Streifzug durch Kalabrien: Gottes Werk und Teufels Beitrag + Video

07.07.2018 | Stand 19.09.2023, 22:17 Uhr
Korbinian Klinghardt

Eine der schönsten Aussichten Kalabriens bietet sich Besuchern am Leuchtturm Belvedere Sud am Capo Vaticano an. −Fotos: Klinghardt

Die Weitsicht am Leuchtturm Belvedere Sud zählt zu den schönsten, die Kalabrien zu bieten hat. Einst soll sich dort eine von den Sarazenen geraubte Frau von der Klippe gestürzt haben, um dem fremdbestimmten Leben zu entfliehen. Seither leuchtet das Meer der Legende nach in ihrer Lieblingsfarbe – türkis. (Ein Video der Reise sehen Sie am Ende des Artikels. Weitere Fotos finden Sie in der Fotostrecke.)

Hier in der südlichsten Region des italienischen Festlandes wird sichtbar, was der kalabrische Schriftsteller und Poet Leonida Rèpaci in seinem Gedicht "Wie Kalabrien entstand" zu Papier brachte. "Er machte sich ans Werk und Kalabrien strömte aus seinen Händen, schöner als jeder Ort, den er bis dahin erschaffen hat." Gott – so schreibt Rèpaci – habe mit Kalabrien ein Meisterwerk geschaffen. In dem er die Schönheit der Natur, die Kostbarkeit ihrer Erzeugnisse und die wechselhafte Geschichte beschreibt, stellt der Text eine Art literarischer Schlüssel zum Verständnis der Region dar.

Bei schönem Wetter ist Sizilien mit bloßem Auge zu erkennen

Das Capo Vaticano ist wohl die unter Touristen populärste Sehenswürdigkeit der "Costa degli Dei", der Küste der Götter. Sie erstreckt sich auf etwa 55 Kilometern in der Provinz Vibo Valentia im Westen Kalabriens. Bei schönem Wetter lässt sich von dort nahezu die gesamte tyrrhenische Küste überblicken. In der Ferne zeichnen sich die Umrisse Siziliens und des Vulkans Stromboli ab, der zu den äolischen Inseln gehört.

Schmale Gassen, Wäsche, die von den Balkonen zum Trocknen hängt, Häuser, deren eiscreme-farbener Putz allmählich abbröckelt, prägen das Stadtbild von Tropea. Die "Perle des Tyrrhenischen Meeres" thront auf einem rund 40 Meter hohen Felsen, der die Stadt vor den Sarazenen schützen sollte. Viele kleine Plätze bieten spektakuläre Aussichten auf das Mittelmeer, das sich hinter dem feinkörnigen Sandstrand am Fuße des Felsens erstreckt.

Alte Palazzi mit großen, nach oben rund zulaufenden Toren, prächtigen Innenhöfe und bunten, an die Gewölbedecken gemalte Familienwappen, deren Farbe und Konturen jedoch über die Jahrhunderte verblasst sind, zeugen von der einst prachtvollen Vergangenheit der Seefahrerstadt.

Dabei ist es nicht nur der sogenannte Zahn der Zeit, der an den Gebäuden nagt. Auch Naturkatastrophen haben ihre Spuren hinterlassen. Die Kathedrale von Tropea beispielsweise – sie wurde im 12. Jahrhundert im normannischen Stil errichtet – wurde gleich mehrfach von schweren Erdbeben zerstört – zuletzt im Jahr 1905. Auch die Madonna di Romania – eine Darstellung Marias und Jesu aus dem frühen 14. Jahrhundert, die den Hauptaltar der aus Sandstein, Fels und Lavastein erbauten Kathedrale ziert, verweist auf die erdgeschichtlich wechselhaften Zeiten Kalabriens. Im Gegensatz zu seinem Umland blieb Tropea bei dem Erdbeben im Jahr 1638 verschont. Seither wird die Madonna di Romania als Schutzpatronin der Stadt verehrt. Bemerkenswert an dem Gemälde ist die Darstellung Jesu. Im Gegensatz zu dem kindlichen Körper wirkt der Kopf wie der eines Erwachsenen.

Erdbeben, Überschwemmungen und Krankheiten sind in Rèpacis Gedicht die Folgen einer göttlichen Schaffenspause. Der Teufel habe sie genutzt, um Unheil über das Land zu bringen. Als der Schöpfer erwachte und das Verderben sah, schleuderte er den Teufel zwar in die tiefsten Abgründe, doch das entfesselte Böse konnte er nicht mehr zurücknehmen.

Rote Zwiebeln und die Nduja sind regionale Delikatessen

Feinschmeckern dürfte die Stadt am Horn Kalabriens wegen der roten Zwiebel bekannt sein. Ihre violette Schale, vor allem aber ihr süßlicher Geschmack machen sie unverwechselbar. Vor 5000 Jahren soll die Zwiebel auf den Feldern Persiens angebaut worden sein. Vor etwa 2000 Jahren brachten sie dann die Phönizier nach Kalabrien. Auch in Asien und in Nordafrika, zum Beispiel in Ägypten, war die rote Zwiebel bekannt. Heute dürfen sich nur diejenigen Zwiebeln Tropea-Zwiebeln nennen, die auf den Feldern in der Region wachsen – vom Capo Vaticano im Süden bis Amantea im Norden.

Rund 30 Hektar Land umfasst der Zwiebel-Betrieb von Amalia und Giovanni Schiariti. Sie führen das Familienunternehmen in der dritten Generation. 1,2 Millionen Kilogramm Zwiebeln werden dort jährlich produziert und an Großhändler in Italien, beispielsweise in Rom und Florenz, und ins europäische Ausland, zum Beispiel nach England, oder an Supermärkte in Hamburg und München geliefert. Für die Ernte und die Verarbeitung der Zwiebeln beschäftigen die Schiaritis rund 70 Arbeiter, viele davon sind Saisonarbeiter, zum Beispiel aus der Türkei.

Süßes Zwiebel-Kompott als Beilage zu Fleisch und Gemüse

Die Zwiebel lässt sich auf vielfache Art verarbeiten. In den Trockenkammern, bei etwa 40 Grad Celsius, wird den Zwiebeln mit warmer Luft ihr Wasser entzogen. "Das dauert zwischen 24 und 30 Stunden, je nachdem wie viel Wasser in den Zwiebeln ist", erklärt Schiariti. "Von 1000 Kilogramm Zwiebeln bleiben etwa 90 Kilogramm getrocknete Zwiebeln übrig." Sie eignen sich ideal als Gewürz für Risotto oder Suppen, oder als Basis für Zwiebelbrot. Eine besondere Spezialität ist das süße Zwiebel-Kompott. Kalabresen genießen es als Beilage zu Käse, Fleisch und Gemüse sowie als Brotaufstrich.

Weitere Spezialitäten der Region sind Salami und die Rohwurst Nduja, die aus Schweinefleisch, Salz und Chili besteht. In dichten Reihen hängen die Würste im Kühlraum des Familienbetriebs Livasi. Gemeinsam mit seinem Vater Concetto und seinem Bruder und Geschäftsführer Giuseppe stellt er in Spilinga – einer kleinen Gemeinde, etwa eine halbe Autostunde von Tropea entfernt – die Würste her. An den Salamis hat sich bereits eine dicke Schicht weiß-grünlichen Edelschimmels gebildet. Vor dem Verkauf wird dieser mit der Spachtel abgekratzt. "Die Ndujas müssen sieben Tage schwitzen, dann werden sie mit dem Holz der Steineiche und des Olivenbaums kaltgeräuchert und anschließend kühl gelagert", sagt Antonio Porcelli. Nach etwa 60 Tagen sei die Rohwurst zum Verzehr geeignet. Sie schmeckt als Brotaufstrich oder mit Pasta.

Ob süße Zwiebel oder pikante Wurst: In Kalabrien ist Italien auch kulinarisch in seiner reinsten Form erfahrbar.

Kulinarische Reise durch Kalabrien (Video: Klinghardt / Schnitt: Hies/Klinghardt)



PNP-Redakteur Korbinian Klinghardt reiste auf Einladung von Dertour.