Warnung vor Visa-Bann
Russland-Experte hält Ukraine als Urheber von Anschlag auf Dugina „für plausibel“

23.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:32 Uhr

Auf diesem vom russischen Untersuchungsausschuss veröffentlichten Handout-Foto arbeiten Ermittler am Ort der Explosion eines von Daria Dugina gefahrenen Autos außerhalb von Moskau. −Foto: Uncredited/Investigative Committee of Russia/AP/dpa

Von Thomas Vitzthum

Gerhard Mangott, Russlandexperte von der Universität Innsbruck, hält eine ukrainische Beteiligung am Mordanschlag auf die Tochter des rechtsnationalen Philosophen Alexander Dugin, Daria Dugina, für nicht unwahrscheinlich.



„Dies ist jedenfalls wesentlich plausibler als die Täterschaft einer innerrussischen Partisanengruppe um den ehemaligen Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow. Ich glaube, dass er nur versucht, sich als Schlüsselfigur zu inszenieren“, sagte Mangott den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Ponomarjow, der 2014 gegen die Annexion der Krim stimmte und in der Ukraine lebt, hatte eine Partisanengruppe verantwortlich gemacht.

Russischer Inlandsgeheimdienst unter großem Druck

Mangott sieht wegen des Anschlags den russischen Inlandsgeheimdienst FSB unter großem Druck. „Es würde zeigen, dass die Ukraine nicht nur auf dem innerukrainischen Schlachtfeld in der Lage ist, Siege zu erringen, sondern sogar in der Hauptstadt des Gegners zu Taten fähig ist. Und diese Lesart hat Russland mit seiner Version der Geschichte indirekt sogar bestätigt.“ Die russischen Bürger würden sich nun fragen, „warum der Inlandsgeheimdienst das nicht verhindern konnte.“

Dem pflichtet Thomas Kunze, bis zum Krieg Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau, bei: „Die russische Führung musste schnell eine Schuldige präsentieren. Denn natürlich fragen sich die Leute, warum die Geheimdienste offenbar nicht in der Lage waren, den Anschlag zu verhindern.“ Bei der Bevölkerung entstehe Verunsicherung. „Seit Wochen wurde ein Terror-Akt von den Moskauern befürchtet.“ Die Bewohner der Metropole hätten noch die Terroranschläge mutmaßlicher tschetschenischer Terroristen im Gedächtnis. „Putin hat sich immer gerühmt, diese Phase beendet zu haben. Auch deshalb kann er sich jetzt keine lange Unsicherheit erlauben.“

Mangott: Visa-Bann wäre kontraproduktiv

Beide Experten erwarten, dass die Tat die Ultranationalisten bestärke und zu weiteren Repressionen führe. Kunze: „Das sind jene, die ein noch schärferes Vorgehen gegen die Ukraine verlangen. Sie werden durchaus von einer breiten Masse in der Bevölkerung getragen, die meint, man gehe nicht hart genug vor.“ Es gebe zunehmend einflussreiche Leute in der Staatsspitze, die ebenso dächten. „Nun wird es heißen: Wir brauchen mehr Kontrolle. Es dürfte eine Welle von weiteren Repressionen folgen“, ist Gerhard Mangott überzeugt.

Beide warnen im dem Zusammenhang vor einem Visa-Bann gegen Russen in der EU. Das helfe nur dem Regime. „Ich habe in Russland zuletzt eher ein Zusammenrücken erlebt. Vor allem die im Westen geführte Debatte, ob russischen Bürgern keine Touristen-Visa mehr erteilt werden sollten, spielt hier die entscheidende Rolle. Das führt zu einer Festungsmentalität“, sagt Kunze. Mangott stimmt zu: „Eine Visa-Beschränkung wird starke Solidarisierungseffekte mit dem Regime bewirken. Dies wäre politisch kontraproduktiv und hilft der russischen Propaganda.“