Nachhaltiges Göteborg

05.02.2022 | Stand 25.10.2023, 10:42 Uhr

Vor den Toren Göteborgs liegt das Schloss Gunnebo aus dem 18. Jahrhundert. Es wird seit den 1990er Jahren originalgetreu und mit den ursprünglich verwendeten Materialien und Werkzeugen saniert. Das dabei wiedererworbene Wissen soll für künftige Generationen bewahrt werden. −Fotos: Petra Grond

Schlechtes Gewissen wegen einer Flugreise? Als Top-Adresse für Nachhaltigkeit bietet Göteborg Gelegenheit, den ökologischen Fußabdruck dennoch relativ klein zu halten.

Willkommen im Winter-Wunderland: Auf jedem Ast glitzert Schnee, den kurzen Weg durch den Wald begleitet das gelegentliche Schnattern von Enten. In 20 Minuten hat uns der Bus aus dem quirligen Stadtzentrum von Göteborg in die stille schwedische Bilderbuch-Landschaft der Gemeinde Mölndal und das erste Kulturreservat in der Provinz Västra Götalands Län gebracht. Dort, mitten im Wald, liegt es vor uns: Schloss Gunnebo. Sauber kegelförmig geschnittene Bäume führen hinauf zur einstigen Sommerresidenz des Kaufmanns John Hall und seiner Frau Christina, die eher ein Landsitz ist als ein Schloss. In den 1780er-Jahren erbaut, nach dem Tod der Besitzer schnell heruntergekommen und seit Mitte der 1990er zu neuem Leben erweckt, ist die Anlage heute ein Juwel und herausragendes Beispiel nachhaltiger Instandsetzung.

Das Glas für die Orangerie wird in Deutschland gemacht

Nach dem überraschenden Fund der Original-Bauzeichnungen auf einem Dachboden wurde die gesamte Anlage nach diesen Plänen, vor allem aber mit den alten Techniken restauriert. Kein benzinbetriebenes Fahrzeug auf Gunnebo; wenn es ans Mähen geht, kommt die Sense zum Einsatz, um die blühende Vielfalt auf den Wiesen zu bewahren. Die reichhaltigen "Stukkaturen" in Ausstellungsräumen entpuppen sich als kunstvolle, weiß bemalte Holzarbeiten. Für die großen Fensterflächen der noch in der Restauration befindlichen Orangerie hat man eigens in vielfachem Grün schimmerndes Glas in Deutschland anfertigen lassen. Neben einer weiteren französischen Garten-Anlage ebenfalls hinter dem Schloss: zwei Küchengärten. Sie beliefern auf denkbar kürzestem Weg die saisonal bestimmte, jährlich neu bewertete Sterne-Küche des gleich daneben liegenden gemütlichen "Krog".

Klar, dass hier alle Lebensmittel samt Lieferketten öko-zertifiziert sind, denn Gunnebo ist nicht nur ein Projekt, das sich selbst der Nachhaltigkeit verschrieben hat. "Wir sind sehr stolz darauf, dass wir mit der Universität, mit Handwerkern und Architekten zusammenarbeiten und unser in Gunnebo erworbenes Wissen über die alten Fertigkeiten an nachfolgende Generationen weitergeben können", sagt Anneli Stahre, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Anlage verantwortlich ist. Das Wissen, das neben Holzbearbeitung, Gartenbau und Küche auch naturnahe Dekoration für Tisch und Wohnraum umfasst, wird deshalb in Seminaren an Interessierte weitergegeben.

Nachhaltigkeit, derzeit fast wie eine Modeerscheinung in aller Munde, gehört in Göteborg schon seit vielen Jahren zum Selbstverständnis. Es ist hier längst allgemeiner Konsens, Ressourcen zu schonen, langfristig zu denken und aus den natürlichen Gegebenheiten das Beste zu machen. Es gibt viele Regentage? Na, dann muss ein Spielplatz her, der erst durch das Nass von oben so richtig zum Spielen einlädt. Und es braucht ein wetterunabhängiges Museums- und Freizeit-Angebot.

Ganze Viertel bieten Second-Hand-Waren an. "In unserem Haushalt stammen bestimmt 70 Prozent aller Möbel, Kleidung und Spielwaren aus zweiter Hand", sagt Touristikerin Petra Gamerdinger und ist damit durchaus repräsentativ. Städtischer Leerstand wird mit Pop-Up-Galerien und -Läden überbrückt. Stadt und Tourismusbüro bemühen sich gemeinsam, aus tristen Innenhöfen und Parkplätzen grüne und vor allem belebte Oasen zu schaffen.

Im Oktober hat es Schwedens "gemütliche Hauptstadt" zum fünften Mal an die Spitze des "Global Destination Sustainability Index" als nachhaltigste Stadt geschafft. Im Rennen waren 73 Städte weltweit. Auch der Reise-Tippgeber "Lonely Planet" stimmte 2021 in dieses Lob ein, erfüllt doch mittlerweile selbst Göteborgs Flughafen Landvetter den höchsten CO2-Standard. Bis 2030 will die Stadt komplett unabhängig von fossilen Energien sein. Schon heute halten erneuerbare Energien zu 97 Prozent den Nahverkehr am Laufen. Selbst der Vergnügungspark Liseberg erzeugt einen guten Teil seines Stromverbrauchs durch entsprechend konstruierte Fahrgeschäfte selbst. Die Halloween-Dekoration wurde zu Biogas umgewandelt, und der bei rund drei Millionen Besuchern jährlich unvermeidlich anfallende Müll wird immerhin zu 65 Prozent recycled.

Nahezu alle Hotels sind öko-zertifiziert, und wenn vor dem Traditionshotel Eggers die E-Bikes und E-Roller in Reih und Glied stehen, so empfindet das niemand als Stilbruch. Das Restaurant "Vrå" ("Eck") punktet bei seiner japanisch inspirierten Küche nicht nur mit quasi vor der Haustür gefangenen Meeresfrüchten und den Gaumen verblüffenden Geschmacksnuancen, sondern auch durch respektvollen Umgang mit den jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Mit Kreativität Veränderungen angehen

Das Restaurant "Svinn" geht noch einen Schritt weiter und bereitet nahezu alle Mahlzeiten unter Verwendung von "geretteten" Lebensmitteln zu, also Waren, die zwar nicht mehr verkäuflich, aber noch vollkommen in Ordnung sind. Dabei gehen vier Fünftel der Mahlzeiten an die auch in Göteborg stark frequentierten Tafeln, der Rest wird vor Ort für jedermann serviert.

So arbeitet Göteborg offensiv und an vielen Fronten daran vorzuleben, dass klimabewusstes, ökologisches und in die Zukunft denkendes Verhalten nicht Verzicht, sondern Bereicherung bedeuten kann – wenn es mit Kreativität gelebt wird.

Göteborg an der Westküste ist mit rund 600 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Schwedens. Es herrscht ein gemäßigtes Klima, selbst im Winter gibt es kaum Minus-Grade.

ANREISEN

Direktflüge von München mit Lufthansa ab 162 Euro.

ÜBERNACHTEN
Hotel Eggers direkt im Zentrum gelegen; Traditionshaus von 1859 mit individuell gestalteten Zimmern, DZ p.P. mit Frühstück ab ca. 130 Euro.
Scandic Landvetter; modernes Hotel auf dem Flughafengelände (schalldichte Fenster), DZ p.P. mit Frühstück (ab 4.30 Uhr) ab rund 150 Euro.

ESSEN
Restaurant Vrå im Hotel Clarion Post, Drottningtorget 10: japanisch inspirierte Küche, große Sake Bar.
Restaurant Svinn, Amerikagatan 2: von der Stadtmission geleiteter Betrieb zugunsten der Göteborger Tafeln.
Restaurant und Café Krog im Schloss Gunnebo, Mölndal: nachhaltige Küche mit saisonalen Produkten aus eigener Herstellung.
www.visitsweden.de
www.goteborg.com
www.gunneboslott.se