Regen/Deggendorf
Kaserne Regen: Freispruch 2. Klasse im Vergewaltigungsfall

30.09.2011 | Stand 30.09.2011, 13:08 Uhr

Der eine hatte  Tränen in den Augen, der andere einen Kloß im Hals, als Vorsitzender Richter Heinrich Brusch am Donnerstag das Urteil der 1. Großen Kammer am Landgericht Deggendorf verkündete:  Angeklagter Günther W. (39), Hauptfeldwebel in der Regener Bayerwaldkaserne, wurde vom Vorwurf freigesprochen, im Juli und August vergangenen Jahres den ihm damals direkt unterstellten Feldwebel Jürgen D. zweimal vergewaltigt, vorsätzlich verletzt und misshandelt zu haben.

Haftentschädigung für den Angeklagten 

Er wurde aus der Untersuchungshaft entlassen und wird für diese Zeit mit 25 Euro pro Tag entschädigt. Für Nebenkläger Jürgen D. (26) war das Urteil "ein Schlag in die Magengrube".

Sieben Jahre Haft  hatten Staatsanwältin Dr. Christine Erzberger und Wolfgang Geier, Anwalt von  Jürgen D., in ihren Plädoyers für Günther W. gefordert. Vier Jahre und sechs Monate für den ersten "alkoholbedingten, enthemmten" Vorfall auf einer Stube der Bayerwaldkaserne nach einer Zugfeier, fünf Jahre für die "brutale, demütigende" Vergewaltigung auf einer Toilette des Truppenübungsplatzes in Munster.

Für die  Staatsanwältin  und den Nebenkläger bestanden weder Zweifel an den konstanten, detaillierten Schilderungen des Geschädigten, der eine "tadellose Lebensführung" vorzuweisen habe, noch an den glaubwürdigen Zeugenaussagen, die unter anderem Belästigungen  durch den Angeklagten untermauert und "ein Mosaik zusammengefügt" hatten, wie Geier sagte.

"Alle diese Vorfälle gab es schlicht nicht", konstatierte  Gerhard Vaitl, Verteidiger von Günther W., der bis zuletzt beteuerte, dass die Vorwürfe nicht wahr seien.  W. räumte aber ein, aus Feigheit und Angst vor Konsequenzen seine Homosexualität verschwiegen und Kameraden "angemacht" zu haben. Es stehe  Aussage gegen Aussage, brachte Rechtsanwalt Vaitl energisch in Erinnerung. In der Tat konnte  keine der Vergewaltigungen  von Augenzeugen bestätigt werden.  Akribisch hatte der Verteidiger "Auffälligkeiten" zusammengetragen, die seinen Mandanten entlasteten.   Für ihn sei im Prozess "viel übertrieben und Indizien als Beweise genommen" worden.  W. habe den Satz "Ich bin dein Vorgesetzter, du musst tun, was ich dir sage", nie in den Mund genommen.

Für  Vaitl war der Missbrauch  weder plausibel noch möglich, zumal sich Jürgen D. nicht vehement gewehrt habe.  Seine Psychologin hatte dagegen von einer Art "Schockstarre" gesprochen. Vaitl forderte für Günther W., der "vor diesen Vorwürfen zum Kompanietruppführer befördert werden sollte"   daher Freispruch.

Die Kammer, die noch bis kurz vor der Urteilsverkündung intensiv beraten hatte,  folgte seinem Antrag und ließ sich von dem strafrechtlichen Grundsatz "In dubio pro reo (Im Zweifel für den Angeklagten)" leiten. In geschätzten zwei Dritteln der Urteilsbegründung wurde zwar deutlich, dass  die Richter den  erlebnisorientierten Schilderungen von Jürgen D. durchaus folgen konnten.  Dass diesem eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert wurde, führten sie aber nicht ausschließlich auf die Tat zurück. Die Zweifel an seinen Aussagen ließen den 26-jährigen  D. heftig schlucken.
"Unkorrektes Verhalten" bescheinigt 

Das Gericht tadelte das "nicht korrekte Verhalten" des Angeklagten. Es konnte nicht ausschließen, dass dieser seine Befehlsbefugnis missbraucht oder  Gewalt angewendet habe. Bewiesen werden konnte es nicht, zumal es keinen Anhaltspunkt gab, dass Günther W. auch anderen Personen gegenüber je sexuelle Gewalt angewendet hatte.

Gar nicht nachvollziehbar war für die Kammer  offenbar der Tatablauf der vorgeworfenen ersten Vergewaltigung auf einem Feldbett  in ungewöhnlicher Stellung − im Gegensatz zum zweiten Fall auf einem WC. "Ausgehend   von der Nullhypothese (Annahme des Gerichts, dass die Vorwürfe nicht wahr sind) bleiben Zweifel", so Richter Heinrich Brusch. Er warf dem Nebenkläger vor allem vor, die sexuellen Übergriffe nicht sofort gemeldet zu haben. Das wäre seine Pflicht gewesen.

Ob Staatsanwältin und Nebenkläger Berufung einlegen werden, ließen beide gestern offen.