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Meteorologe: "Beim Klimawandel sind wir Täter und Opfer"

20.12.2021 | Stand 20.09.2023, 5:36 Uhr
Philipp Hedemann

Die Nomaden in den kenianischen Dürregebieten leiden besonders unter dem menschengemachten Klimawandel, tragen aber mit ihren geringen Emissionen kaum dazu bei. −Foto: Philipp Hedemann

Im Fernsehen erklärt Meteorologe Sven Plöger Millionen Zuschauern, wie das Wetter morgen wird. Im PNP-Interview sagt er, was wir tun müssen, damit das Klima auch in Zukunft erträglich bleibt und warum der Klimawandel für die Nomaden in Kenia schon jetzt lebensbedrohlich ist.

Herr Plöger, für die Weihnachtsaktion der Passauer Neuen Presse haben wir heuer im Osten Kenias recherchiert. Das Gebiet leidet unter einer langanhaltenden Dürre. Ist das noch ein Wetterphänomen oder ist das schon der Klimawandel?
Sven Plöger: Wir erleben derzeit in ganz vielen Regionen der Welt extreme Wetterphänomene, wie die langanhaltenden und wiederkehrenden Dürren in Ostafrika. Nicht jedes Wetterphänomen ist durch den Klimawandel zu erklären, aber dass Phänomene wie Dürren in den letzten Jahren vermehrt auftreten – dafür ist der menschengemachte Klimawandel auf jeden Fall mitverantwortlich.

Bei unseren Recherchen haben uns ältere Menschen erzählt, dass die Abstände zwischen den Dürren immer kürzer werden. Ist das statistisch belegbar?
Sven Plöger: Die Nomaden sind ganz nah am Wetter dran, denn ihre ganze Lebensgestaltung hängt ja davon ab. Ich bin deshalb sehr geneigt, ihnen ihre Wetter- und Klima-Beobachtungen zu glauben. Selbst Landwirte in Mitteleuropa, die viel weniger vom Wetter abhängig sind als die Nomaden in Ostafrika, können sehr genau beschreiben, wie sich das Wetter über die Jahre deutlich verändert. In vielen Regionen Afrikas sind die Aussagen der Nomaden auch für die Wissenschaft eine wichtige Quelle, denn wir haben dort nur sehr wenige Messstationen, und nicht alle von ihnen funktionieren gut.

Die Nomaden haben uns nicht nur von verheerenden Dürren, sondern auch von zerstörerischen Überschwemmungen berichtet. . .
Sven Plöger: Tatsächlich beobachten wir im Moment, dass der Wechsel zwischen sehr auffälliger, langanhaltender Trockenheit und oft anschließender extremer Nässe mit all den verbundenen Schäden, zunimmt. Im März 2019 waren beispielsweise Millionen Menschen im südlichen und östlichen Afrika von Zyklon Idai betroffen, über 1000 Menschen starben. Wenn es lange Zeit viel zu trocken war, und plötzlich viel zu viel Regen kommt, ist das Ergebnis natürlich nicht, dass die Böden gut durchfeuchten. Stattdessen gibt es schreckliche Flutwellen, die die fruchtbaren oberen Bodenschichten einfach mit sich reißen, Behausungen zerstören und Menschen und Vieh töten. Dieses extreme Hin und Her kann negative Effekte leider überhaupt nicht ausgleichen, sondern verschlimmert die Situation vor Ort sogar.

Welche Auswirkungen haben diese Klimaveränderungen auf die Lebensmittelsicherheit in Kenia und Ostafrika?
Sven Plöger: Im Falle von langanhaltenden Trockenperioden haben die Menschen in den betroffenen Regionen keine Reserven mehr, auf die sie zurückgreifen können. Oft bleibt ihnen dann nichts anderes übrig, als ihre Heimat zu verlassen. Wir alle kennen diese schrecklichen Bilder. In vielen Regionen Afrikas gehören Klimabelastungen schon heute zu den wichtigsten Fluchtursachen. Gerade arme Länder können es sich schlichtweg nicht leisten, in Dürrejahren Lebensmittel in ausreichender Menge zu importieren. Und das kann im schlimmsten Fall zu schrecklichen Hungerkatastrophen führen.

"Arme können sich keine Klimaanlagen leisten"

Werden bestimmte Regionen durch den Klimawandel dauerhaft unbewohnbar?
Sven Plöger: Ja, das Risiko besteht. Der Mensch muss sich selber runterkühlen. Darum schwitzen wir ja. Aber es gibt Bedingungen, unter denen der Mensch ohne Hilfsmittel – sprich klimatisierte Räume – dazu nicht dauerhaft in der Lage ist. Und arme Menschen können sich keine Klimaanlagen leisten. Zudem können langanhaltende und wiederkehrende Dürren dazu führen, dass besonders betroffene Regionen die dort lebenden Menschen einfach nicht mehr ernähren können.

Die Nomaden im Osten Afrikas tragen mit ihren extrem geringen Emissionen kaum zum Klimawandel bei, leiden aber besonders stark darunter. Welche Verantwortung ergibt sich daraus für die reichen, den Klimawandel verursachenden Industrienationen?
Sven Plöger: Wir leben in einer vollkommen ungerechten Welt! In einer Welt, in der die 85 reichsten Menschen so viel besitzen wie die 3,5 Milliarden ärmsten Menschen zusammen. Das ist eine absolute Schieflage! Die reichen Länder emittieren viel, die armen Länder emittieren wenig und sind am meisten vom Klimawandel betroffen. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Und vor diesem Hintergrund gibt es für die reichen Länder eine riesige Verantwortung, die sie immer noch nicht auch nur annähernd wahrnehmen. Auf der Weltklimakonferenz in Paris wurde den Ländern des globalen Südens zugesagt, ihnen ab 2020 jedes Jahr 100 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen, um ihnen zu helfen, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. Aber diese Gelder sind immer noch nicht im angekündigten Rahmen geflossen. Auf der 26. Klimakonferenz in diesem Jahr in Glasgow wurde nun 2023 ins Spiel gebracht, aber mit sehr vagen Formulierungen. Die reichen Länder werden ihrer Verantwortung immer noch nicht gerecht.

Warum kommen die reichen Länder ihrer Verantwortung nicht nach?
Sven Plöger: Das ist eine gute Frage. Der Klimawandel betrifft ja nun mal die ganze Welt. Genau wie die Corona-Pandemie, zu der die Parallelen sofort erkennbar sind, wenn man auf die Beschaffung der Impfstoffe schaut: Es fällt uns in unserer reichen Welt so schwer, zu verstehen, dass man auch ärmere Länder unterstützen muss. Weil es die moralische Verantwortung gibt, aber auch um sich selbst zu schützen. Ohne fairen Zugang zu Impfstoffen entwickeln sich Mutanten, die auch uns bedrohen. Das ist so offensichtlich, und trotzdem ist der erste Impuls vieler Menschen nur: ich, ich, ich! Mir soll es gut gehen! Ich möchte in Wohlstand leben! Ich möchte Impfstoffe haben! Ich, ich, ich! Das gleiche gilt für den Kampf gegen den Klimawandel. Aber so wird nichts besser. Eben auch nicht für einen selbst.

"Erster Impuls ist oft: ich, ich, ich!"

Das klingt ziemlich desillusioniert. Haben Sie die Hoffnung, dass die Welt noch zu retten ist, aufgegeben?
Sven Plöger: Nein, ich gebe die Hoffnung nie auf! Erstens bin ich Rheinländer. Und zweitens, sehe ich keinen Vorteil darin zu sagen: Das schaffen wir sowieso alles nicht. Deshalb bleibe ich optimistisch. Oder andersherum: Was würde für mich persönlich besser, wenn ich als frustrierter Pessimist durch die Welt laufe?

Ist das Zwangsoptimismus?
Sven Plöger: Nein. Denn die Wissenschaft sagt ganz klar: Wir können als Gesellschaft noch dafür sorgen, dass der Klimawandel beherrschbar bleibt und die Katastrophen nicht überhandnehmen. Aber dafür müssen wir uns jetzt wirklich zusammenreißen und nicht A sagen, B machen und uns dann wundern, dass wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen. Beim Klimawandel sind wir Täter und Opfer zugleich. Wir haben in den letzten Jahrzehnten den traurigen Beweis erbracht, dass wir das Klima mit unseren Taten sehr stark negativ beeinflussen können. Das heißt aber auch, dass wir das Klima nicht nur schädigen, sondern auch positiven Einfluss nehmen können. Auch wenn manche mir deshalb vielleicht Naivität vorhalten, möchte ich mir meinen Optimismus immer erhalten. Ich glaube nicht, dass Optimismus naiv ist, sondern dass er unsere einzige Chance ist, nicht gemeinsam in den Untergang zu taumeln.

"Man muss das Sinnvolle auch tun!"

Welche Verantwortung tragen wir dabei für nachfolgende Generationen?
Sven Plöger: Ich kenne keine Eltern, die zu ihren Kindern sagen: Euch soll es auf jeden Fall mal schlechter gehen als uns! Aber wenn man wirklich will, dass es nachfolgenden Generationen nicht schlechter geht, muss man eben auch bereit sein, gegen die Erderwärmung zu kämpfen. Und es gibt viele tolle Menschen, die das tun. Im Buch "Besser machen!", das ich gerade mit Christoph Waffenschmidt, dem Deutschland-Chef der Kinder-Hilfsorganisation World Vision, geschrieben habe, berichten wir unter anderem über den Australier Tony Rinaudo, der mit einer von ihm entwickelten Methode Trockengebiete wiederbewaldet. Davon können auch die Nomaden in den Dürregebieten Ostkenias profitieren.

Tony Rinaudo hat für sein Lebenswerk den Alternativen Friedensnobelpreis bekommen. Aber was kann jeder einzelne, ganz normale Mensch tun, um zu helfen, die Klima-Katastrophe doch noch abzuwenden?
Sven Plöger: Kauft euch die Ratgeber, in denen steht, was man tun kann, um das Klima zu retten. Aber stellt sie euch nicht nur ins Bücherregal, sondern lest sie und tut, was ihr darin lest. Bei den stark steigenden Energiepreisen kann man so zudem noch eine Menge Geld sparen. Aber auch ohne diese Bücher wissen die meisten Menschen in unserer Gesellschaft heutzutage, was gut und was schlecht für das Klima ist. Man muss das Sinnvolle aber auch tun.