Eggenfelden/Pfarrkirchen
SAPV: Die Helfer am Lebensende

Team der Spezialisierten Ambulanten Palliativ-Versorgung will Todkranken noch so viel Lebensqualität wie möglich verschaffen

17.01.2021 | Stand 21.09.2023, 6:46 Uhr

−Symbolbild: Felix Kästle/dpa

Hermann (Name geändert) ist erst 53 Jahre alt, als er erfährt, dass er aufgrund einer unheilbaren Krankheit bald sterben muss. Sein größter Wunsch ist es, in seiner alten Heimat im Osten der Republik begraben zu werden, gleich in der Nähe des Stadions seines geliebten Fußballvereins. Regeln will Hermann das alles noch selbst vor Ort, um sich dabei auch noch von seinen Freunden aus der Jugendzeit zu verabschieden. Das Problem: Hermanns Zustand ist schon so schlecht, dass er die Reise vom Rottal aus nicht allein organisieren kann. Hilfe erhält er von der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) am Inn – so wurde sein letzter Wunsch letztlich doch noch wahr. Und darüber freut sich wiederum Jörg Piechottka, Ärztlicher Leiter der Spezialisierten Ambulanten Palliativ-Versorgung (SAPV).

Seit 2011 versorgt das Palliativteam der gemeinnützigen SAPV am Inn gGmbH mit Sitz in Polling bei Mühldorf die Landkreise Altötting, Mühldorf und Rottal-Inn. 2018 eröffnete die SAPV ein eigenes Büro in Eggenfelden, weil sich der Bedarf in Rottal-Inn in den sieben Jahren mehr als verdreifacht hatte. "Die Tendenz geht immer mehr dahin, dass Patienten mit unheilbaren Erkrankungen nicht mehr ins Krankenhaus wollen, sondern ihre letzte Lebensphase lieber zu Hause verbringen wollen", so Piechottka.

Dieser Wunsch der Patienten lässt sich aber nur mit Hilfe ermöglichen. Häufig leiden sie unter stärksten Schmerzen und anderen quälenden Beschwerden, sie bedürfen der Pflege und der medizinischen Überwachung. "Wir bieten ein Netzwerk für den Patienten, indem wir die medizinischen, pflegerischen und sozialen Aspekte in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, der unseren Dienst verordnet, den Angehörigen und dem Pflegedienst zusammenführen", erläutert Piechottka.

Ihm zur Seite stehen im Eggenfeldener Team die Pflegerische Leiterin Julia Rothaichner, die Palliativpflegekräfte Silvia Jäger, Waltraud Spiel, Inge Ruhland, Ursula Jena, Simona Sztarna sowie Verwaltungskraft Sonja Sporrer. Palliativstationen oder stationäre Hospize sehe man dabei nicht als Konkurrenz, "im Gegenteil, wir arbeiten oft eng mit ihnen zusammen", betont der Ärztliche Leiter.

Im Fall von Hermann, der für die Reise in die alte Heimat seine letzten Kräfte mobilisierte, organisierte das Eggenfeldener Team den Transport und die Versorgung des Patienten vor Ort durch ein anderes SAPV-Team.

"Viele sind froh, jemanden zum Reden zu haben"

Aber nicht die Organisation, nicht der 24-Stunden-Bereitschaftsdienst an 365 Tagen im Jahr seien das Wichtigste bei ihrer Arbeit, betonen die SAPV-Mitarbeiter: "Unser größtes Ziel ist es, dass wir dem Patienten in seinem letzten Lebensabschnitt die menschliche Würde erhalten." Aber auch die Angehörigen liegen ihnen am Herzen: "Viele sind froh, wenn sie jemanden zum Reden haben, zumal aktuell wegen Corona die Kontakte ja sehr eingeschränkt sind", erläutert Jörg Piechottka.

Corona hat die Versorgung der Patienten zwar nicht gestoppt, aber die Pandemie hat die Arbeit doch sehr verändert. "Das Zwischenmenschliche ist verlorengegangen. Mir fehlt der Händedruck mit dem Patienten, viele wollen mich umarmen, dürfen es aber nicht", berichtet Palliativpflegekraft Silvia Jäger. Zudem sei die Verständigung mit dem Patienten mit dem Mund-Nasen-Schutz schwierig. "Ich versuche es zwar mit Worten, aber den Patienten geht die Mimik ab. Zudem verstehen sie mich dann oft auch nicht richtig", bedauert ihre Kollegin Waltraud Spiel die aktuelle Lage der Patienten.

"Die meisten Patienten würden am liebsten auf die ,AHA-Regeln‘ verzichten, weil sie ja ohnehin sterben werden. Sie wollen auf die Nähe zu ihren Mitmenschen nicht verzichten. Viele der Patienten sind deshalb traumatisiert und gestresst", weiß Ärztlicher Leiter Jörg Piechottka. Auch wenn ein 90-Jähriger nicht freiwilliger sterbe als ein 20-Jähriger, so stellt Piechottka doch fest: "Die meisten der Todkranken haben ihren Frieden damit gemacht, dass sie bald sterben werden." Nicht jedoch die Angehörigen, die den Tod des geliebten Menschen nicht akzeptieren wollen. "Da kommt es dann oft zu Konflikten, bei denen wir dann vermitteln", so Piechottka.

Viele der Angehörigen, aber auch der Patienten wollen kurz vor dem Tod auch noch etwas geradebiegen, was in der Familie zu Streit führte, sie streben nach Harmonie in den letzten Momenten des Lebens. "In 80 Prozent der Fälle sterben die Menschen aber so, wie sie gelebt haben", sagt Piechottka. Kurz vor dem Tod lasse sich nicht alles kitten, dessen müsse man sich bewusst sein.

Ebenso sei es ein Irrglaube, wenn man sich die Frage stelle, warum ausgerechnet der immer so liebe Mitmensch sterben müsse, das habe er nicht verdient. "Das ist ein übermächtiger Wunsch nach Gerechtigkeit, eine menschliche Erfindung, die nichts mit dem realen Leben zu tun hat", hält Piechottka entgegen.

Trotzdem geht dem SAPV-Team nicht selten der Tod eines Patienten zu Herzen, besonders wenn es ein junger Mensch war oder jemand, den man sehr nett fand. "Dann sage ich mir, dass ich diesen Menschen nie kennengelernt hätte, wenn er nicht todkrank gewesen wäre. Das tröstet mich dann etwas", sagt Piechottka. Für ihn sei es jetzt "eine klare und gerade Geschichte, das ist besser als damals, als ich noch auf der Intensivstation gearbeitet habe und man mit dem Patienten mitgezittert hat", fügt er hinzu.

"Man nimmt vieles nicht mehr als selbstverständlich hin"

"Es ist eine wertschätzende Arbeit, die ich mache und es bereitet mir Freude, dem Patienten am Lebensende noch etwas Lebensqualität verschaffen zu können", zieht Waltraud Spiel Kraft aus ihrer Arbeit. Wichtig sei dabei auch die Arbeit im Team, auch wenn die Kontakte wegen Corona aktuell deutlich seltener sind als sonst.

Für Silvia Jäger hat die Arbeit auch positive Seiten: "Gerne zu leben, ist die Konsequenz aus unserer Arbeit. Man nimmt vieles nicht mehr als selbstverständlich hin."

Weitere Informationen zum SAPV gibt es telefonisch unter 08721/5069775 oder im Internet unter www.sapv-am-inn.de.