Schliersee
Seniorenresidenz Schliersee: Aus für Betreiber?

18.05.2021 | Stand 19.09.2023, 20:53 Uhr
Ein Schild mit der Aufschrift "Seniorenresidenz Schliersee" steht vor der Einrichtung in Oberbayern. −Foto: Foto: Peter Kneffel/dpa/Archivbild

Im März wurden heftige Vorwürfe gegen ein Altenheim am Schliersee bekannt - nun droht dem derzeitigen Betreiber dieses Heimes das Aus. Die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern (ARGE) will den Vertrag mit dem Betreiber beenden, wie eine Sprecherin am Dienstag mitteilte. Zuvor hatte der Bayerische Rundfunk darüber berichtet. Der Leiter des Heimes, Robert Jekel, betonte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur allerdings, eine Kündigung liege ihm nicht vor. "Richtig ist, dass es ein Anhörungsverfahren seitens der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern gibt. Selbstverständlich werden wir im Rahmen des Anhörungsverfahrens eine Stellungnahme abgeben", sagte er.

Eine ARGE-Sprecherin gab dagegen an: "Die ARGE beabsichtigt, den bestehenden Versorgungsvertrag für die Pflegeeinrichtung Seniorenresidenz Schliersee für den Bereich der vollstationären Pflege außerordentlich zum 31.08.2021 zu kündigen." Die Kündigung werde "mit der Verletzung der gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen begründet - nachgewiesen durch die wiederholt festgestellten schwerwiegenden Risiken und Defizite bei den Qualitätsprüfungen durch den MDK Bayern".

Der Medizinische Dienst (MDK) äußerte sich nicht zum Inhalt seines Gutachtens und verwies auf die ARGE und das bayerische Gesundheitsministerium. Nach Angaben Jekels wurden im "wesentlichen Dokumentationsmängel beanstandet". "Aus diesen Dokumentationsmängeln wurden vom MDK Gefahren und Risiken für die Bewohnerinnen und Bewohner abgeleitet, ohne dass auf der Grundlage der Dokumentationsmängel eingetretene Schädigungen bei unseren Bewohnerinnen und Bewohnern festgestellt oder nachgewiesen werden konnten." "Echte Pflegemängel", so Jekel, seien bei der Kontrolle nicht festgestellt worden.

Der Heimbetreiber hat nach Angaben der ARGE noch bis Ende Mai die Möglichkeit, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Dann solle die endgültige Entscheidung fallen. "Kommt es zu einer Kündigung, werden sich natürlich die Pflegekassen um die weitere Betreuung der betroffenen Bewohner kümmern."

Ende März war nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft München II wegen Verdachts auf Körperverletzungsdelikte bei 88 Bewohnern des Heimes ermittelt. Einige seien verwahrlost und unterernährt gewesen, sagte eine Sprecherin der Anklagebehörde damals. Zudem würden 17 Todesfälle untersucht. Zwei Verstorbene wurden den Angaben zufolge exhumiert. Dabei gehe es auch um die Frage, ob eine Corona-Infektion oder Unterernährung ursächlich für den Tod der Menschen waren, sagte die Sprecherin damals. Die Ermittlungen beziehen sich den Angaben zufolge auf einen Zeitraum von mehreren Monaten bis Mai vergangenen Jahres.

Der derzeitige Leiter der Seniorenresidenz, Jekel, wies die Vorwürfe schon im März zurück. Nun betonte er erneut, er sehe "derzeit keine schwerwiegenden Mängel." "Viele Probleme aus dem letzten Jahr haben wir bereits abgearbeitet", betonte er. Dem MDK-Bericht könne auch "nicht entnommen werden, dass Menschen in der Einrichtung dehydriert waren". Es seien auch "keine fast verhungerten beziehungsweise verdursteten Menschen oder Menschen mit offenen, blutenden und eiternden Wunden angetroffen" worden.

Jekel hatte die Stelle nach eigenen Angaben erst nach Beginn der Ermittlungen angetreten. In dem Heim hatte es 2019 einen Betreiberwechsel gegeben, laut Landratsamt richteten sich Vorwürfe teils gegen einen vorangegangenen Betreiber. Seit Betriebsbeginn im Jahre 2009 seien bislang schon 15 Einrichtungsleiter in dem Heim eingesetzt gewesen.

Die Zustände in der Seniorenresidenz standen am Dienstag auch auf der Tagesordnung des Gesundheitsausschusses im bayerischen Landtag. Grüne, SPD und FDP forderten die Staatsregierung auf, im Ausschuss Stellung dazu zu nehmen - vor allem zu der Frage, ob Kontrollmechanismen möglicherweise nicht funktionierten. "Gerade die Staatsregierung als letzte Instanz hat in ihrer Kontrollfunktion versagt", kritisierte der pflegepolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Andreas Krahl.

Allein im vergangenen Jahr wurde die Einrichtung - auch wegen eines Corona-Ausbruchs - 26 Mal von der Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen (FQA), dem MDK oder der Regierung von Oberbayern kontrolliert. Ergänzend gab es noch weitere Besuche des Gesundheitsamtes. Das geht aus einer Antwort von Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auf eine Anfrage Krahls hervor, die der dpa vorliegt. In diesem Jahr gab es demzufolge schon zwei Überprüfungen im Januar und im März. Beide seien "anlassbezogen" gewesen.

"Wiederholte Mängel wurden in den Qualitätsbereichen Pflege- und Dokumentation, Hygiene, Ernährung und Umgang mit Arzneimittel und ärztlichen Anordnungen festgestellt", heißt es in der Ministerantwort. Seit 2018 seien bei der zuständigen FQA 56 Anfragen oder Beschwerden über die Einrichtung eingegangen. An diesem Freitag soll das Urteil gegen einen demenzkranken, ehemaligen Bewohner fallen, der im vergangenen Sommer eine bettlägerige Patientin dort vergewaltigt und ermordet haben soll. "Man wird den Vorfall wohl so sehen müssen, wie er war", sagte Jekel: "Nämlich ein schrecklicher Unglücksfall."

Und nicht nur die Strafjustiz befasst sich mit der Seniorenresidenz. Am Landgericht München II waren und sind noch einige Zivilstreitigkeiten anhängig, wie eine Gerichtssprecherin bestätigte. Dabei gehe es beispielsweise um die Vergütung von Dienst- oder Arbeitsleistungen. "Im Moment haben wir bereits in den ersten Verfahren Vergleiche geschlossen", sagte Jekel. "Die Sach- und Rechtslage ist äußerst komplex."

© dpa-infocom, dpa:210518-99-644585/4