PNP-Interview
Kulturstaatsministerin: Humboldt Forum gibt Berlin historische Stadtmitte zurück

17.12.2020 | Stand 19.09.2023, 20:40 Uhr

Bei der Eröffnung des Humboldt Forums (v. l): Hans-Dieter Hegner, Vorstand Bau der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Monika Grütters, Kulturstaatsministerin, Michael Müller, Berlins Regierender Bürgermeister, Hartmut Dorgerloh, Generalintendant und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss. −Foto: dpa

Historische Fassade und moderne Innenräume: Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat mit der PNP über die Neueröffnung des Humboldt Forums im Berliner Stadtschloss gesprochen.

Das Interview im Wortlaut:

Frau Grütters, vor 70 Jahren hat die DDR-Führung das Berliner Stadtschloss sprengen lassen. Die Zerstörung galt als "Abrechnung mit dem preußischen Militarismus". Jetzt ist der Wiederaufbau abgeschlossen und der Bau wurde coronabedingt digital eröffnet. Ein Grund zum Feiern?
Grütters: Mir ist wichtig, dass wir der Bevölkerung zeigen, was die zukünftigen Besucherinnen und Besucher hier erwartet – und sei es wegen der Corona-Pandemie leider vorerst nur im virtuellen Raum. Das "Schloss für die Welt" und die an diesem Bau Beteiligten hätten zweifellos eine feierliche Eröffnung mit viel Publikum und festlichem Programm verdient. Denn so wie Alexander von Humboldts Expeditionen, so erforderte auch der Weg vom Beschluss des Deutschen Bundestages für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses bis zur Fertigstellung des Humboldt Forums 2020 einen langen Atem, unermüdlichen Einsatz, visionäre Kraft und auch ein Quäntchen Kühnheit.

Experten sprechen von einem Barocken Disneyland, das nichts mit dem früheren Schloss zu tun habe – außen die historische Fassade, innen Betonneubau. Ist die Kritik nicht berechtigt?
Grütters: Nein. Ich finde gerade diesen Kontrast zwischen historischer Fassade und modernen Innenräumen für einen zeitgemäßen Museumsbetrieb sehr reizvoll. Mir gefällt auch, dass Franco Stella ganz bewusst nicht den Ehrgeiz hatte, den Bau Andreas Schlüters an der Ostseite architektonisch zu variieren. Das hätte gründlich schiefgehen können. Ich schätze die Nüchternheit der modernen Fassade gerade im Kontrast zu den drei historisch rekonstruierten Seiten.

Aber wäre eine moderne, zukunftsweisende Architektur für ein Museumsgebäude in der Mitte der Hauptstadt nicht das bessere Signal gewesen?
Grütters: Natürlich wäre das auch denkbar gewesen. Aber der Deutsche Bundestag hat sich 2002 mit großer Mehrheit für die jetzt realisierte Lösung entschieden. Und wenn ich das Ergebnis sehe, kann ich nur sagen, dass dieser Bau Berlin seine historische Stadtmitte auf überzeugende Weise zurückgibt.

Vom Palast der Republik bleiben nur noch ein paar Lampen. Hätte man an dieses Erbe nicht umfassender erinnern sollen?
Grütters: Das trifft nicht zu. Das Humboldt Forum präsentiert auf sehr eindrückliche Weise auch die facettenreiche rund 800-jährige Geschichte des Ortes. Eine zentrale Rolle spielt dabei natürlich auch der Palast der Republik. Neben den von Ihnen angesprochenen Lampen finden Sie dort zum Beispiel das von der Meißener Porzellanmanufaktur für das Palastrestaurant geschaffene florale Wandrelief oder mehrere Gemälde aus dem Palast der Republik. Aber auch die gläserne Wahlurne aus der ersten und letzten frei gewählten Volkskammer der DDR oder einen Monitor aus der ehemaligen Stasi-Leitwarte des Palasts werden Sie dort sehen.

Das Humboldt Forum im Schloss-Bau soll ein Museum neuen Typs werden, ein "Basislager für eine Weltreise", wie Sie es nennen. Was erwarten Sie von dem Haus und den Machern?
Grütters: Hinter den barocken Fassaden wartet ein modernes Haus für Kultur, Wissenschaft und Bildung, warten 42.000 Quadratmeter darauf, im Geiste der Humboldt-Brüder sukzessive mit Leben gefüllt zu werden: im Geiste der Aufklärung, der Weltoffenheit und der Toleranz. Und ich denke, es sagt auch eine Menge über das Selbstverständnis Deutschlands im 21. Jahrhundert aus, dass wir hier nicht uns selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern den Kulturen Afrikas, Amerikas, Asiens und Ozeaniens Raum geben. Für den Umgang mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten – für die Darstellung der Herkunftsgeschichten, für den Zugang zu den Objekten und für das Miteinander in der Aufarbeitung der Sammlungen – sollte das Humboldt Forum in Deutschland Maßstab und Vorbild sein.

Ein nicht geringer Teil der Baukosten wurde durch Spenden finanziert. Ist das ein Modell auch für die Zukunft?
Grütters: Jetzt sollten wir erst einmal den großzügigen Spenderinnen und Spendern danken, die die Rekonstruktion der historischen Fassaden und der baulichen Optionen, der Innenportale und der Kuppel, möglich gemacht haben – wahre Meisterwerke der Handwerk- und Bildhauerkunst! Für dieses bürgerschaftliche Engagement empfinde ich viel Respekt und große Dankbarkeit.

Die Baukosten liegen bei 677 Millionen Euro. Sind solche Projekte in der Zukunft überhaupt noch vorstellbar angesichts der Folgen der Pandemie?
Grütters: Ich gehöre nicht zu denen, die jetzt einen Abgesang auf die Kultur oder kulturelle Großprojekte anstimmen. Ich glaube eher an den hartnäckigen Überlebenswillen der Kultur. Unsere Kultureinrichtungen haben bereits zwei Weltkriege überstanden, sie werden auch diese harte Corona-Krise bewältigen. Es ist ein Wesenskern der Kultur, dass sie sich stets als widerständig behauptet hat. Das gilt für die Kleinkunstbühne ebenso wie für Museumsbauten.