Vilshofen
Narr von Vilshofen in 3 D

Bei der Sanierung des Kirchendachs entdeckt und nun näher gedeutet

22.07.2021 | Stand 20.09.2023, 4:17 Uhr
Rudolf Drasch

So lässt sich der Narr von Vilshofen in die Hand nehmen. V.l. Kirchenpfleger Ludwig Silbernagl, Stadtpfarrer Lothar Zerer, Kreisheimatpfleger Rudolf Drasch, Verena Gubich von BayernLab und Thomas Graßl vom Planungsbüro Graßl. −Foto: Scholz

Mehr als ein halbes Jahrtausend blickt aus schwindliger Höhe vom Gesims der Stadtpfarrkirche der "Narr von Vilshofen" auf die Bürgerinnen und Bürger hinunter, ohne dass ihn als steinernes Relief je jemand zu Gesicht bekommen hat. Anders als den "Passauer Tölpel" kann man ihn neuerdings sprichwörtlich selbst auf den Arm oder in die Hand nehmen.

Bei der Dachsanierung der Stadtpfarrkirche untersuchte der erfahrene Bauleiter Thomas Graßl in der SO-Ecke am Gesims bei der Traufe einen aus Sandstein gefertigten rätselhaften Narrenkopf und daneben ein zeitgenössisches gotisches Steinmetzzeichen (VA berichtete). Das bisher unbemerkte Objekt stammt aus der Bauphase der gotischen Kirche um 1513. Dank moderner Technik fertigte das Planungsbüro Graßl eine digitales 3D-Modell davon an, das von BayernLab Vilshofen mit Hilfe eines 3D-Druckers als plastisches Modell originalgetreu in verkleinerter Form ausgedruckt wurde.

In der mitgelieferten Expertise von Thomas Graßl werden die Attribute des steinernen Narren näher unter die Lupe genommen: Die Eselsohren werden als Allegorie für ein grundlegend negatives Tier interpretiert. Es stand für das Laster der Trägheit und war dumm und damit unwissend, also ein Beispiel für die Häresie der Gottesleugner. Daher erhielt der Esel bei der Schöpfung nach mittelalterlicher Auffassung die langen Ohren des Teufels. Der Hahnenkamm war die Verkörperung des Lasters der sexuellen Begierde, ungezügelter Leidenschaft und Geilheit.

Die Schellen verkörperten als Kennzeichen des Bösen die Laster der Geschwätzigkeit, standen für hohles Geklingel und für Verführung. Der Narr verfolgt die Eigenliebe, Nächstenliebe kennt er nicht; er steht für Lieblosigkeit und selbstgefälliges Geschwätz, weiß Graßl zu berichten.

Was hat aber ein Narr an der Kirche zu suchen? Graßl klärt auf: Narren erscheinen ab dem 13. Jahrhundert allesamt in theologischem Kontext in Psalmenschriften. "Der Narr sprach in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott." Der Ursprung der Narrheit war also die Verachtung des Herrn – "contemptus Domini". Der Narr ist oben auf dem Gesims der Kirche und blickt auf die Menschen herab und möchte uns sagen: Werdet keine Narren und glaubt an Gott.

Ob sich hier der Baumeister selbst als Narr "incognito" ein steinernes Denkmal gesetzt hat oder der Steinmetz, das wird immer ein Rätsel bleiben. Jedenfalls ist am rechten Kirchenportal ganz oben ebenfalls eine figürliche Darstellung eines Konsolenmännchen mit großem Kopf und der Jahreszahl 1513 zu sehen. Dieser wird häufig als der Erbauer der gotischen Kirche gedeutet und hat sich nicht versteckt wie sein ungläubiger Pendant auf dem Kirchdach.