PNP-Interview
NRW-Integrationsbeauftragte Güler (CDU): "Die AfD instrumentalisiert dieses schreckliche Verbrechen"

01.08.2019 | Stand 20.09.2023, 1:17 Uhr

Serap Güler (CDU). −Foto: Kay Nietfeld/dpa

Serap Güler, Mitglied des CDU-Bundesvorstandes und Integrationsbeauftragte in NRW, kritisiert die politische Instrumentalisierung der tödlichen Attacke eines Eritreers auf einen Achtjährigen am Frankfurter Hauptbahnhof durch die AfD. "Die AfD instrumentalisiert dieses schreckliche Verbrechen. Das müssen wir als gesamte Gesellschaft verurteilen", sagte Güler der Passauer Neuen Presse. "Statt Anteilnahme gibt es hier nur Hass und Hetze. Dagegen müssen wir uns wehren."

"Die Herkunft des Täters wird auf schäbige Art und Weise in den Vordergrund gestellt und nicht die Tat. Bei den führenden AfD-Politikern, die diese Tat nur wenige Stunden danach dermaßen für ihre Zwecke missbrauchen, handelt es sich meiner Meinung nach um Rassisten", betonte die CDU-Politikerin.

Hartmann überschreite alle Grenzen: "Neue Qualität von Hass"

Als Grenzüberschreitung sieht die Integrationsbauftragte die Twitter-Äußerung der AfD-Bundestagsabgeordneten Verena Hartmann, die die Kanzlerin und ihre Politik für den Mord an dem Jungen verantwortlich gemacht und sie persönlich angegriffen hat. "Diese Äußerung der AfD-Politikerin ist einfach nur widerlich. Dass eine Bundestagsabgeordnete sich so auf Twitter äußert und alle Grenzen überschreitet, ist eine neue Qualität von Hass."

Güler warnt vor Verfall der Werte: "Breite Mitte muss Flagge zeigen"

Nach einer Reihe schwerer Verbrechen – der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, der versuchte Mord an einem Eritreer und jetzt die Tat in Frankfurt – spricht Bundesinnenminister Horst Seehofer von einer Werteerosion. Auch Güler äußert "die große und berechtigte Sorge, dass sich da in der Gesellschaft etwas dramatisch verändert. Es gibt eine Werteerosion, einen Verfall der Werte in unserer Gesellschaft". Solche Taten würden leider aus der linken und aus der rechten Ecke politisch instrumentalisiert. "Da muss die breite Mitte der Gesellschaft Flagge zeigen und gegenhalten", fordert sie, dass keine dieser Taten – egal ob von Ausländern oder von Rechtsradikalen verübt, nicht für politische Zwecke missbraucht werden dürfe.

Das Interview im Wortlaut:

Nach dem mutmaßlichen Mord an einem achtjährigen Jungen auf dem Frankfurter Hauptbahnhof durch einen Eritreer gibt es jede Menge Hass und Hetze in den Sozialen Netzwerken. Was kann man gegen diese politische Instrumentalisierung tun?
Serap Güler: Die Tat ist ein schreckliches Verbrechen. Dass dieser Mord jetzt derart für eigene politische Zwecke missbraucht wird, macht einen fassungslos. Es kommt nun darauf an, der Mutter des Opfers und der Familie Beistand zu leisten und nicht eine Debatte voller Hass und Hetze zu führen. Diejenigen, die dies tun, allen voran die AfD, machen deutlich, dass sie nur ein einziges Thema haben, die Migration. Die Tat spielt für sie überhaupt keine Rolle, sondern nur die Herkunft des Täters. Die Herkunft des Täters wird auf schäbige Art und Weise in den Vordergrund gestellt und nicht die Tat. Bei den führenden AfD-Politikern, die diese Tat nur wenige Stunden danach dermaßen für ihre Zwecke missbrauchen, handelt es sich meiner Meinung nach um Rassisten.

Wir müssen jetzt eine Debatte darüber führen, was unsere unverrückbaren Werte sind und wie wir sie verteidigen können. Was ist es, was uns ausmacht? Vor allem AfD-Politiker wollen die Willkommenskultur von 2015 für solche Verbrechen verantwortlich machen…
Güler: Diese Instrumentalisierung wird ganz eng mit dem Jahr 2015 und der sogenannten Flüchtlingskrise verknüpft. Es war ja nicht so, dass die Politik die Willkommenskultur aufgezwungen hätte. Am Münchner Hauptbahnhof und in vielen anderen Städten haben sehr viele Menschen Flüchtlinge herzlich empfangen. Es gibt bis heute ein großes soziales Engagement in der Flüchtlingsarbeit. Diese Willkommenskultur, die die AfD jetzt wieder angreift, steht vor allem für eine offene Gesellschaft. Sie geht von den Bürgern aus. Da werden viele Bürgerinnen und Bürger vor den Kopf gestoßen, die sich tagtäglich engagieren. Die AfD instrumentalisiert hier dieses schreckliche Verbrechen. Das müssen wir als gesamte Gesellschaft verurteilen.

Es gab zuletzt eine Reihe solch schwerer Verbrechen – der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, der versuchte Mord an einem Eritreer und jetzt die Tat in Frankfurt. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warnt vor Angst und Verunsicherung vieler Menschen und spricht von einer Werteerosion...
Güler: Es gibt die große und berechtigte Sorge, dass sich da in der Gesellschaft etwas dramatisch verändert. Es gibt eine Werteerosion, einen Verfall der Werte in unserer Gesellschaft. Solche Taten werden leider aus der linken und aus der rechten Ecke politisch instrumentalisiert. Da muss die breite Mitte der Gesellschaft Flagge zeigen und gegenhalten. Es muss klar werden, dass wir keine dieser Taten – egal ob sie von Ausländern verübt wird oder von Rechtsradikalen – nicht für unsere eigenen politischen Zwecke missbrauchen. Statt Anteilnahme gibt es hier nur Hass und Hetze. Dagegen müssen wir uns wehren.

Wie kann man dagegenhalten?
Güler: Als Erstes dürfen wir keine dieser Taten dramatisieren – ganz gleich, ob sie von Ausländern oder Deutschen verübt werden. Oft heißt es, es handele sich um Einzeltäter, und die Verbrechen dürfen nicht banalisiert werden. Man muss genau hinschauen. Jede Tat für sich ist schlimm. Wenn Sie der Mutter des getöteten achtjährigen Jungen erklären, dass es sich um die Tat eines verwirrten Einzeltäters handelte, wird ihr das nicht helfen. Vor allem ist jetzt die Justiz gefordert, mit aller Härte des Rechtsstaats zu reagieren. Da darf es keinerlei Rabatt geben. Wir haben viele Menschen in Deutschland, die unter Depressionen leiden. Die stehen aber nicht alle auf Bahnhöfen und werfen andere vor einen Zug. Wir müssen auch beim Thema Rechtsextremismus genau hinschauen, dürfen das nicht kleinreden. Spätestens nach der Mordserie des NSU müssen wir genauer auf die rechte Szene schauen.

Die AfD-Bundestagsabgeordnete Verena Hartmann hat via Twitter die Kanzlerin und ihre Politik für den Mord an dem Jungen verantwortlich gemacht und sie persönlich angegriffen...
Güler: Diese Äußerung der AfD-Politikerin ist einfach nur widerlich. Dass eine Bundestagsabgeordnete sich so auf Twitter äußert und alle Grenzen überschreitet, ist eine neue Qualität von Hass. Wir müssen jetzt eine Debatte darüber führen, was unsere unverrückbaren Werte sind und wie wir sie verteidigen können. Was ist es, was uns ausmacht?