hoch werden, wird sowohl der Rechtsprechung wie auch dem Grundgedanken demokratischer Meinungsbildung nicht gerecht.

Dennoch ist klar, dass sich Demonstranten rücksichtsvoll verhalten müssen. Maskenpflicht und Abstandsgebot sind der bezahlbare Preis für die Lockerung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Wer dagegen verstößt, handelt rücksichtslos. Er riskiert, dass wieder großflächige Maßnahmen ergriffen werden müssen. Eine neue Schließungswelle wäre aber für viele Selbstständige und Unternehmer ruinös.

Deswegen ist ein schnelles Eingreifen der Sicherheitskräfte bei Demonstrationen nötig, um Regelverstöße zu unterbinden. Dabei dürfen auch Maßnahmen wie Bußgelder für Teilnehmer, rechtliche Schritte gegen den Veranstalter oder letztendlich auch die Auflösung einer Demonstration nicht ausgeschlossen werden, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden. Denn es ist die Aufgabe der Polizei, für die öffentliche Sicherheit der Bürger in unserem Land zu sorgen."

Contra

Stephan Mayer (CSU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

"Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung sind schon aus historischen Gründen hohe, allen Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland garantierte unveränderliche Grundrechte. Insofern steht es jedem frei, in demonstrativer Art und Weise gemeinsam mit anderen die eigene Auffassung öffentlich Kund zu tun, auch zum Thema Corona-Auflagen. Allerdings eben immer nur so weit, als die Rechte Dritter oder die öffentliche Sicherheit nicht erheblich verletzt werden.

Was die Berliner Demonstrationen vom Wochenende angeht, sehe ich aber genau diesen Punkt hochkritisch. Eine Vielzahl der Demonstrantinnen und Demonstranten hat nämlich ganz offenbar die Realität verdrängt und will nicht wahrhaben, welchem Risiko sie sich und andere aussetzen. Notwendige Schutzmaßnahmen wie die Sicherstellung eines ausreichenden Mindestabstandes von 1,5 Metern sind nach wie vor unabdingbar. Der Schutz vulnerabler Personengruppen und insbesondere die Eindämmung der Infektionszahlen gehen hier ganz eindeutig vor. Für die Art und Weise der Demonstrationen habe ich daher überhaupt kein Verständnis. Die Nicht-Einhaltung der notwendigen Hygieneregeln ist in höchstem Maße inakzeptabel und nicht vertretbar. Allein die zweistellige Zahl anlässlich des Berliner Demonstrationsgeschehens am Samstag verletzter Polizeibeamter zeigt ja zudem, welches Aggressionspotential hier gegeben war.

Die ausreichende Überwachung der Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregelungen muss weiterhin höchste Priorität haben, nicht nur mit Blick auf Demonstrationen, sondern etwa auch im Bahnverkehr und im touristischen Bereich. Die jeweiligen Maßnahmen treffen die Länder in ihrer Verantwortung, daher wird sich der Umfang von Bußgeldern und möglicher versammlungsrechtlicher Verbote auch regional unterscheiden. Eines muss aber Konsens sein: Abstands- und Hygieneregelungen sind uneingeschränkt zu beachten und von jedermann einzuhalten.

Die Entwicklung der Corona-Pandemie muss intensiv weiter beobachtet werden. Auch hier obliegt es den jeweiligen Landesbehörden abzuwägen, inwieweit Maßnahmen noch verschärft werden müssen und man aufgrund der negativen Erfahrungen des Demonstrationsgeschehens vom Wochenende bei der Genehmigung von Versammlungen zukünftig restriktiver zu entscheiden hat."

Die Interviews führte Andreas Herholz.