Buch über den Sprachwandel
Petra Gerster fürs Gendern und gegen das "Zigeunerschnitzel"

19.11.2021 | Stand 21.09.2023, 5:55 Uhr

"Wenn Sinti und Roma uns sagen, dass sie das Wort ,Zigeuner‘ als kränkend und diskriminierend empfinden, und ich denen sage, ach was, nun habt euch mal nicht so – dann sage ich im Grunde genommen: Mir sind eure Gefühle egal." – Petra Gerster. −Foto: Rico Rossival

Nach 23 Jahren als Moderatorin der "Heute"-Nachrichten im ZDF verabschiedete sie sich vor Kurzem in den Ruhestand, jetzt legt Petra Gerster ein neues Buch vor: In "Vermintes Gelände. Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert", das Gerster mit ihrem Ehemann Christian Nürnberger geschrieben hat – und hier im Interview – erklärt sie, warum sie trotz aller Anfeindungen die Gendersprache und den Verzicht auf verletzende Vokabeln für richtig hält.



Frau Gerster, Sie haben mit Ihrem Mann Christian Nürnberger ein Buch übers Gendern und andere Folgen der Identitätspolitik geschrieben. Wie kam es dazu?
Petra Gerster: Die Reaktionen auf mein Gendern in der "Heute"-Sendung waren so zahlreich und heftig, dass sie mich bis in den Abend hinein beschäftigten – und bedrückten. Ich kam mir schon vor wie eine "Gender-Terroristin", wie Oliver Welke in der "Heute-Show" sagte. Mein Mann riet mir, das in einem Buch zu verarbeiten. Doch uns war bald klar, dass das Thema größer ist als Gendern allein – also das Sprechen, das auch Frauen benennt und sichtbar macht. Dass es nur ein Anzeichen für einen fundamentalen Wandel unserer Gesellschaft ist. Es gibt noch viele andere Zeichen für diesen Wandel, und der besteht darin, dass aus der einst relativ homogenen deutschen Nachkriegsgesellschaft im Verlauf von mehreren Jahrzehnten eine multikulturelle und sogar multigeschlechtliche Gesellschaft geworden ist.

Warum, glauben Sie, fühlen sich manche so angefasst beim Thema Gendern?
Gerster: Mit unserer Muttersprache wachsen wir auf, sie prägt uns von klein auf, da wollen wir uns nicht reinreden lassen. So, wie wir sie gelernt haben, ist es richtig – denken wir. Deswegen wollen die Menschen so sprechen, wie ihnen "der Schnabel gewachsen ist". Aber natürlich ändert sich die Sprache fortwährend mit der Gesellschaft, nur merken wir es nicht immer so deutlich wie beim Gendern. In meiner Kindheit wurden noch schreckliche Wörter wie Krüppel, Idiot oder Klapsmühle gesagt. Es ist doch ein Zeichen von Zivilisierung, dass wir so nicht mehr reden! Und die rein männliche Pluralform für alle Geschlechter – das generische Maskulinum – hat nun eben auch ausgedient.

Führt gendergerechte Sprache zu mehr Gerechtigkeit?
Gerster: Gendergerechte Sprache allein führt nur zu mehr sprachlicher Gerechtigkeit, aber natürlich nicht automatisch zu sozialer Gerechtigkeit und echter Gleichstellung. Dafür wird man weiter kämpfen müssen. Durch das Gendern im täglichen Sprachgebrauch wird uns aber bewusster, dass wir noch lange nicht fertig sind mit diesem Kampf. Daher ist es auch unsinnig, hier einen künstlichen Gegensatz zu konstruieren nach dem Motto: Die einen gendern und betreiben nur Sprachkosmetik, ohne wirklich etwas zu ändern, die anderen ändern die Verhältnisse und brauchen daher keine Sprachkosmetik. Ich meine: Beides gleichzeitig zu tun ist effektiver, als nur eines von beiden zu tun.

Sie warnen aber auch vor Auswüchsen der Identitätspolitik. Wo fängt für Sie vernünftige Identitätspolitik an und wo hört sie auf?
Gerster: Eine solidarische Identitätspolitik fängt da an, wo es um Höflichkeit und Anstand geht, also beispielsweise um den Verzicht auf beleidigende Begriffe für Menschen anderer Hautfarbe, Ethnie, Sexualität oder Religion. Das sollte uns in Fleisch und Blut übergehen. Sie hört – für mich zumindest – aber da auf, wo in die Freiheit von Presse, Wissenschaft und Kunst oder einer persönlichen Meinungsäußerung eingegriffen werden soll – vorausgesetzt, es handelt sich nicht um verhetzende, strafbare Inhalte. Wenn zum Beispiel in literarischen Werken heute verpönte Begriffe stehen, wie das Wort "Mohr" im "Mann ohne Eigenschaften" von Musil, sollte man nicht im Entferntesten daran denken, diesen Begriff nachträglich zu zensieren. In Kunstwerke darf man nicht eingreifen, denn sie sagen ja auch etwas über ihre Zeit aus. Jede Anpassung an moderne Einstellungen würde ihren historischen Charakter verfälschen. Aber man könnte in Fußnoten erklären, warum ein Wort, das vor 100 Jahren keinen Anstoß erregte, heute nicht mehr geht. Nur bei Kinderliteratur finde ich Eingriffe richtig.

Verzetteln sich die Anhänger der Identitätspolitik nicht oft auch in Nebensächlichkeiten oder anders gefragt: Ist es wirklich wichtig, dass das Zigeunerschnitzel nicht mehr so heißen darf?
Gerster: Wenn Sinti und Roma uns sagen, dass für die Nazis "Zigeuner" Menschen waren, die man, wie die Juden, in Konzentrationslager stecken musste, um sie dort zu ermorden, und dass sie deshalb das Wort "Zigeuner" als kränkend und diskriminierend empfinden, und ich denen sage, ach was, nun habt euch mal nicht so, ich meine das doch gar nicht so – dann sage ich im Grunde genommen: Mir sind eure Gefühle egal, und darum werde ich mir im Wirtshaus weiterhin ein "Zigeunerschnitzel" bestellen. Kann man natürlich machen. Nur muss der- oder diejenige sich dann halt sagen lassen, dass er oder sie ein ungehobelter und beleidigender Mensch ist.
Das Gespräch führte
Martin Weber.

•Petra Gerster: Vermintes Gelände. Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert. Heyne, 208 Seiten, 16 Euro