Neues Buch nach Otfried Preußler
Pulverfass der Erinnerungen: "Hotzenplotz und die Mondrakete"

02.12.2019 | Stand 20.09.2023, 23:39 Uhr

Der Seppel, mit Klebeband an Kopf und Schuh, kann nicht ganz folgen: Mit Pappkarton und silbernem Klebeband baut Kasperl ein großes Rohr. Und damit auch der dümmste Räuber kapiert, was das sein soll, wird noch dick "Mondrakete" drauf gepinselt. Warum dieses Technikwunder nützlich sein soll zum Räuber-Hotzenplotz-Fangen, wird sich zeigen. Es ist viel leichter als gedacht. – Illustration: Thorsten SaleinaThienemann

Zuerst erschienen am 5. Juni 2018 im Feuilleton der Passauer Neuen Presse.

"Einmal saß Kasperls Großmutter auf der Bank vor ihrem Häuschen in der Sonne und mahlte Kaffee ... da rauschte und knackte es plötzlich in den Gartensträuchern und eine barsche Stimme rief: Her mit dem Ding da!" Wem das in frühen Tagen vorgelesen wurde, für den geht Magie aus von diesen Zeilen, ein Pulverfass voller Erinnerungen hängt am 1962 erschienenen und ’69 und ’73 fortgesetzten "Räuber Hotzenplotz" von Otfried Preußler. Als Tochter und Werkverwalterin Susanne Preußler-Bitsch eine vierte Geschichte ankündigte, waren Eltern, Kinder, Buchhändler, Feuilletons schier in Atemnot.

"Unbestritten ein grober Fehler"Eine Woche nach Erscheinen steht "Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete" auf Platz zwei der Bestsellerlisten, im Oktober folgt das Hörbuch, im November die Theateruraufführung. Susanne Preußler-Bitsch, die in Regen in Bayerischen Wald lebt, könnte glückselig sein – wäre da nicht das Pulverfass unkontrollierbarer Erinnerungen.

Sie selbst wie auch der Thienemann Verlag hatten nicht registriert, dass die vermeintlich unveröffentlichte Geschichte aus dem Nachlass schon zweimal gedruckt war, 1969 bei Reader’s Digest und 1967 bei Thienemann selbst. "Unbestitten ein grober Fehler und ein ärgerlicher Fehler obendrein", entschuldigt sich Susanne Preußler-Bitsch gegenüber der Passauer Neuen Presse. Und ein so peinlicher und leicht aufzudeckender Fehler, dass davon auszugehen ist, dass es sich wirklich um einen Fehler handelt – und nicht um ein dreistes Täuschungsmanöver, wie mancher nun mutmaßt. Dem Leser kann es letztlich egal sein, ob er eine unveröffentlichte oder eine in Vergessenheit geratene Geschichte aufsaugt.

Hauptsache sie ist gut, die Geschichte. Und sie lässt sich gut an: Hotzenplotz ist – aus für Dimpfelmoser unvorteilhaften Gründen – aus dem Spritzenhaus entwischt. Was im ersten Buch die Kiste voll Sand mit der Aufschrift "Vorsicht Gold !!" war, ist hier die Pappendeckel-Mondrakete samt Aufschrift "Mondrakete": eine Räuberfalle. Denn "das weiß doch schließlich jedes Kind, dass der Mond durch und durch aus purem Siiiiiilber ist."

Wer des Hotzenplotz’ Intelligenzquotienten und das Detail kennt, dass die Buben mit Rakete, Kartoffelsack und Strick laut krakeelend zur Räuberhöhle ziehen, kann den Rest erahnen. Strohdumm war Hotzenplotz ja immer schon, hier ist er nachgerade dämlich. So bescheuert, dass er für die Kinder überhaupt keine Gefahr mehr darstellt. Was für die literarische Bewertung der "Mondrakete" relevant ist. Denn die kindliche Angst, Kasperl und Seppel könnte was passieren, die existenzielle Bedrohung des versklavten Seppel in der Räuberhöhle und des im Zauberschloss internierten Kasperl, die Mutproben hinunter ins Unkenverlies und auf die Hohe Heide – diese dunkle Seite ist der Schlüssel zu Tiefe und Wirkungsmacht des Ur-Hotzenplotz.

Dass der neue Band gar so kurz, vorhersehbar und problemfrei ist, liegt an der Vorlage: Otfried Preußler schrieb 1967 "Die Fahrt zum Mond" als Kinderkasperltheaterstück in Dramenform mit Regieanweisungen. Zu seinem 95. Geburtsjahr hat Susanne Preußler-Bitsch den Text in einen Miniroman umgewandelt und die Ramenhandlung hinzu ersonnen. Innen im Umschlagtext steht klar: "Erzählt von Susanne Preußler-Bitsch nach einem Theaterstück von Otfried Preußler" – vielleicht wäre es klug gewesen, dies draußen auf den Buchdeckel zu drucken. Denn auch wenn die Dialoge Original-Preußlerton sind, die Differenz in der sprachlichen Finesse ist offenkundig.

"Erzählt von Susanne-Preußler-Bitsch"Was Leser etwa auf Amazon zu teils vernichtenden Urteilen verleitet: "Zwackelmann hätte sie dafür in eine Unke verwandelt." Doch erstens ist Zwackelmanns Literaturkompetenz unter Experten strittig, und zweitens hat der neue Band schon durchaus seinen Reiz: der Tonfall, die Polizei, die auf der Wache wartet, bis die Buben die Drecksarbeit erledigt haben, der Räuber, der sich in seiner Ehre gekränkt fühlt, weil der Ausbruch zu simpel war – das ist, im Zusammenspiel mit den zwischen Heute und Nostalgie überaus gelungen changierenden Illustrationen von Thorsten Saleina, durchaus auch ein Vergnügen.

Thienemann, 64 Seiten, 12 Euro