Erstklassiger Historienthriller
Sie wollen Geschichte verändern: "München" auf Netflix

18.01.2022 | Stand 25.10.2023, 11:50 Uhr

Diese Freundschaft von Paul von Hartmann (Jannis Niewöhner), Lena (Liv Lisa Fries) und Hugh Legat (George MacKay) wird von der Weltpolitik jäh zerstört. −Foto: Frederic Batier / Netflix

Europa steht am Rande des Krieges. Im Herbst 1938 treffen sich in München die Regierungschefs von Frankreich, England, Italien und Deutschland, um die angespannte Lage auf diplomatischem Weg zu lösen. Der historische Netflix-Thriller "München – Im Angesicht des Krieges" erzählt die Geschehnisse rund um das Münchner Abkommen, nach dessen Unterzeichnung das Sudetenland an Deutschland abgetreten wurde, um damit den Einmarsch von Hitlers Truppen in der Tschechoslowakei zu verhindern.



Eine Konferenz, deren Ausgang bereits bekannt ist, klingt erst einmal nicht nach packendem Filmstoff. Doch dank erzählerischer Freiheiten erhält der zweistündige Thriller einen zusätzlichen Twist. Die Story basiert auf dem gleichnamigen Roman von Robert Harris, der historische Fakten mit Fiktion verknüpft. Auch in der Drehbuchadaption von Ben Power werden die Geschehnisse aus der Sicht von zwei erfundenen jungen, idealistischen Delegationsteilnehmern erzählt, die den Lauf der Geschichte durch ein Komplott verändern wollen. Das sorgt nicht nur für Spannung, sondern begeistert dank der charismatischen Protagonisten auch ein jüngeres Streaming-Publikum für die aus Geschichtsbüchern bekannten Rahmenbedingungen. George MacKay (bekannt aus dem Kriegsfilm "1917") und Jannis Niewöhner spielen zwei ehemalige Oxford-Kommilitonen, die als niederrangige Funktionäre der britischen und deutschen Delegation tätig sind. Vor den politischen Verhandlungen wird die Geschichte einer grenzüberschreitenden Freundschaft erzählt, die von der Realpolitik auseinandergerissen wird.

Christian Schwochow, der bei einzelnen Folgen der britischen Kultserie "The Crown" Regie führte, inszeniert den historischen Stoff zeitgemäß. Die angespannte Lage, die Angst der Bevölkerung vor dem drohenden Krieg wird spürbar. Gedreht wurde mitunter an Originalschauplätzen in München, darunter auch im einstigen "Führerbau" (der heutigen Musikhochschule), wo das Münchner Abkommen damals unterzeichnet wurde. Der hochkarätig besetzte Cast, allen voran Oscar-Preisträger Jeremy Irons als britischer Premierminister Neville Chamberlain, erweckt die Persönlichkeiten glaubwürdig zum Leben.

Leider geben die Männer im patriarchalen Politikbetrieb anno 1938 den Ton an. Und so gibt es nur vier weibliche Nebenrollen, die jedoch unter anderem mit der brillanten Sandra Hüller ("Toni Erdmann") und Liv Lisa Fries ("Babylon Berlin") erstklassig besetzt sind. Dank der modernen Aufbereitung des historischen Stoffs ist "München – Im Angesicht des Krieges" ein fesselnder Politthriller.

Renzo Wellinger

•Ab 21. Januar auf Netflix

•Den Trailer sehen Sie im digitalen Feuilleton auf pnp.de/kultur