Traunsteiner Sommerkonzerte
Im Strudel musikalischer Tagträume

04.09.2022 | Stand 20.09.2023, 1:42 Uhr
Kirsten Benekam

Glückliche Musikergesichter, begeisterter Applaus: Sarah Christian (Violine), Timothy Ridout (Viola) und Maximilian Hornung (Violoncello) nach dem zweiten Abend der Traunsteiner Sommerkonzerte. −Foto: Benekam

Nach fulminantem Auftakt der Traunsteiner Sommerkonzerte nahm das Klassikfestival mit einem nicht weniger umwerfenden zweiten Konzert am Freitag Fahrt auf: Zwei Werke aus unterschiedlichen Epochen – Sandor Veress‘ Streichtrio (1954) und Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen für Streichtrio aus dem Jahr 1741 – füllten den Abend und versprühten, jedes für sich, "Exklusivitätscharakter".

Musik wirkte. Und zwar intensiv, wischte Alltägliches vom Tableau, machte den Moment zum ultimativen Wahrnehmungsspektakel. Drei Instrumentalisten – Sarah Christian (Violine), Timothy Ridout (Viola) und Maximilian Hornung (Violoncello) – umspülten, getreu dem Festivalmotto "Wasser", die im Kulturforum Klosterkirche Gestrandeten mit allen erdenklichen Vitalstoffen samt Bewusstseins erweiternden Nebenwirkungen.

Dass der ungarisch-schweizerische Komponist Sándor Veress (1907-1992) ein Schüler Béla Bartóks war, ist seinem (einzigen) zweisätzigen Streichtrio anzuhören. Veress schrieb dieses Stück innerhalb kurzer Zeit: Geprägt von expressiven Kontrasten "verhaftet" es den Zuhörer in andächtigem Staunen. Schräg dissonant setzt das Andante an, um sich im steten Spannungsaufbau in dramatischen Streicher-Linien hochzuschrauben – rebellisch fast, alle Sinne einnehmend. Dann eine "Rolle rückwärts", ein Auflösen in Themen-Fragmente, von Pizzicati durchzogen, um schließlich im Allegro Molto den Hör-Thriller auf die Spitze zu treiben: Hier braucht das Ohr das Aug‘ – woher nur kommen all diese Töne? Drei Streichinstrumente werden "eins" – ein Klanggewitter aus perkussivem Klopfen der Corpi, am Steg wurde gekratzt, die Saiten einem Stresstest ausgesetzt, mal gezupft, mal gestrichenen, hielten stand, währenddessen einzelne Rosshaare der Bögen ihrer "Zerreißprobe" nicht standhalten konnten. Die Nerven der Musiker sehr wohl, denn sie bewältigten die spieltechnisch enorm anspruchsvolle Herausforderung des Werks mit Bravour. Das Hörergebnis war gewaltig.

Die Pause, sie war für beide Seiten vonnöten, verschaffte "Luft" für die zweite Hörsensation – Bachs Goldberg-Variationen im Arrangement für Streichtrio. Da wurde es dann in gewisser Weise philosophisch. Wie bringt man bitte 82 Tasten eines Klavierspielers auf drei unterschiedliche Streicherstimmen, ohne dabei "baden zu gehen"? Schon die Vorstellung, 30 Variationen derart zu bearbeiten, dass Bach nicht erzürnt aus dem Grabe steigt, macht, um beim Thema "Wasser" zu bleiben, seekrank. Doch Wunder, gerade in der Musik, geschehen immer wieder. Und Bach war für seine Neugier bekannt. Statt Unwohlsein lösten die drei Virtuosen mit der grandiosen Interpretation des Streichtrios des russischen Geigers Dmitri Sitkovetsky meditative Stille aus. (Zu-) Hörend driftete man ab, und war sich bald gewahr, um was es da eigentlich im tieferen Sinne gehen könnte: Um’s Leben selbst, in allen Farben, Formen und Themen, das, wo immer man gerade steht, in allen Variationen seine gefühlsgetränkten Schleifen und Schnörkel um essenzielle Inhalte dreht. Nicht einsam – gemeinsam, mal im selben Rhythmus wiegend, dann wieder disharmonisch, mal laut, mal leise, oft dialogisch.

So wirkten die Charaktere der einzelnen "Veränderungen" auf drei Streichinstrumenten noch differenzierter, brachten die "Melodien" einfacher Volkslieder bis zu gelehrten polyphonen Techniken in anderer Tonsprache intensiv zum Leuchten. Nichts anderes gelang in unfassbar hingebungsvollen Interpretationen im zweiten Konzert der Traunsteiner Sommerkonzerte.

Die Komposition soll übrigens eine Auftragsarbeit für den Grafen Kaiserling gewesen sein, der sich die Stücke von einem jungen Pianisten und Bach-Schüler namens Goldberg (daher der Name) als Einschlafhilfe vorspielen ließ. Der wäre vermutlich ebenso jäh aus dem Schlaf gerissen, wie die Sommerkonzertgäste aus ihrem, von unterschiedlichen Stimmungen durchdrungenen, Tagtraumerlebnis. Schade eigentlich. Im Strudel dieser Musik hätte man sich ewig weitertreiben lassen können.

Kirsten Benekam

Die Traunsteiner Sommerkonzerte gehen noch bis zum 7. September. Alle Infos unter www.traunsteiner-sommerkonzerte.de