Kitzbühel kann auch anders

31.10.2019 | Stand 21.09.2023, 22:07 Uhr

Panoramablick von der Bichlalm aus über Kitzbühel: Der Tiroler Ort ist eingebettet in die Berge. −Fotos: Isabel Metzger

Kitzbühel mag nicht nur der Nobel-Skiort sein. Die Tiroler Region kann auch andere Geschichten erzählen. Eine handelt von einem "Narrischen".

Franz Reisch muss ein wilder Hund gewesen sein, unangepasst und seiner Zeit in jedem Fall voraus. Und man kann sich aus heutiger Sicht getrost fragen: Was wäre wohl aus Kitzbühel – weltberühmt durch das jährliche Hahnenkamm-Rennen auf der Streif – geworden, hätte die Region nicht eine derartige Faszination auf Reisch ausgeübt?
Dabei fing alles ganz unspektakulär an. Reisch, der aus einer Kufsteiner Kaufmannsfamilie stammte, kam Ende des 19. Jahrhunderts nach Kitzbühel, um die Filiale, die sein schwerkranker Bruder führte, zu übernehmen. Ein Jackpot für den Tiroler Alpenort, denn ab dann schrieb Franz Reisch Kitzbüheler (Erfolgs-)Geschichte. 1892 ließ er sich aus Norwegen ein Paar Schneeschuhe, eine Art Skier mit 2,30 Metern Länge, liefern, nachdem er das Buch "Auf Schneeschuhen durch Grönland" des Polarforschers Fridtjof Nansen gelesen und dessen Inhalt ihn in seinen Bann gezogen hatte. Das Ski-Fieber hatte ihn gepackt: Allein und unermüdlich übte Franz Reisch daraufhin auf der heutigen Rasmusleitn. Denn nur die Filiale des Bruders – dieser war inzwischen gestorben – zu führen, "das war ihm alles zu wenig und zu langweilig", sagt Urenkelin Signe Reisch, Präsidentin des Tourismusverbands und Chefin des Traditionshotels "Rasmushof". Vielmehr habe sich ihr Urgroßvater gefragt: "Was kann man aus Kitzbühel machen?"

Reisch, der zehn Jahre lang Bürgermeister war, machte so viel daraus, dass der Überlieferung nach der Ausruf "Schaut’s, jetzt ist der Reisch ganz narrisch worden" wohl nicht nur einmal fiel. Im März 1893 fuhr er zum ersten Mal vom Kitzbüheler Horn ab. Um das dortige Gipfelhaus aus Hahnenkamm-Stein zu errichten, stieg er im Sommer bis zu dreimal täglich auf den Berg. Franz Reisch legte also im Wortsinne den Grundstein für die Entwicklung Kitzbühels vom verschlafenen Bergort zu einem Mekka des Skisports, das im frühen 20. Jahrhundert den englischen Adel anzog. In der Folge mauserte sich Kitzbühel zu einem Hotspot der Reichen.

"Millionenhügel" nennt Walter Hopfner den Bereich zwischen seinem Hotel, dem "Bichlhof", und seinem Waldstück am Rande Kitzbühels. Hier besitzen der ehemalige Daimler-Boss Jürgen Schrempp und die Unternehmerin Maria-Elisabeth Schäffler eine Villa. Schlagerproduzent Jack White verkaufte jüngst sein Luxushaus, und auch das Tiroler Urgestein Hansi Hinterseer lebt in der Nachbarschaft des "Bichlhofs". Doch Letzterer ist wenigstens die meiste Zeit da, während viele Zweitwohnsitze in Kitzbühel monatelang leerstehen. Aber nicht nur der Leerstand ist ein Ärgernis aus Sicht der Einheimischen, sie leiden verstärkt auch unter dem mondänen Ruf des Ortes. "Urlaub ist bei uns nicht teurer als in vergleichbaren Gebieten Österreichs, aber die Leute lassen sich vom Image abschrecken", bedauert Hotelier Hopfner. Das Nobel-Bild, das von Kitzbühel herrscht, sei "Fluch und Segen zugleich", ergänzt Anna Lena Obermoser von Kitzbühel Tourismus.
Wer die Region ursprünglich erleben will, der macht sich im Herbst auf die beschauliche "Drei-Gänge-Genusswanderung" in den sanften Südbergen. Entschleunigt geht’s zunächst mit dem Sessellift zur Bichl-alm, die im Dezember 2015 nach einem Komplettumbau mit den Besitzern Nikolaus Gasteiger senior und junior wiedereröffnete. Vater und Sohn haben aus der Bichlalm ein alpines Schmuckstück gemacht. Die Panoramafenster reichen bis zum Boden. Der Blick aus der edlen und gemütlichen Stube erstreckt sich hier in 1600 Metern Höhe bei gutem Wetter bis zu den Hohen Tauern. Niko Gasteiger, der Sohn des Hauses, serviert den Gästen auf der Genusswanderung die Vorspeise, eine Tiroler Kaspressknödelsuppe. Weiter führt die Wanderung zum Wildpark Aurach. In der Brandnerhof-stube wartet zur Stärkung die Hauptspeise – Wildkäsekrainer. Apfelradl als Dessert kredenzt der Hallerwirt in Aurach. Der Chef ist übrigens fast Niederbayer; Jürgen Stelzhammer stammt aus Obernberg am Inn nahe Bad Füssing (Lkr. Passau).

Genuss mit der Schönheit der Landschaft bei einer Wanderung zu verbinden, das ist ein Teil des neuen Tourismuskonzeptes "Kitzbühel 365". Das wirbt dafür, dass Kitzbühel mehr ist als nur der Schickimicki-Hotspot, der im Winter die High Society anzieht. "Kitzbühel 365" bedeutet, dass auch die Wanderer und Mountainbiker – seit diesem Sommer führt ein Biketrail die legendäre Streif hinab – fast das ganze Jahr über auf die Berge gebracht werden. "Die Hahnenkamm-Bahn sperrt am 1. Mai nach dem Ende der Skisaison zu, vier Tage später öffnet die Bahn aufs Kitzbüheler Horn", sagt Tourismus-Chefin Signe Reisch. "361 Tage lang ist immer eine Bahn geöffnet", erklärt Reisch, die im Zielhaus der Streif wohnt.

Hauptklientel des Kitzbühel-Tourismus sind jedoch nach wie vor die Skifahrer. Damit sie komplett auf ihre Kosten kommen, startete im Oktober auf der noch grünen Resterhöhe unweit des Ortes die Saison – im ersten Skigebiet in den Alpen ohne Gletscher. Möglich machen das Schneedepots an schattigen und windgeschützten Plätzen. "Am Ende der Saison wird der Altschnee zusammengeschoben und in Depots konserviert", erklärt Dr. Josef Burger, Vorstandsvorsitzender der Bergbahn AG Kitzbühel. Er wird mit Hartschaumplatten abgedeckt, darüber liegen eine Gummiisolationsmatte sowie Gletscherfleece. Profitieren sollen von dem frühen Saisonstart, der regelmäßig für Unmut bei Umweltschützern sorgt, vor allem die Ski-Nachwuchstalente und Saisonkartenbesitzer. Voller Skibetrieb herrscht ab dem 14. Dezember.
Winterwandern könne derzeit noch kein Ersatz für das Geschäft sein, das Kitzbühel mit den Skifahrern macht, gibt der Bergbahn-betreiber zu bedenken. An starken Tagen seien bis zu 30000 Skifahrer auf den Pisten unterwegs. Burger: "Du kriegst aber nie 15000 oder 20000 Wanderer an einem Tag auf den Berg."
Von solchen Dimensionen mag Kitzbühel-Pionier Franz Reisch vermutlich nur geträumt haben. Am 6. Januar 2020 jährt sich sein Todestag zum 100. Mal. "Er wurde nur 56 Jahre alt", sagt Urenkelin Signe Reisch. "Aber was er in diesem kurzen Leben alles erreicht hat ..."

INFORMATIONEN
Kitzbühel liegt in den Tiroler Alpen. Der Ort mit seinen rund 8000 Einwohnern feiert 2021 den 750. Geburtstag.

ÜBERNACHTEN
Das Sport- und Wellnesshotel Bichlhof liegt in Kitzbühel neben dem Sessellift, der zur Bichlalm führt. www.bichlhof.at

AUSFLUGSTIPPS
•Die Genusswanderung mit Vor-, Haupt- und Nachspeise führt von der Bichlalm über die Brandnerhofstube zum Hallerwirt nach Aurach. Die Voucher sind bei Kitzbühel Tourismus für 42 Euro erhältlich.
•Eine Einkehr im Hahnenkamm-Stüberl nahe der Streif sollte man schon allein wegen der Wirtin – ein Original – nicht verpassen.

SERVICE
Wie Sie Ihren Wanderrucksack richtig schultern, erklärt Mira Obersteiner vom Rucksackhersteller Osprey: 1. Messen Sie die Rückenlänge, um die richtige Rucksackgröße für eine optimale Passform auswählen zu können. 2. Den Hüftgurt sollten Sie zuerst anpassen, da dieser das Gewicht gleichmäßig zwischen den Beinen und der Lende verteilt – und nicht auf den Schultern und Armen. 3. Ziehen Sie die Riemen an den Schultergurten nach unten, bis sie angenehm stramm sitzen. 4. Die Lastenkontrollriemen sorgen dafür, dass der Rucksack senkrecht am Rücken liegt. Der optimale Winkel ist etwa 45 Grad. 5. Auch der Brustgurt erfüllt seinen Zweck: Dieser zieht die Schultergurte dichter über dem Oberkörper zusammen, so dass sie nicht in Bereichen mit Nerven aufliegen und Schmerzen verursachen.

www.kitzbuehel.com

Redakteurin Isabel Metzger recherchierte mit Unterstützung von Kitzbühel Tourismus.